Ägypten zur Zeit der Pharaonen

Ägypten zur Zeit der Pharaonen
Ägypten zur Zeit der Pharaonen
 
Den Beginn ihrer Geschichte führten die Alten Ägypter auf die »Reichseinigung«, die »Vereinigung der Beiden Länder« (Ober- und Unterägypten), zurück und schrieben diese Tat dem König Menes zu. Davor lag eine Zeit, in der die Götter als Könige auf Erden regiert haben sollen.
 
Die Wissenschaft der Ägyptologie, die Geschichte und Kultur des Alten Ägypten erforscht, hat sich diesen Blickwinkel in gewisser Weise zu Eigen gemacht, indem sie mit ihrer Forschungstätigkeit um die Zeit der Entstehung des ägyptischen Staates etwa 3100 v. Chr. mit der Dynastie 0 (Null) einsetzt. Dies ist auch deshalb berechtigt, da um diesen Zeitpunkt herum die ersten schriftlichen Quellen erscheinen. Die schriftlose Zeit davor rechnet zur Vorgeschichte; sie wird in der Regel vom Fach der Vor- und Frühgeschichte abgedeckt.
 
Mit der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen (332 v. Chr.) tritt das pharaonische Ägypten in eine Zeit über, in der die Kultur unter den ptolemäischen und römischen Herrschern zunehmend unter fremde Einflüsse gelangt. Für die Erforschung dieser Epoche ist die Ägyptologie nur noch zuständig, soweit es sich um in ägyptischer Schrift und Sprache abgefasste Texte oder um traditionell geprägte Denkmäler handelt, und sie ist dabei auf die Zusammenarbeit mit der Alten Geschichte, den Klassischen Altertumswissenschaften und der Papyrologie, der Wissenschaft von den griechischen und lateinischen Papyri, angewiesen. Mit der letzten Hieroglypheninschrift am Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. endet dann allerdings ihre Zuständigkeit insgesamt.
 
Geographisch gehört zum Alten Ägypten das Gebiet zwischen dem 1. Nilkatarakt im Süden und dem Mittelmeer. Allerdings werden auch die Gebiete Nubiens am mittleren Nillauf von der Ägyptologie mit behandelt, da Ägypten mit diesen Gebieten seit der Vorgeschichte in Verbindung stand und sie seit der Zeit des Alten Reiches zu beherrschen trachtete; im Neuen Reich unterwarf Ägypten das Gebiet bis zum 4. Katarakt beim Djebel Barkal als Kolonie — der ersten der Menschheitsgeschichte. Es errichtete dort zahlreiche Tempel und ägyptisierte die einheimische Bevölkerung zum Teil vollständig. Im 9. Jahrhundert v. Chr. entstand dann ein weiterhin von der altägyptischen Kultur stark beeinflusstes einheimisches nubisches Reich, dessen Könige als 25. Dynastie (Kuschiten oder Äthiopen) sogar das ehemalige Mutterland kurzfristig beherrschten; als Reich von Meroe bestand es bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. weiter. Vorderasien hingegen, ebenfalls Ziel expansionistischer Bestrebungen Ägyptens, ist allein im Zusammenhang mit den betreffenden geschichtlichen Ereignissen und den sie beschreibenden ägyptischen Zeugnissen Thema der Ägyptologie.
 
Quellen und Zeugnisse
 
Innerhalb des genannten zeitlichen und geographischen Rahmens erforscht die Ägyptologie sämtliche kulturellen Hinterlassenschaften Altägyptens. Zu den Aufgaben der Wissenschaftler gehört dabei die Materialerforschung an sich, zum anderen geht es um Fragen zur geistigen, sozialen und politischen Welt der Alten Ägypter. Bei der Erforschung der materiellen Bestände, die in den archäologischen Hinterlassenschaften wie Pyramiden, Tempel, Gräber, Stelen oder Papyri sowie den auf diesen Trägern überlieferten Bild- und Textzeugnissen auf uns gekommen sind, handelt es sich zunächst einmal um Dokumentationsarbeiten. Die Funde müssen aufgenommen und bearbeitet, das heißt dokumentiert, datiert, kommentiert und in ihrem Bezug zur altägyptischen Kultur eingeordnet werden. Im Falle der Inschriften müssen die Texte sprachlich klassifiziert, übersetzt, kommentiert und ebenfalls in ihrer Bedeutung für die altägyptische Kultur aufgeschlossen werden.
 
Das Gerüst für diese vielleicht eher als »handwerklich« einzustufenden klassifizierenden und interpretierenden Arbeiten hat sich die Ägyptologie bei der Bearbeitung des Materials zum Teil bereits geschaffen, etwa durch stilistische Untersuchungen zur Klärung von Datierungsfragen in Verbindung mit Grabungsbefunden; zum Teil müssen Raster noch verfeinert, gänzlich überarbeitet oder neu aufgestellt werden. Auch die Erforschung der Sprache, die seit der Entzifferung der Hieroglyphen durch den Franzosen Jean François Champollion 1822 möglich wurde und die Wissenschaft der Ägyptologie letztlich begründet hat, ist noch im Fluss, wenn auch das Textverständnis im Großen und Ganzen als befriedigend anzusehen ist.
 
Die über das Material hinausgehenden weiter reichenden Fragestellungen nach der Struktur der geistigen, religiösen, sozialen und politischen Welt müssen anhand des so aufbereiteten Materials erarbeitet werden, denn die Ägypter selbst haben sich zu solchen Themen nicht zusammenhängend geäußert. Die Masse des auf uns gekommenen Materials stammt jedoch aus Gräbern und Tempeln, das heißt, wir haben in den vorliegenden Dokumenten nur einen begrenzten Ausschnitt aus der damaligen Lebenswirklichkeit vor uns. Dazu kommt, dass diese Dokumente in der Regel nur aus offiziellen, also von den Herrschenden sanktionierten Aussagen bestehen. Wir können daher anhand der lückenhaften Materialbasis manche Fragestellungen nur unzureichend behandeln. Dies betrifft viele Bereiche des täglichen Lebens und insbesondere das Leben der einfachen Bevölkerung, über die uns beispielsweise Darstellungen und Texte in den Gräbern der Oberschichten oder »Berufssatiren« tendenziös eingefärbt unterrichten. Aber auch die offiziellen Darstellungen und Texte des Königs und der Beamtenschaft orientieren sich jeweils am Rollenverständnis des betreffenden Personenkreises und nehmen somit entsprechende Korrekturen bei der Beschreibung der Wirklichkeit vor. Hätten wir z. B. für die Schlacht bei Kadesch im 13. Jahrhundert v. Chr. keine vorderasiatischen Quellen, wüssten wir nichts über die fast vernichtende Niederlage der Ägypter gegen die Hethiter. Denn in den Inschriften und Darstellungen erscheint der Pharao seiner Rolle entsprechend stets als Sieger, steht in seinem Land in der Regel alles zum Besten. Auch die Beamten vermitteln in ihren Inschriften, vor allem in den »Idealbiographien«, kaum etwas Persönliches. Die Schilderungen sind eher schablonenhafte Darstellungen ihrer Ämterlaufbahn und Bekenntnisse zum Königtum und der herrschenden Ordnung, das heißt zur »Maat« (sprich: ma-at).
 
Von beispielhaftem Wert. ..
 
Manche Fragen, die sich den heutigen Forschern stellen — wie etwa solche nach dem Wie und Warum der Entstehung des ägyptischen Staates —, hätten die Ägypter aufgrund ihrer andersartigen Konstruktion der Wirklichkeit und vor dem Hintergrund ihrer naturwüchsigen Gesellschaftsordnung zudem gar nicht stellen können. Denn erst in der griechisch-römischen Antike setzte das Nachdenken über Verfassung, Herrschafts- und Staatsformen ein. Und in der Moderne haben die Menschen mit der Verwissenschaftlichung die Möglichkeit geschaffen, die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Strukturen, in denen sie leben, hinterfragen und bewusst verändern zu können.
 
Damit stellt sich für uns auch die Frage, welchen Sinn und Wert die Beschäftigung mit Altägypten denn haben könnte. Sicher werden wir aus der ägyptischen Kultur keine Anregungen für die Bewältigung moderner Lebensfragen und -umstände erwarten können. Aber die so andere Lebenswirklichkeit der Ägypter kann dazu beitragen, die Welt, in der wir leben, als eine von vielen möglichen Welten zu begreifen und zu relativieren sowie klarer und bewusster in ihrer Substanz zu erkennen. Darüber hinaus bietet die Ägyptologie als Wissenschaft vom Menschen zu einer Fülle verschiedenster Themen aus dem kultur-, sprach- oder sozialwissenschaftlichen Bereich Materialien für die Erforschung historischer Entwicklungen oder für vergleichende Studien und sich daraus herleitende Schlussfolgerungen. Denn Ägypten hat einen beispielhaften Wert insofern, als die ägyptische Kultur sich durch die geographische Isolation des Landes über fast 2000 Jahre in relativer Abgeschiedenheit mit der Folge einer gewissen Eigengesetzlichkeit entwickeln konnte und wir sie darüber hinaus über mehr als 3000 Jahre — zuletzt in intensiver Auseinandersetzung mit Fremdherrschern und dem Griechentum — kontinuierlich in ihrer Entwicklung und zeitlich länger als jede andere bekannte Kultur beobachten können.
 
 Von der Person zur Institution — Ein Staat entsteht
 
Ägypten — das war und ist ein lang gestrecktes Rechteck mit dem Nil in der Mitte und Wüstengebieten rechts und links davon. Der eigentliche Lebensbereich des Ägypters war so das Niltal. Er wird im Norden vom Mittelmeer und im Westen und Osten durch die Wüstengebiete klar eingegrenzt. Im Süden dagegen bildet zwar der 1. Nilkatarakt, eine granitene Felsenbarriere im Fluss, einen gewissen Grenzpunkt, doch setzt sich die Flusslandschaft im Prinzip nach Süden hin in den nubischen und sudanischen Raum fort. Innerhalb Ägyptens besteht ein Gegensatz zwischen der schmalen Niltaloase Oberägyptens und dem weiträumigen Delta Unterägyptens, das die beiden Hauptarme des Nils formen, die heute bei Rosette im Westen und Damiette im Osten in das Mittelmeer fließen. Beide Regionen unterscheiden sich sowohl klimatisch als auch landschaftlich. Das Delta gehört zum Einflussbereich des mediterranen Klimas, während Oberägypten zur saharischen Zone zählt, die kaum Niederschläge kennt. Allerdings reichen auch die Niederschläge des Deltas nicht für einen Regenfeldbau aus. Bei einer derart lang gestreckten Region von 950 km Länge zeigt auch die Temperatur Unterschiede in Nord-Süd-Abstufung: In Alexandria beträgt sie im Jahresdurchschnitt 20,2ºC, in Assuan im Süden 25,8ºC.
 
Spender von Leben und Wohlstand: Der Nil
 
Durch das Klima bedingt war Ägypten in seiner Fruchtbarkeit immer ganz vom Nil und seiner Hochflut, also seinem Hochwasser, abhängig. Diese erst seit der zweiten Hälfte der mittleren Altsteinzeit (90000 bis 35000 v. Chr.) auftretende Nilhochflut — auch Nilschwemme oder Nilschwelle genannt — mit ihren Schlammablagerungen aus dem äthiopischen Raum prägte die ägyptische Landschaft. In Oberägypten schüttete der Fluss einen Uferdamm aus gröberen Sedimenten auf und lagerte erst hinter ihm die tonigen Bestandteile des fruchtbaren Schwemmlandbodens ab, der heute etwa 9 m dick ist. Die Schwemmlandschaft des Deltas hingegen ist von den hügeligen Resten gröberer Ablagerungen durchsetzt, die sich vorzüglich als Siedlungsplätze eigneten.
 
Zur Zeit der Herausbildung des altägyptischen Staates bis tief in das Alte Reich hat man sich das Klima feuchter als heute vorzustellen. Die seichten Nilufer waren mit Papyrus bewachsen, und auf den natürlichen Aufschüttungen des Nildammes gab es Sträucher und Gebüsche, während das Niltal selbst einen reichen Baumbestand aufwies. An tiefer gelegenen Stellen des Niltales fanden sich Dauersümpfe, und das Delta zeigte einen reichen Gras- und Krautwuchs, der sich vorzüglich als Weide eignete. Die heutigen Wüstengebiete im Westen und Osten bedeckte eine Savannenvegetation. Der große Artenreichtum der hier lebenden Tiere, zu denen mit Nashorn, Elefant, Löwe und Giraffe auch Großwild gehörte, wurde durch die zunehmende Trockenheit, vor allem aber durch die Aktivitäten des Menschen mit seinem Ackerbau und der Viehzucht zunehmend eingeschränkt. Allerdings darf man sich diese Entwicklung nicht zu geradlinig vorstellen, denn Amenophis III. beispielsweise konnte noch Ende des 14. Jahrhunderts v. Chr. eine Herde von 174 Wildrindern jagen, und zur Zeit von Ptolemaios I. gab es noch immer unbebautes Land in Ägypten.
 
Die regelmäßige Bewässerung durch die Nilhochflut und der dadurch angeschwemmte Nilschlamm machten den Ackerboden fruchtbar und ermöglichten solch gute Ernten, dass Ägypten einen beträchtlichen Überschuss erwirtschaften konnte. Verschiedene Getreidearten, Körner- und Hülsenfrüchte, Gemüse- und Obstsorten sowie Öle sind als Grundnahrungsmittel bekannt. Auch Futter für das Nutzvieh wurde angebaut oder fand sich auf weiträumigen Weiden, vor allem im Delta. Zum Nutzvieh gehörten Rinder, Schweine, Ziegen, Schafe und Geflügel sowie der Esel als Transporttier — das Kamel finden wir erst um die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. in dieser Rolle. Alle für das tägliche Leben und für das Handwerk notwendigen Rohstoffe gab es im Land, sodass die Befriedigung aller Grundbedürfnisse der Menschen sichergestellt war. Darüber hinaus war Ägypten reich an Baumaterialien und den verschiedensten Gesteinssorten, an Halbedelsteinen und vor allem an Gold. Bei den grundlegenden Rohstoffen ist allein ein Mangel an Holz festzustellen, der aber auf den Menschen selbst zurückzuführen ist. Dieser dezimierte nämlich den Baumbestand, als er das Niltal in eine Kulturlandschaft umwandelte. Kupfer, ein anderer wichtiger Rohstoff, kam zwar in der Ostwüste vor, wurde dort aber aus unbekannten Gründen erst während der 12. Dynastie abgebaut. So wurde es seit alters aus dem Sinai und aus Nubien beschafft.
 
Die Gestalt des Landes machte den Nil zur Hauptverkehrsstraße im überregionalen Verkehr. Für die Verbindung vom Nil ins Innere des Niltales wurden schon früh Kanäle angelegt. Meist lief dieser Verkehr aber als Lokalverkehr über Straßen. Für den Fernverkehr existierten eine Anzahl von Karawanenstraßen nach Vorderasien, ans Rote Meer oder Richtung Süden nach Nubien, sofern er nicht über den Seeweg oder den Nil abgewickelt wurde.
 
Erstaunlich ist für uns, wie wenig Menschen damals in Ägypten lebten und all die Leistungen erbrachten, für die Ägypten heute steht. Da uns keine Ergebnisse etwaiger Volkszählungen überliefert sind und sich die erhaltenen Bestattungen nicht hochrechnen lassen, hat man versucht, die Bevölkerungszahl für die einzelnen Perioden anhand der Anbaufläche, der Produktivität des Bodens unter den damaligen Bedingungen sowie der Steuerveranlagungen zu schätzen. Man kommt dabei auf eine Bevölkerungszahl von 1,6 Millionen für das Alte Reich (2500 v. Chr.), auf 2Millionen für das Mittlere Reich (1800 v. Chr.) und 2,9 Millionen für das Neue Reich (1250 v. Chr.) sowie auf 4,9 Millionen für die hellenistische Zeit (150 v. Chr.). Dass diese Zahlen nur mutmaßliche sind, versteht sich angesichts des Berechnungsverfahrens und seiner Grundlagen von selbst. Zum Vergleich seien aber die Bevölkerungszahlen von 4,5 Millionen unter den Mamelucken (1250—1517) und von 2,5 Millionen zur Zeit der ägyptischen Expedition Napoléon Bonapartes (1798—1801) angeführt, die einen gewissen Rahmen für die für das Alte Ägypten berechneten Zahlen abgeben.
 
Ackerbau und Sesshaftigkeit: Kulturelle »Herkulesleistungen« der Frau?
 
Um 500000 v. Chr. siedelten sich verstärkt Menschen im Niltal an und in den Pluvialzeiten, den Zeiten erhöhter Niederschläge, auch in der angrenzenden Sahara. Kulturell sind diese Menschen der Altsteinzeit, dem Paläolithikum (500000—6000 v. Chr.), zuzuordnen. Ihre Wirtschaftsform war aneignend, das heißt, sie lebten als Jäger und Sammler. Möglicherweise lässt sich in der mittleren Altsteinzeit bei diesen Jägern und Sammlern eine kulturelle Scheidung zwischen einer grundsätzlich wüstenorientierten und einer grundsätzlich nilorientierten Tradition erkennen. Als dann in den Jahren zwischen 40000 und 30000 v. Chr. die Sahara austrocknete, reduzierten sich die wüstenorientierten Gruppen stark. Bei den am Nil lebenden Gruppen bildeten sich lokale Eigenheiten heraus, da die einzelnen Gemeinschaften aufgrund fehlender Transportmittel — es gab noch keine Schiffe — kaum Verbindung untereinander hatten. Diese kulturelle Vielfalt, die die Menschen der späten Altsteinzeit auszeichnete, erhöhte auch ihre Überlebenschancen bei Veränderungen ihrer Umwelt. Denn die Zeit nach 30000 v. Chr. zeichnete sich allgemein durch eine Verschlechterung der Umweltbedingungen aus. Damit einher gingen technologische Neuerungen und die Herausbildung regionaler Merkmale bei den sozialen Gruppen. Alle diese Punkte stehen in Beziehung zueinander, bedingen einander möglicherweise sogar. Zwischen der Endphase der Altsteinzeit und den frühen vordynastischen Kulturen (um 5500 v. Chr.) ist die Kenntnis der kulturellen Vorgänge in Ägypten für etwa tausend Jahre unterbrochen, sodass nicht klar ist, ob die neolithische (jungsteinzeitliche) »Revolution«, die Einführung des Ackerbaus, auf einer eigenständigen Entwicklung beruht oder aus dem Nahen Osten übernommen wurde. Es gibt, nebenbei gesagt, gute Gründe für die Annahme, dass die Einführung des Ackerbaus und die sich damit notwendigerweise entwickelnde Sesshaftigkeit des Menschen, die die Grundlagen für jedwede weitere Kulturentwicklung gewesen sind, als kulturelle »Herkulesleistungen« auf die Frau zurückgehen.
 
Der Beginn der jungsteinzeitlichen Periode in Ägypten setzt um 5500 v. Chr. ein. Sie zerfällt in zwei Hauptzweige, die Niltalkulturen Oberägyptens und die Deltakulturen Unterägyptens. Während in Unterägypten vornehmlich Siedlungen ausgegraben wurden, handelte es sich bei den oberägyptischen Fundkomplexen meist um Friedhöfe. Aber langsam beginnt sich heute diese Beleglage mit Funden von Siedlungen in Oberägypten und Friedhöfen in Unterägypten auszugleichen, sodass die alte Annahme, in Unterägypten seien die Toten innerhalb der Siedlungen, ja sogar in den Häusern bestattet worden, aufgegeben werden muss. Die so aufgefundenen Gräber sind dort eher nach Auflassung der Siedlungen angelegt worden.
 
Die bekanntesten unterägyptischen Fundorte befinden sich im Oasenbecken des Faijum (Faijum A) am Karunsee, in Merimde am Westdeltarand sowie in Maadi und El-Omari südlich von Kairo. In Oberägypten sind vor allem Badari, Negade (Naqada) und Hierakonpolis als wichtigste Grabungsstätten zu nennen.
 
Unterägyptische Fundorte
 
Die Menschen der Faijum-A-Kultur (um 5500—4700 v. Chr.) waren Ackerbauern und hielten daneben Vieh, jagten, fischten und sammelten. Da sich bislang keine festen Behausungen nachweisen ließen — auch Friedhöfe fehlen —, nimmt man an, dass diese Menschen eine halbsesshafte Lebensweise hatten und in ihren Camps nur anlässlich von Aussaat und Ernte gewohnt haben.
 
Auch die Bewohner von Merimde, einem großen Dorf, betrieben Ackerbau und Viehzucht. In den jüngeren Schichten von Merimde, das vielleicht sogar in ältere Zeiten zurückreicht als die Kulturstufe des Faijum A, gibt es feste Behausungen, die halb unterirdisch angelegt und mit Lehmziegeln gemauert waren. Keines dieser Häuser besaß jedoch einen mehr als drei Meter großen Durchmesser, sodass sie allenfalls von einer erwachsenen Person und vielleicht ihren Kindern bewohnt werden konnten. Körbe mit einem Fassungsvermögen von etwa zwei Kubikmetern und Tonkrüge, die als Kornspeicher dienten, fanden sich in der Nähe der einzelnen Behausungen vergraben.
 
Das etwas jüngere El-Omari (um 4400—3500 v. Chr.) ist Merimde vergleichbar. Hier fanden sich Gatter für die Viehbestände. Auch halb unterirdische Behausungen und Getreidesilos kamen zutage, und zwei Friedhöfe wurden aufgedeckt, in denen die Toten in einfachen Gruben mit angewinkelten Beinen auf der linken Seite lagen, den Kopf nach Süden und das Gesicht nach Westen ausgerichtet, also in Richtung auf die untergehende Sonne. Dies deutet auf einen Jenseitsglauben der Bevölkerung. Grabbeigaben waren selten, aber in einem Fall hatte ein Toter einen Stab bei sich. Wenn dieser wie in historischer Zeit als Autoritätssignum anzusehen wäre, dann könnte hier ein Oberhaupt beerdigt sein, und wir hätten damit einen Anhaltspunkt für eine sich jetzt entwickelnde soziale Schichtung.
 
Maadi, 10 km nordwestlich von El-Omari und jünger als dieses, unterscheidet sich von den anderen jungsteinzeitlichen Stätten dadurch, dass wir hier Handelsbeziehungen nach Südpalästina und Oberägypten feststellen können. Auch gibt es Anzeichen für den Gebrauch von Kupfer, ja vielleicht sogar für die Metallverhüttung. Da diese komplizierter zu handhaben ist als die Herstellung von Steinwerkzeugen und Fachkräfte für Abbau, Verhüttung und Herstellung von Kupferwerkzeugen voraussetzt, können wir in Maadi einen differenzierteren Gesellschaftstyp mit beginnender Arbeitsteiligkeit zugrunde legen.
 
Oberägyptische Fundorte
 
Im Bereich von Oberägypten fanden sich Überreste der Badarikultur (5500—4000 v. Chr.) zwischen El-Matmar und El-Qaw. Sie spiegeln eine halbsesshafte Lebensweise wider. Offenbar lebten die Bewohner in Zelten. Ihre Friedhöfe lagen unweit der Behausungen in der Wüste; die Gräber enthielten Beigaben von Nahrungsmitteln, Schminkpaletten, Elfenbeingegenstände wie Löffel und Gefäße, die vermutlich Schminkutensilien darstellen, daneben auch Kämme sowie Ton- und Elfenbeinfigürchen von Menschen und Tieren. Auch die Badarikultur scheint weitläufige Beziehungen nach außen gepflegt zu haben. Funde von Türkis könnten vom Sinai stammen, das wenige Kupfer vielleicht ebenfalls und Holz für Bauteile aus Syrien.
 
Die zeitlich auf Badari folgende Kulturstufe in Oberägypten, die Negade-I-Kultur, auch Amratien genannt, die bis etwa 3500 v. Chr. reicht, weist größere und reichere Fundstätten auf als das Badari. Zu diesen Fundstätten gehören sowohl Hierakonpolis als auch Negade selbst, das heißt Orte, die eine Schlüsselstellung in der folgenden Entwicklung Oberägyptens einnehmen.
 
In der anschließenden Negade-II-Kultur, auch Gerzéen genannt (etwa 3500—3200 v. Chr.), beschleunigte sich der kulturelle Fortschritt merklich. Die Arbeitsteiligkeit verstärkte sich, und die Spezialisierung nahm in einzelnen Arbeitsbereichen zu. Parallel dazu vermehrten sich auch die Statusunterschiede. Die bislang starke örtliche Eingeschränktheit der einzelnen Kulturen wich einer zunehmenden überregionalen Anpassung. Auch eine Ausdehnung der Handelsbeziehungen ist erkennbar. Größere Kupfergeräte werden in der Negade-II-Kultur häufiger; Gold wurde verarbeitet, dazu Silber und kostbare Steine, darunter Lapislazuli, der vermutlich über Zwischenhändler aus dem entfernten Afghanistan bezogen wurde. Die großen Schminkpaletten erhalten die Form von Tieren, und Gefäße werden vermehrt aus harten Gesteinen hergestellt, während Keramikgefäße mit rotem Dekor auf hellem Grund auftreten. Alles dies sind Arbeiten von Spezialisten. In Negade selbst wurde ein rechteckiges Lehmziegelhaus ausgegraben. Die sich immer stärker abzeichnende soziale Schichtung der Gesellschaft wird auch an den Gräbern und ihren Beigaben sichtbar. Einige Gräber sind mit Holz verschalt und haben spezielle Nischen für die Beigaben. Im Friedhof T in Negade und in Hierakonpolis fanden sich auch aus Ziegeln gemauerte Grabkammern. Das Innere des als Fürstengrab anzusehenden Grabes 100 in Hierakonpolis war sogar bemalt.
 
Gegen 3300 v. Chr. begann sich die jüngere Negade-II-Kultur nach Unterägypten auszubreiten, wobei die gleichzeitige Maadikultur verdrängt und assimiliert wurde. Spätestens mit Beginn der Negade-III-Kultur (um 3200 v. Chr.) hat dann ganz Ägypten ein äußerlich einheitliches kulturelles Erscheinungsbild.
 
Staatsentstehung und Dynastie Null
 
Die Negade-II-Kultur leitet über zur »protodynastischen« Zeit, das heißt zur Negade-III-Kultur und zur Dynastie 0 (Null). Die Ausgrabungen in Umm el-Qaab bei Abydos haben vor kurzem ein sehr aufwendiges Grab erbracht, das zeitlich noch vor den vier uns bekannten Königen der Dynastie0 und wenigstens 150 Jahre vor der 1. Dynastie liegt; die im Grab aufgefundenen Schilder von Warenlieferungen belegen die Existenz einer frühen Hieroglyphenschrift in der beginnenden Negade-III-Kultur. Dies zeigt, dass die Herausbildung des ägyptischen Staates, wie er uns mit der 1. Dynastie entgegentritt, nicht das Werk der wenigen Generationen der bekannten Könige der Dynastie0 ist, sondern eine wesentlich längere Entwicklung in Anspruch nahm, als bislang angenommen wurde. Ab wann wir allerdings in diesem Zeitrahmen einen gesamtägyptischen Herrscher voraussetzen dürfen, bleibt zur Zeit offen. Die »Vereinigung der Beiden Länder« Ober- und Unterägypten zu einem gesamtägyptischen Staat, die nach der historischen Erinnerung der Ägypter einen so einschneidenden Akt darstellte, dass ihn jeder König bei Regierungsantritt rituell wiederholen musste, ist entsprechend den neuen Erkenntnissen also nicht in der Zeit der Dynastien 0 und 1 festzumachen, sondern fand etwa 150 bis 200 Jahre vor der 1. Dynastie statt. Die vier bekannten Könige der ausgehenden Dynastie 0 herrschten jedenfalls bereits über ganz Ägypten.
 
Den sich jetzt abzeichnenden altägyptischen Staat prägt eine neue Qualität der Geschichtlichkeit. Während sich die Vorgeschichte vor allem aus den Überresten der materiellen Kultur rekonstruiert, kommen nun zu diesen Hinterlassenschaften noch die schriftlichen und künstlerischen Erzeugnisse, die den religiösen und geistigen Bereich sowie die politischen und sozialen Verhältnisse in entscheidendem Ausmaß beleuchten.
 
Die zeitgenössischen Denkmäler dieser Könige, vor allem aber auch die Namen der letzten beiden Könige der Dynastie0, »Skorpion« und »Schlimmer Wels« (Narmer), zeigen neben religiösen und rituellen Motiven vor allem Kampfdarstellungen und Siegesembleme. Dabei verweist die Prunkpalette des Narmer, eine Votivgabe für das Heiligtum von Hierakonpolis, klar auf die Unterwerfung des nördlichen Landesteiles, sodass wir annehmen dürfen, die Zeit von der Ausbreitung der Negade-II-Kultur nach Unterägypten bis zur 1. Dynastie sei eine Zeit wiederholter Kämpfe um die Macht in Gesamtägypten gewesen. Diese Kämpfe und vor allem der sich herausbildende Staat veranschaulichen aber auch, dass sich ein Maß an Machtstrukturen entwickelt hatte, für das das Fürstengrab von Hierakonpolis ein erstes prägnantes Beispiel darstellt. Eine derartige Entwicklung findet aber nicht zwangsläufig statt, sondern wir müssen angesichts der Tatsache, dass in der überwiegenden Zeit der Vorgeschichte und auch danach die weitaus meisten Menschen auf der Welt in weitgehend egalitären Strukturen lebten, die die Freiheit des Einzelnen im Verhältnis zu einem Staatswesen wenig beschnitten, die Frage stellen, wieso es überhaupt zur Herausbildung von politischer Macht und in ihrem Gefolge zur Staatsentstehung kommen konnte. Um es vorauszuschicken: Die Frage ist noch nicht befriedigend geklärt, es lohnt sich aber, auf einige damit in Zusammenhang stehende Probleme aufmerksam zu machen.
 
Ägypten gehört zu den sechs »pristinen« Staatenbildungen auf der Welt, das heißt zu den Staaten, die aus sich selbst, ohne Anstoß von außen, entstanden sind. Als Kennzeichen für einen Staat gelten im Allgemeinen: Territorialität (er muss ein Territorium haben), Arbeitsteiligkeit und soziale Schichtung (Stratifizierung) der Gesellschaft sowie ihre soziokulturelle Geschlossenheit, des Weiteren vor allem die Institutionalisierung von Macht und die Verwendung der Schrift (Ausnahme: Peru). Grundbedingungen, die daher für die Staatsentstehung erfüllt sein müssen, sind demzufolge zunächst Sesshaftigkeit und Nahrungsmittelproduktion. Eine Überschussproduktion an Nahrungsmitteln ist ihrerseits Voraussetzung dafür, Arbeitsteiligkeit zu ermöglichen. Denn die Menschen, die aus der Nahrungsmittelproduktion herausgehen, um andere Aufgaben zu übernehmen, müssen ja ernährt werden. Die Arbeitsteiligkeit wiederum führt zu größerer Produktivität und technischem Fortschritt. Es sind nicht zuletzt aber die Umweltbedingungen und der davon abhängige demographische Faktor, das heißt die Bevölkerungszahl, die darüber entscheiden, ob eine solche Entwicklung stattfinden kann. Die Institutionalisierung der Herrschaft, also die Einrichtung von Ämtern, mit deren Hilfe Leitungsfunktionen auf Dauer wahrgenommen werden können, ist ein weiterer wichtiger Schritt bei der Staatsentstehung, denn sie gewährleistet die Erfüllung von Aufgaben für die Gemeinschaft unabhängig von der Lebenszeit einzelner Personen und ermöglicht so das Funktionieren der Gesellschaft über Generationen. Dagegen beruht in Häuptlingstümern oder kleineren sozial gegliederten Gesellschaften die Leitung auf der Autorität einer Führungspersönlichkeit, deren Entscheidungen in der Regel nur zu ihren Lebzeiten Bestand haben.
 
Hat sich ein Machtzentrum jedoch erst einmal etablieren können, so ist für diese archaischen Herrschaftssysteme eine Expansion unabdingbar. Denn sie müssen sich den Herausforderungen einer wachsenden Bevölkerung im Zentrum stellen, die durch die Überschussproduktion, den Ausbau der Arbeitsteilung, die Güterproduktion und die Ausweitung des Handelsaustausches in seiner Nachbarschaft rasch zunimmt. Dies ist nur durch eine weitere Produktionssteigerung aufzufangen, die ihrerseits nur durch Intensivierungsmaßnahmen oder territoriale Expansion ermöglicht werden kann. Aber auch die politische Ebene erfordert eine Ausdehnung. Würdenträger müssen — in Ermangelung von Geld — mit Ländereien und Personal entlohnt, die Loyalität von Partnern muss durch Zuwendungen gesichert werden, und nicht zuletzt müssen die Angehörigen des sich vergrößernden königlichen Haushalts angemessen versorgt werden. Dies betrifft allen voran die königlichen Prinzen, die von der Erbfolge ausgeschlossen sind.
 
Die Faktoren, die unter diesen Bedingungen lange vor der Entstehung des Einheitsstaates und der Dynastie0 zur institutionalisierten Herrschaft in Ägypten führten und dann den Anlass oder das auslösende Element für die schließliche »Staatsgründung« abgaben, mögen in der Entwicklung regionaler Königtümer zu sehen sein, die möglicherweise in Konkurrenzsituationen militärische Auseinandersetzungen hatten. Diese führten nach und nach zur Vereinigung größerer Gebiete und schließlich ganz Ägyptens und setzten damit die ägyptische Geschichte in Gang, die mit Menes, dem ersten König der ersten Dynastie und der »Thinitenzeit«, beginnt.
 
Was heißt »ägyptische Geschichte«?
 
Was bedeutet es nun aber, wenn wir von »ägyptischer Geschichte« sprechen? Geschichtsschreibung meint heute das Berichten von Begebenheiten, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben. In diesem Sinn kennen die Ägypter keine Geschichtsschreibung. Unsere historischen Quellen der einzelnen Könige beziehen sich immer auf deren Gegenwart. Wie sich aber aus den verschiedenen Quellen, etwa den Annalen, oder überhaupt aus der Tatsache einer schriftlichen Überlieferung ersehen lässt, verfügten die Ägypter durchaus über einen Sinn für ihre Vergangenheit. Denn sie suchten etwa im Neuen Reich alte Denkmäler auf und restaurierten sie sogar. Allerdings erscheint ihnen Geschichte nicht wie uns als eine Abfolge von einzelnen unwiederholbaren Ereignissen, sondern sie verstehen Geschichte im Sinne von wiederholbaren, regelhaften Ereignissen, die zyklisch ablaufen. Da sich in der Schöpfung, wie sie ist, der göttliche Wille manifestiert, sind soziale oder politische Entwicklungen entbehrlich und unerwünscht. Dem ägyptischen Denken ist in diesem Sinne jeder Fortschrittsglaube fremd. Allerdings kann die Verwirklichung des göttlichen Willens durch die Kräfte des Chaos behindert und sogar in Frage gestellt werden. Entsprechende Handlungen des Königs sind dann geboten, um einen Ausgleich zu schaffen. Damit bewegt sich aber sein Handeln in einem festen Rahmen, der insgesamt darauf ausgerichtet ist, die Maat — die rechte Weltordnung — auf Erden durchzusetzen. Die Wiederholbarkeit alles schon Geschehenen und die Rollengebundenheit des Königs können auch dazu führen, Taten als geschehen abzubilden und zu beschreiben, die sich niemals entsprechend zugetragen haben. So dekorierte König Sahure aus der 5. Dynastie seinen Totentempel mit der Abbildung von Gefangenen und der Beute eines Libyenfeldzuges. Die gleiche Szene findet sich später unter Phiops I., Phiops II. und sogar noch fast 2000 Jahre später in Nubien unter König Taharka, sodass man fragen muss, ob nicht auch schon Sahure seine Abbildung von einem älteren Denkmal kopiert hat.
 
Die Geschichte beginnt: Fragen zur Chronologie
 
Die archaische Periode oder »Thinitenzeit« umfasst die erste und die zweite Dynastie (etwa 3000—2700 v. Chr.). Nach Manetho stammten diese Könige aus der Stadt This in Oberägypten, von deren Namen sich die Bezeichnung Thiniten herleitet. Manetho, auf den die Einteilung der ägyptischen Geschichte in 31 Dynastien zurückgeht, war ein ägyptischer Priester, der unter Ptolemaios II. (305—285 v. Chr.) eine Geschichte oder besser Chronik Ägyptens in königlichem Auftrag verfasste. Leider ist uns sein Werk nur in Auszügen (Epitomen) in Schriften anderer Autoren des ersten, dritten, vierten und achten Jahrhunderts n. Chr. erhalten. Es bildet zusammen mit altägyptischen Annalen, Königslisten verschiedener Epochen und den datierten Denkmälern unsere Grundlage für die ägyptische Chronologie, die allerdings in vielen Punkten, insbesondere was absolute Jahreszahlen angeht, noch unsicher ist. Denn die Ägypter zählten, anders als wir, für die »Christi Geburt« Angelpunkt der Datierung ist, die Jahre nicht fortlaufend von einem bestimmten Fixpunkt an, der z. B. bei ihnen die »Reichseinigung« hätte sein können, sondern sie rechneten zyklisch nach Regierungsjahren der einzelnen Könige. Dass die Angaben über Regierungslängen in den Epitomen Manethos, in den Annalen und Königslisten, die überdies ebenfalls unvollständig sind, oftmals differieren und auch von Angaben auf datierten Denkmälern abweichen können, ist dabei für unsere chronologischen Berechnungen ebenso problematisch wie die Tatsache, dass das Regierungsjahr eines Herrschers mit dem Kalenderjahr übereinstimmen kann wie im Alten und Mittleren Reich oder wie im Neuen Reich mit der Thronbesteigung beginnen kann. Für die Ägypter selbst war dies unproblematisch, denn sie konnten für die Berechnung langer Zeitspannen auf Annalen zurückgreifen, in denen schon seit sehr früher Zeit Jahr für Jahr die Hauptereignisse während der Regierung der einzelnen Könige aufgeschrieben waren. Leider sind uns solche Annalen mit Ausnahme eines Bruchstücks aus dem Alten Reich, des »Palermosteins« — Fragment eines in der 5. Dynastie aufgerichteten Steins mit eingeritzten Annalen —, nicht erhalten. Wäre der Palermostein vollständig überliefert, wüssten wir z. B. auch besser über die vorgeschichtlichen Könige Bescheid, von denen dort nur Namen erhalten sind. Aus derartigen Annalenaufzeichnungen speiste sich sicher auch der »Turiner Königspapyrus«, der in der 19. Dynastie abgefasst wurde und offenbar einem Beamten für Zeitberechnungen bei seiner Tätigkeit diente. Leider ist auch dieser Papyrus nur bruchstückhaft erhalten. Beginnend mit einer Epoche der Götter, enthält er eine Aufstellung sämtlicher Könige bis zur 19. Dynastie mit Angaben über die jeweilige Regierungsdauer in Jahren, Monaten und Tagen. Dabei sind die Pharaonen zu Gruppen zusammengefasst, für die jeweils die Regierungsjahre zusammengezählt werden. Diese Zusammenfassungen gleichen in etwa den Dynastien Manethos. Wie dieser lässt auch der Turiner Papyrus die ägyptische Königsreihe mit Menes beginnen, dasselbe tut auch die Königsliste von Abydos, die Sethos I. mit seinem Sohn Ramses zeigt, wie sie 76 königlichen Ahnen, darunter Menes, Opfer darbringen. Auf zeitgenössischen Denkmälern ist der Name des Menes nicht auszumachen. Seit dem Alten Reich umfasste das königliche Protokoll nämlich neben dem Geburtsnamen vier weitere Namen des Königs, die bei der Thronbesteigung festgelegt wurden und in gewisser Weise ein politisches Programm ankündigten: Während die Listen den Thronnamen bevorzugen und Manetho lieber den Geburtsnamen nennt, treten die frühen Könige in Verkörperung des Himmels- und Königsgottes Horus gern mit ihrem »Horusnamen« auf, sodass die Gleichsetzungen der von den Denkmälern bekannten Könige mit denen in den Listen und bei Manetho oftmals sehr schwer zu leisten sind. Gemeinhin wird heute Menes mit dem Horus Aha (»der Kämpfer«) identifiziert, aber auch der schon genannte Narmer gilt als Kandidat. Jedoch zeigt der Übergang von der Dynastie0 in den historischen Bereich einen Einschnitt eher bei Aha, für dessen Regierungszeit eine entwickelte Jahreszählung auf Jahrestäfelchen vorhanden ist. Menes soll nach dem griechischen Historiker Herodot, der Ägypten im 5. Jahrhundert v. Chr. bereiste, Memphis gegründet haben. Wenn dies auch wahrscheinlich unzutreffend ist, so war Memphis doch von der frühen 1. Dynastie an ein wichtiges Verwaltungszentrum. Außerdem wurde unter Aha im Nordteil von Sakkara bei Memphis ein großer Friedhof angelegt.
 
Dies wirft nun allerdings die Frage auf, wo die Könige der 1. Dynastie, die wie ihre Vorgänger der Dynastie 0 auch Gräber in Abydos besitzen, bestattet worden sind. In Abydos kamen mehr Funde zutage als in Sakkara, und auch die Tatsache, dass das Grab des Nachfolgers von Aha, Djer, in Abydos von der 18. Dynastie bis in die Spätzeit als Grab des Gottes Osiris angesehen wurde, scheint einer Annahme von Scheingräbern (Kenotaphen) in Abydos eher zu widersprechen. Vielleicht gehören die Gräber in Sakkara, wenn sie nicht als unterägyptische Gräber für die Könige der 1. Dynastie angelegt wurden, hohen Beamten dieser Zeit.
 
Die ersten beiden Dynastien
 
Die acht Könige der 1. Dynastie haben zusammen etwa 175 Jahre regiert; für die der 2. Dynastie ist vielleicht eine etwas kürzere Zeitspanne zu veranschlagen. Die Reihenfolge ihrer Könige ist nicht ganz sicher, und über ihre Regierungen wissen wir weniger als über die der 1. Dynastie. Das liegt besonders daran, dass die Grabanlagen dieser Könige nicht alle bekannt sind. Wahrscheinlich befanden sie sich in Sakkara, aber ihre Namen sind auch in Abydos belegt.
 
Von wirklichen historischen Vorgängen dieser Zeit, die unter Einschluss der protodynastischen Zeit etwa 500 Jahre dauerte, in denen Ägypten bereits als Staat existiert hat, ist jedoch nur wenig bekannt. Denn die schriftliche Überlieferung beschränkt sich auf Siegel und Siegelabdrücke, die Auskunft über Beamte und angelieferte Produkte geben, sowie die Jahrestäfelchen aus Elfenbein und Holz, die wie die erhaltenen Eintragungen des Palermosteins wichtige Ereignisse von Regierungsjahren nennen. Diese Ereignisse beinhalten in der Regel Angaben über religiöse Feste, Königsfeste, Tempelgründungen, die Herstellung von Statuen sowie auf dem Palermostein die Angabe der Nilhöhen während der Überschwemmungen, die für die Festsetzung der Steuern maßgebend waren. Wir haben also Aufzeichnungen, die primär wirtschaftlich-juristischer Natur sind. Natürlich hängt dies auch mit der Entwicklung der Schrift zusammen, die auf den Krugsiegeln und den königlichen Grabstelen zunächst nur Namen und Titel verzeichnet und sonst als Legende zu bildlichen Darstellungen dient. Wir wissen aber, dass es während der Thinitenzeit keine feste Residenz gab. König und Hof zogen wohl per Schiff von einer »Pfalz« zur anderen. Dabei besuchte der König regelmäßig die Tempel. Vermutlich dienten deshalb die größeren Tempel anfänglich auch als Verwaltungszentren des Landes. Solche Tempel gab es im Süden in Hierakonpolis, der Stadt des Reichsgottes Horus, dem die Könige Skorpion und Narmer Weihgeschenke übersandten, sowie auf der anderen Seite des Nils in El-Kab mit der oberägyptischen Kronengöttin Nechbet. Im Nordteil des Landes gehören die Orte Buto, die Stadt der unterägyptischen Kronengöttin Uto, das Heiligtum des Reihergottes Djebauti und das Heiligtum der Neith in Sais dazu. Archäologische Befunde und Quellen des frühen Alten Reiches geben uns weiter Auskunft darüber, dass in der Thinitenzeit die Organisation des Deltas noch nicht abgeschlossen war. Im Süden wurde wohl unter Aha das Gebiet südlich von Djebel Silsila bis Elephantine, das bevölkerungsgeschichtlich noch zu Nubien gehört, an Ägypten angegliedert, sodass die bis zum Ende der ägyptischen Geschichte maßgebenden Grenzen des Landes erst mit dem Alten Reich festgelegt wurden. Darüber hinaus wissen wir von Handel mit Vorderasien. Auf den Elfenbeintäfelchen sind auch Kriegszüge gegen Asien erwähnt. Ob daraus aber eine Kontrolle Ägyptens über Südpalästina abzulesen ist, bleibt strittig. Ebenso sind die Beziehungen zu Nubien schwer zu beurteilen. Ägyptische Gebrauchs- und Luxusgüter in den einheimischen nubischen Gräbern deuten auf Handelskontakte. Im Laufe der 1. Dynastie ging aber die einheimische nubische Kultur zugrunde. Die Ägypter gründeten eine Niederlassung in Buhen am 2. Katarakt, wahrscheinlich, um dort Kupfer abzubauen. Auch die Amethystminen bei Toschke wurden ausgebeutet, und König Djer, der zweite König der 1. Dynastie, hinterließ am Djebel Scheich Suleiman ein Relief, das auf einen Kriegszug gegen Nubien deutet. Ebenso scheinen die Thiniten Razzien gegen Libyen unternommen zu haben. Auch der letzte König der Thinitenzeit, Chasechemui (»es erscheinen die beiden Mächte«), hat in Nubien einen Kriegszug unternommen und vielleicht ebenso in Asien. Von ihm ist eine Sitzstatue erhalten, auf der der Niederwerfung eines unterägyptischen Aufstandes gedacht ist. Dies hat zusammen mit anderen Indizien zu der, allerdings nicht beweisbaren, Annahme geführt, vor diesem König sei das Land kurzfristig wieder geteilt gewesen.
 
Chasechemui symbolisiert den Übergang zum »eigentlichen« Ägypten, zur 3. Dynastie und der klassischen Zeit des Alten Reiches. Insgesamt ist die Thinitenzeit noch stark der Jungsteinzeit verhaftet. Nach Chasechemui ändern sich sowohl der Charakter des ägyptischen Königtums als auch die Art der Bestattung grundlegend. Erst jetzt richten sich Architektur und Kunst nach den Gesetzen des klassischen Kanons. Die 3. Dynastie zeigt enorme Fortschritte in der Entwicklung und im Gebrauch der Schrift, und das Konzept des göttlichen Königtums erscheint in seiner gültigen Form.
 
Eine wichtige Neuerung: Der Kalender
 
Zu den wichtigen Schöpfungen, die von der Thinitenzeit in das Alte Reich hinübergereicht wurden, gehört die Einrichtung des Kalenders, der vermutlich nicht, wie bisweilen angenommen wurde, bereits in der Vorgeschichte in Gebrauch kam. Denn den Menschen dieser Zeit, die als Ackerbauern ihr Leben nach den natürlichen Jahreszeiten richteten, konnte es gleich sein, wie viele Tage ein Jahr besaß. Da die Nilüberschwemmung regelmäßig alle Jahre ungefähr im Abstand von 365 Tagen eintrat, führte der Rhythmus in ihrem Ablauf und den damit verbundenen landwirtschaftlichen Tätigkeiten zu einem natürlichen Kalender auf der Basis von Mondmonaten mit der Einteilung des Jahres in drei Jahreszeiten, nämlich der »Überschwemmung«, ägyptisch achet, dem »Herauskommen (der Saat)«, ägyptisch peret, sowie der »Hitze« oder »Trockenheit«, ägyptisch schemu. Ein solches an der Landwirtschaft orientiertes Naturjahr mit seinen unregelmäßigen Mondmonaten, das zudem gegenüber dem Sonnenjahr um 11 Tage zu kurz war, erwies sich für Verwaltungszwecke als ungeeignet, sodass ein von den natürlichen Gegebenheiten unabhängiger »bürgerlicher« Kalender eingeführt wurde. Mit der Nilschwemme einher ging jedesmal ein astronomisches Phänomen, das auch die Ägypter beobachteten: Nach einer Periode von 70 Tagen, in denen der Stern unsichtbar war, wurde die Sothis — der Sirius oder Hundsstern — zu Beginn der Überschwemmung bei Sonnenaufgang wieder sichtbar (Frühaufgang oder heliakischer Aufgang der Sothis). Dies markierte bei der Einführung des bürgerlichen, nun auf dem Sonnenjahr basierenden Kalenders zusammen mit der einsetzenden Nilüberschwemmung den Neujahrstag. Das Jahr wurde in zwölf Monate zu 30 Tagen eingeteilt, vier Monate pro Jahreszeit. Dazu kamen fünf Zusatztage, die Epagomenen, ägyptisch heriu-renpet (»die auf dem Jahr«). Damit war jedoch das bürgerliche Jahr etwa einen Vierteltag kürzer als das astronomische Sonnenjahr und verschob sich diesem gegenüber alle vier Jahre um einen Tag. Erst nach jeweils 1460 astronomischen Jahren fielen Frühaufgang der Sothis und Neujahrstag wieder zusammen. Der Zeitraum von einem Zusammenfall zum nächsten wird als Sothisperiode bezeichnet. Anders als wir haben die Ägypter kein Schaltjahr eingeführt, sondern das Phänomen des Wandeljahres, in dem die kalendarischen Jahreszeiten nicht mehr mit den natürlichen übereinstimmen, belassen. Der Grund mag darin liegen, dass für die jahreszeitlich gefeierten Feste und den Tempeldienst der ursprüngliche Mondkalender weiterhin in Gebrauch blieb, während der bürgerliche Kalender in erster Linie Verwaltungs- und Regierungszwecken diente.
 
Die Schrift entwickelt sich
 
Den administrativen Erfordernissen des jungen ägyptischen Staates verdankt sich auch die Entwicklung der Schrift, von der wir erste Zeugnisse bereits um 3500 v. Chr. haben. Aus wirtschaftlichen Bedürfnissen heraus zur Kontrolle und Memorierung entwickelte die Thinitenzeit aus einem bescheidenen Zeichensatz eine reguläre Schrift. Dies zeigt ihre Verwendung zur Angabe von Beamten, Produkten und Mengen. Nur sekundär wurden religiöse oder historische Ereignisse schriftlich fixiert, und erst in der 3. Dynastie können längere Texte geschrieben werden. Der Gebrauch der Schrift hat also eine außerordentlich lange Phase der Entwicklung durchgemacht. Dies und auch die Tatsache, dass sich ihre Anfänge bis in die Vorgeschichte zurückverfolgen lassen, macht die Frage, ob sich die ägyptische Schrift durch die Kenntnis der sumerischen entwickelt hat, überflüssig. Zudem unterscheiden sich beide grundlegend.
 
Voraussetzung für das Schreiben ist die Erkenntnis, dass sich die Wörter der gesprochenen Sprache in eine begrenzte Anzahl von Lauten zerlegen lassen und diese Laute in Zeichen umgesetzt und schließlich wieder in Wörter übertragen werden können. Als Zeichen benutzten die Ägypter zunächst Bilder von Dingen, die das, was sie darstellen, auch meinen. Die Ausdrucksmöglichkeiten einer solchen Schrift sind natürlich außerordentlich begrenzt, und man ging daher dazu über, den Lautbestand der Bilder von diesen abzulösen und ähnlich wie bei einem Rebus für Wörter zu verwenden, die den gleichen Lautbestand aufweisen, aber mit dem Bild nichts gemeinsam haben. Dabei kam den Ägyptern entgegen, dass sie wie die Hebräer oder Araber keine Vokale schreiben. Nach diesen Prinzipien entstand bald ein Alphabet von 24 Konsonantenzeichen. Dazu kommen noch Zeichen, die zwei oder drei Konsonanten aufweisen. So setzt sich die Hieroglyphenschrift aus Laut- und Begriffszeichen zusammen. Sehr früh wurde für die »Bilder« der Hieroglyphenschrift schon eine vereinfachte Kursivschrift, das Hieratische, entwickelt, die übrigens wie die Hieroglyphen bis zum Ende der ägyptischen Geschichte in Gebrauch blieb. Um 700 v. Chr. kam eine weitere vereinfachte Kursive, das Demotische, hinzu. Alle Schriften wurden schließlich in christlicher Zeit durch die koptische Schrift ersetzt, die das Ägyptische, nun auch unter Einschluss der Vokale, mit griechischen Buchstaben und sieben Zusatzzeichen aus dem Demotischen schrieb.
 
Königsherrschaft als göttliches Prinzip
 
So hinterlässt die Thinitenzeit an ihrem Ende einen in seinem Kern gefestigten Staat, der, wenn auch in vielem noch dem Archaischen verhaftet, die Bedingungen für die großen Leistungen der nachfolgenden Zeit geschaffen hatte.
 
Das Selbstverständnis dieses Staates spiegelt sich vor allem in seiner Vorstellung vom Königtum wider. Nach ägyptischer Auffassung ist die Königsherrschaft ein göttliches Prinzip und reicht als Institution bis in die Zeit der Schöpfung zurück, ja, in der Vorzeit regierten die Götter nach dieser Vorstellung selbst als Könige auf Erden. Die Legitimation des Königsamtes steht damit fest. Die Ramessidenzeit setzt zwei Dynastien von Göttern als Herrscher an den Anfang der ägyptischen Geschichte. Nach Herodot, der sich auf ägyptische Quellen beruft, steht am Übergang von den göttlichen Herrschern zu den menschlichen der Gott Horus. Er folgt nach der mythischen Überlieferung seinem Vater, dem Gott Osiris, auf den Thron, nachdem dieser von seinem Bruder Seth ermordet worden war, der selbst die Herrschaft anstrebte, aber Horus unterlag. Dieser Mythos übernimmt praktisch die Rolle einer Staatslehre, indem jeder ägyptische König als irdische Erscheinungsform des Gottes Horus gilt, der seinem Vater im Amt folgt, während der tote König seinerseits zu Osiris, dem Totengott, wird. Das Königsamt ist demzufolge theoretisch ein rein männliches Amt, und der ägyptische König übt als Herrscher das Amt eines Gottes aus, dem er in seinem Königtum nachfolgt. Gleichzeitig ist er als Amtsträger der Idee nach Gott. Da es sich bei dem Königsamt um eine von den Göttern für die Menschen geschaffene Institution handelt, stellt es einen Teil des Ordnungsprinzips im Kosmos dar.
 
Auf der anderen Seite unterliegen sowohl Götter als auch Könige dem Ordnungsprinzip der Schöpfung, der Maat. Die Maat auf Erden zu verwirklichen und sich den Gesetzen der Maat konform zu verhalten ist Pflicht des Königs; durch seine Tätigkeit wird die Beständigkeit des Geschaffenen gewährleistet. Seit der Ersten Zwischenzeit ist die Vorstellung belegt, dass sich der König, wie auch das einfache Volk, nach seinem Tod für sein Handeln vor dem Totengericht zu verantworten habe. Danach hatte das Totengericht nach Maßgabe der Maat das sittliche Leben des Toten zu überprüfen und reihte dann entsprechend dem Ausgang dieser Untersuchung den Verstorbenen entweder unter die seligen Toten ein oder gab ihn der vollständigen Vernichtung preis. Die Maat betrifft aber nicht nur das sittliche Verhalten der Menschen, sondern ganz konkret auch die — nach ägyptischer Auffassung unveränderbaren — Normen, nach denen sich das soziale Gefüge aufbaut. Was die Maat genau im Einzelnen beinhaltet, wissen wir nicht. Die Naturgesetze sind Teil der Maat, ebenso wohl die Gesetze, die der König erlässt.
 
Wenn auch die Aufgaben der Verwaltungstätigkeiten und der kultischen Funktionen nach Vorschriften und Gesetzen delegiert werden, bleibt der König der Theorie nach einziger Handlungsträger. Er ist der Idee nach alleiniger Eigentümer von Grund und Boden sowie der Produkte des Landes. So hat er allein das Recht, Expeditionen zur Beschaffung von Baumaterialien, kostbaren Steinen, Edelmetallen und Spezereien auszuschicken. Auch der Außenhandel gehört zu den Regalien. Mit diesen Monopolen hat der König aber nicht nur in ökonomischer Hinsicht die herausragende Machtposition, er ist auch im kultisch-religiösen Bereich einziger Mittler zur Götterwelt. Die überragende, gottgleiche Stellung des Herrschers lässt für den Kreis der Beherrschten nur eine passive Rolle und die Unterwerfung unter den herrscherlichen Willen zu. Wer sich dem verschließt, muss mit Sanktionen rechnen bis hin zur Grablosigkeit, die dem »Rebellen« sogar die Möglichkeit eines Weiterlebens nach dem Tode nimmt.
 
Nach dem Dogma erstreckt sich die Herrschaft des ägyptischen Königs auch über die Grenzen Ägyptens hinaus auf alle Fremdländer, die das Chaos versinnbildlichen und damit außerhalb der Maat angesiedelt sind. Der Erhaltung der Weltordnung dient daher auch der Kampf des Königs gegen das Ausland, und konsequent durchzieht die Thematik des Besiegens und Unterwerfens die ägyptischen Denkmäler. Krieg und ägyptischer Sieg entsprechen der Weltordnung. Einen bildlichen Ausdruck findet dies im Piktogramm des »Erschlagens der Feinde«, das über den Bezug zu einer historischen Handlung hinaus auch die Aufgabe und Rolle des Königs beinhaltet, die ihm im Rahmen der Schöpfung vorgegeben ist. Die Beherrschung der Welt gehört so zum göttlichen Auftrag des Königs, der in seiner Rolle als Erhalter und Ernährer seines Volkes das von außen andrängende Chaos in Gestalt der als »Abscheu der Götter« empfundenen Feinde zu vernichten hat.
 
 Die Zeit der Pyramiden — Das Alte Reich und die Erste Zwischenzeit
 
Die Zeit der ersten bekannten vordynastischen Könige in Ägypten und die der 1. und 2. Dynastie beträgt zusammen rund 500 Jahre, etwa genauso viel, wie die Dauer des Alten Reiches von der 3. bis zur 6. Dynastie ausmacht. Davon nimmt die Zeit der großen Pyramiden nur etwa 190 Jahre ein, etwa 70 Jahre während der 3. Dynastie (manche Forscher billigen ihr 138 Jahre zu) und 120 Jahre während der 4. Dynastie. Die Gründe für den Dynastiewechsel von der 2. zur 3. Dynastie sind strittig. Ihr Beginn liegt im Dunkeln, und die Namen der Könige und ihre Abfolge sind nicht eindeutig geklärt. Das hängt wieder mit den verschiedenen Namen in der Titulatur der Könige und ihrer unterschiedlichen Überlieferung auf den zeitgenössischen Denkmälern, in den Königslisten und bei Manetho zusammen.
 
Die Namen des Königs
 
Die Titulatur der ägyptischen Könige, die sich während des Alten Reiches herausbildete und uns in kanonischer Form, mit fünf Titeln und dazugehörigen Namen, zu Beginn des Mittleren Reiches entgegentritt, bleibt bis zum Ende der ägyptischen Geschichte in formellen Inschriften in Gebrauch. Der König nimmt sie bei seiner Thronbesteigung an, bei der sie öffentlich bekannt gegeben wird. Dabei betonen die fünf Titel und Namen bestimmte Aspekte der göttlichen Natur des Königs und stellen seine Regierung unter ein gewisses Programm. So lautet beispielsweise die vollständige Titulatur Thutmosis' III., des großen Eroberers der 18. Dynastie, in Übersetzung: »Horus: Starker Stier, erschienen in Theben; Die beiden Herrinnen: Dauernd an Königtum wie Re im Himmel; Goldhorus: Mit mächtiger Kraft, heilig an Diademen; König von Ober- und Unterägypten: Bleibend an Gestalt, ein Re; Sohn des Re: Thutmosis (Thot ist geboren), mit vollkommener Gestalt, geliebt von Amun-Re«. Die wichtigsten der fünf Namen sind die beiden letzten, die in den ovalen Königsring, die Kartusche, geschrieben werden, die ein Schutzsymbol ist. Diese beiden sind auch die Namen, die üblicherweise in den Inschriften genannt werden. Der erste Kartuschenname ist der Thronname des Königs, der ihn als Herrn der beiden Landeshälften Ägyptens ausweist, der zweite sein Eigenname, den er bei seiner Geburt erhalten hatte und den er auch nach der Thronbesteigung beibehält, ihn nun aber mit dem Titel »Sohn des Re«, des Sonnengottes, versieht. Von den übrigen Namen ist der bedeutendste der Horusname, der gern in eine von einem Falken gekrönte Palastfassade geschrieben wird. Er bezieht sich auf den König in seinem Aspekt als Himmels- und Herrschergott Horus. Mit den beiden Landeshälften wiederum in Verbindung steht der Herrinnenname, dessen Titel mit dem Bild der Kronengöttinnen, der oberägyptischen Geiergöttin Nechbet von El-Kab und der unterägyptischen schlangengestaltigen Uto von Buto geschrieben wird. Der Goldname erscheint mit einem Falken auf der Hieroglyphe für »Gold« im Titel. Während er später als Sinnbild des triumphierenden Königs angesehen wurde und im Namen oft eine außenpolitische Aussage enthält, scheint er sich ursprünglich auf den gleißenden Sonnenhimmel bezogen zu haben.
 
König Djoser und der Steinbau
 
Der bedeutendste König der 3. Dynastie, die insgesamt mindestens fünf Könige zählte, ist ihr zweiter, Djoser. Auf zeitgenössischen Denkmälern erscheint er gewöhnlich als Horus Netjeri-chet (»Der mit göttlichem Leib«), und seine Identität konnte erst durch die »Hungersnotstele« aus der Ptolemäerzeit gesichert werden, in der unter anderem berichtet wird, der König Netjeri-chet Djoser habe bei dem Weisen Imhotep wegen einer sieben Jahre währenden Hungersnot um Rat nachgesucht. Die Bedeutung, die Djoser für die Ägypter besaß, zeigt sich an der ungewöhnlichen Verwendung von roter Tinte für seinen Namen im Turiner Königspapyrus. Sie ist wohl auf den Umstand zurückzuführen, dass mit der Stufenpyramide des Königs in Sakkara zum ersten Mal in der Geschichte ein Bauwerk ganz aus Stein errichtet wurde. Die bekannten Gräber aller Könige der vorangegangenen Dynastien waren ja aus Ziegeln errichtete Mastabas, die — wenn überhaupt — Stein nur in geringem Umfang, etwa für Fußböden oder einige andere Bauteile, verwendeten. Besucherinschriften (Graffiti) aus der Zeit des Neuen Reiches dokumentieren, dass der Pyramidenbezirk des Djoser in dieser Zeit als Sehenswürdigkeit und Stätte frommer Pilger galt, und ein Graffito in Sakkara gibt Djoser sogar den Beinamen »Erfinder des Steinbaus« (wörtlich: »der den Stein geöffnet hat«). Die umwälzende Entdeckung der Steinbauweise und der mit ihr verbundene Wille, Ewigkeit in Architektur zu bannen, geht aber vermutlich auf den Baumeister Djosers, Imhotep, zurück. Dieser war ein Prinz und hatte neben dem Amt eines Baumeisters, Bildhauers und Meisters der Steingefäßherstellung auch das eines Hohen Priesters von Heliopolis, der Stadt des Sonnengottes, inne. Er wurde in späterer Zeit vergöttlicht.
 
Ursprünglich war die Stufenpyramide des Djoser als Mastaba (arabisch »Bank«), das heißt als flacher rechteckiger Bau mit geböschten Wänden, geplant gewesen. Die endgültige Form einer sechsstufigen Pyramide von rund 60 m Höhe erhielt sie durch nach und nach vorgenommene Änderungen im Bauplan. Wie sehr die Baumeister noch dem Ziegelbau verhaftet waren, lässt sich an den kleinen Maßen der Bausteine in den ersten Mastabastufen ebenso wie an denen der zum Komplex gehörenden Gebäude erkennen. In der Granitkammer unterhalb der Pyramide fanden sich in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts noch Mumienteile, zu denen ein vergoldeter Schädel und vergoldete Fußsohlen, vermutlich Überreste des königlichen Begräbnisses, gehörten. Auch andere Personen des Königshauses waren in dem Komplex beigesetzt. Die verschiedenen Gänge und Magazine der Anlage waren mit rund 40000 Steingefäßen und Keramiken angefüllt. Die gleiche Anlage wiederholt sich im Südgrab, das in der Südostecke des Pyramidenbezirks — allerdings mit unterschiedlichem Oberbau — angelegt wurde. Seine Funktion ist nicht geklärt. Reliefs in beiden Bauten zeigen den König bei zeremoniellen Handlungen. Im Areal um die Pyramide befinden sich an der Nordseite Räumlichkeiten, die für den täglichen Opferdienst und andere Kulthandlungen bestimmt waren. Hier liegt auch der »Serdab«, ein geschlossener Raum, der eine Statue des Königs enthielt. Durch zwei Öffnungen in der Wand in Augenhöhe konnte sie die Räucherungen während der Kulthandlungen empfangen. Ein großer Hof im Süden der Pyramide diente rituellen Läufen, während der im Osten gelegene mit seinen Scheinbauten, das heißt Gebäuden, die als unbegehbare Massivbauten angelegt und durch ihre Fassade zum Teil als Götterkapellen anzusehen sind, vermutlich der Feier des jenseitigen Sedfestes des Königs diente. Dieses Sedfest stellte in gewisser Weise ein Thronjubiläum des Königs dar, durch das sein Machtanspruch und seine Herrschaft auf Erden bekräftigt und bestätigt wurden. In der Regel wurde es das erste Mal nach 30 Regierungsjahren gefeiert.
 
Auch die Nachfolger Djosers in der 3. Dynastie legten sich ihre Gräber in Form von Stufenpyramiden an, und als Form des königlichen Grabmals blieb die Pyramide bis ins Mittlere Reich bestimmend. Über die Bedeutung der Pyramide geben die zeitgenössischen Texte keine Auskunft. Jedoch lassen einige Anhaltspunkte vermuten, sie habe als eine Art Himmelsleiter dem König nach dem Tod den Aufstieg zum Himmel ermöglichen sollen. Insgesamt sollte die Anlage als riesige Kultbühne dem jenseitigen Leben des Königs dienlich sein. Erstaunlich ist, dass sich die beiden umwälzenden Neuerungen der Djoserzeit — die monumentale Architektur in bearbeitetem Stein und die Errichtung einer Pyramide — in einem verblüffend kurzen Zeitraum ereignet haben müssen, denn die Listen des Neuen Reiches billigen Djoser nur eine Regierungszeit von 21 Jahren zu. Materiell wurden diese gewaltigen Vorhaben dadurch ermöglicht, dass die administrative Durchorganisation des Landes jetzt abgeschlossen war und auf dieser Grundlage die benötigten Arbeitskräfte und Materialien zur Verfügung gestellt werden konnten.
 
Die Pyramiden werden noch größer
 
Wie sich der Übergang von der 3. zur 4. Dynastie vollzog, ist unbekannt, und trotz der Tatsache, dass die größten Pyramiden und auch viele Beamtengräber aus dieser Zeit stammen, ist weder die Anzahl der Könige der 4. Dynastie sicher, noch kennen wir die wichtigsten historischen Ereignisse aus dieser Zeit. Der erste König der Dynastie ist Snofru, der noch bis in die ptolemäische Zeit einen Kult genoss und schon im Mittleren Reich als Gott verehrt wurde. Er galt durch die gesamte ägyptische Geschichte als guter Herrscher. Er hat drei Pyramiden erbaut, die zusammen ein um ein Drittel höheres Gesamtvolumen aufweisen als die Cheopspyramide, deren Erbauer, Snofrus Sohn Cheops, bei Herodot gerade wegen ihrer Größe einen schlechten Ruf hatte. Er verdächtigt ihn nämlich, zur Finanzierung einer so gewaltigen Pyramide seine Tochter in die Prostitution geschickt zu haben. Den ägyptischen Quellen können wir eine derartige Einschätzung des Cheops jedoch nicht entnehmen, denn er besaß noch in der Saitenzeit einen Totenkult und wurde bis in römische Zeit als volkstümlicher König verehrt. Allein die Geschichte des Papyrus Westcar, eines in der Hyksoszeit aufgezeichneten Papyrus mit märchenhaften Geschichten, die der Rahmenerzählung nach von Prinzen am Hof des Cheops vorgetragen wurden, könnte einen grausamen Zug des Königs andeuten. Denn als der König die Wunderkräfte des Zauberers Djedi erproben möchte, der einen abgeschlagenen Kopf wieder anzuzaubern vermochte, will der König dies an einem Gefangenen vorführen lassen. Das lehnt Djedi allerdings mit dem Hinweis ab, Derartiges dürfe man einem Menschen nicht antun. Der König fügt sich dem auch augenscheinlich, denn es wird stattdessen eine Gans gebracht, an der Djedi sein Können nachweist. Auch vom Hof Snofrus wird im Papyrus Westcar eine Wundergeschichte berichtet, die insofern von besonderem Interesse ist, als Snofru hier bildhafte Züge des Sonnengottes Re aufweist. Der sich in dieser Zeit verstärkende Einfluss des Sonnenkults mag sich auch an der Umgestaltung der Stufenpyramide in die erste reine Pyramide unter Snofru zeigen. Von jetzt an sind uns die Namen aller Pyramidenanlagen der Könige überliefert, auch wenn wir sie zuweilen archäologisch nicht nachweisen können. Zu jeder Pyramidenanlage, die aus Taltempel, Aufweg und dem von einer Umfassungsmauer umschlossenen Pyramidenkomplex mit Pyramide, ihrem im Osten vorgebauten Totentempel und der Nebenpyramide besteht, gehört auch eine Pyramidenstadt, die der Verwaltung und dem Totendienst bei der Anlage diente.
 
Während die Pyramide von Medum von Snofru ursprünglich als Stufenpyramide geplant war und erst in einer späteren Baustufe mittels einer Umkleidung umgestaltet wurde, baute der König in Dahschur zwei »echte« Pyramiden, die dann für die anderen Anlagen des Alten Reiches Vorbildcharakter hatten. Wegen der Stufenform in Medum meinen manche Wissenschaftler, Snofru habe diese Pyramide vielleicht für seinen Vorgänger Huni fertig gestellt, doch spricht ihr Name dagegen, der »Snofru dauert« lautet. Die Frage, warum dieser König sich gleich drei Pyramiden erbaute, ist schwer zu beantworten. Dass die von Medum möglicherweise als Königskultstätte diente und Snofru sie seiner Erscheinungsform als Horusfalke erbaute, hat einiges für sich. Die Anlage war noch im Mittleren Reich in Betrieb. Die südliche Pyramide von Dahschur (»Knickpyramide«), die in ihrem oberen und unteren Teil unterschiedliche Böschungswinkel und dadurch »geknickte« Kanten aufweist, wurde möglicherweise wegen Bauschäden aufgegeben, wenngleich man sie fertig stellte. Sie trägt den gleichen Namen (»Snofru erscheint«) wie die zuletzt erbaute nördliche »Rote Pyramide« in Dahschur.
 
Unter Snofru verstärkten sich Ägyptens außenpolitische Aktivitäten. Wurde Djoser bei den Türkisminen auf dem Sinai in der Pose des »Erschlagens der Feinde« abgebildet, womit neben «propagandistischen« Zwecken ägyptische Ansprüche in diesem Gebiet angezeigt werden sollten, sprach Snofru vom Bezwingen der Feinde. Er wurde übrigens später als Ortsheiliger des Minengebiets verehrt. Diese Szene des »Erschlagens der Feinde«, die nach neueren Untersuchungen sicherlich realiter in einem Ritual ausgeführt wurde, bleibt bis zum Ende der ägyptischen Geschichte eine für den König charakteristische Pose. Handel mit dem Libanon, von dem Ägypten wertvolles Holz bezog, ist dokumentiert. Nach den Annalen fand auch ein größerer Feldzug nach Nubien statt, in dessen Gefolge Gefangene und Vieh nach Ägypten geschleppt wurden. In Asien scheint Snofru ebenso gekämpft zu haben wie auch gegen die westlich wohnenden Libyer, bei denen man gleichfalls eine große Anzahl Gefangene und Vieh erbeutete. Die erheblichen Gefangenenkontingente wurden möglicherweise zum Teil in den königlichen Domänen angesiedelt, deren Einrichtung wir den Angaben des Palermosteins entnehmen. Zahlreiche Domänen des Königs sind auch in seinem Taltempel in Dahschur personifiziert als Bauern und Bäuerinnen abgebildet. Sie zeigen, dass ein Schwerpunkt ihrer Gründung im Delta lag. Offensichtlich diente die mit den Feldzügen Snofrus in Zusammenhang stehende Siedlungspolitik der Entwicklung des Nordens sowie der Abrundung des Staatsgebiets vor allem im Ostdelta.
 
Die hohen Beamten dieser Zeit waren meist Prinzen, die sich ihre Gräber in der Nähe der Pyramiden des Königs errichten ließen. Sie demonstrierten damit auch im Tod die Nähe zu ihm, bestimmte doch die Beziehung zum König für den Ägypter seinen Status und seine Bedeutung, bemaß sich, kurz gesagt, sein Lebenserfolg daran. Für das Gros der Bevölkerung gab es im Tod wie im Leben keine Nähe zum Herrscher und seiner Umgebung; sie wurde in einfachen Grabgruben beigesetzt, ohne auch nur entfernt eine Mumifizierung ihres Körpers in Erwägung ziehen zu können.
 
Die Bedeutung der Sonne wächst
 
Nachfolger Snofrus war sein schon genannter Sohn Cheops, der in Giseh die größte je gebaute Pyramide — mit einer Seitenlänge von 230 m und einer Höhe von 146,59 m — errichten ließ. Um die Pyramide waren vier Schiffe beigesetzt, von denen eines nach der Ausgrabung wieder vollständig zusammengesetzt werden konnte. Es besteht zu großen Teilen aus Holz vom Libanon. Weihgeschenke mit dem Namen des Königs fanden sich ihrerseits in Byblos und zeigen so die engen Beziehungen zu dieser Region an. Die Schiffe sollten dem toten König die Fahrt durch die Himmelsgewässer gestatten. Möglicherweise geht zumindest die Planung der großen Sphinx in Giseh ebenfalls auf Cheops zurück, auch wenn sie oft seinem Sohn Chephren, dem Erbauer der zweitgrößten Pyramide in Giseh, zugeschrieben wird. Denn sie ist aus einem stehen gebliebenen Felskern in dem Teil der Steinbrüche gearbeitet, die der König zum Bau seiner Anlage benutzt hat. Die Figur wird im Neuen Reich mit dem Gott Harmachis (»Horus im Horizont«) verbunden und als Bild des Sonnengottes Re-Harachte verstanden. Vielleicht geht auch der Sphinxtempel auf Cheops zurück. Da sich sein Plan am Sonnenlauf ausrichtet, stellt er wohl eine Art Sonnenheiligtum dar, und ein Sonnentempel des Cheops würde sich bestens in das Architekturganze einfügen. Auch der Name »Horizont des Cheops«, den die Pyramidenanlage trägt, spricht dafür. Der Sonnengott Re, der in dem »Horizont«, das heißt in der Pyramide, ruht, ist Cheops selbst, und es wäre somit kein Zufall, dass der Nachfolger und Sohn des Cheops, Djedefre, als Erster den Zusatz »Sohn des Re« in seine Kartusche aufnimmt. Da unter Cheops die Söhne des Königs auch häufiger Namen tragen, die mit dem des Sonnengottes gebildet sind, dürfen wir berechtigterweise für die Regierung dieses Königs eine Intensivierung der Sonnenverehrung in Ägypten annehmen.
 
Auf Djedefre, der nur kurz regiert hat und den Begräbnisplatz nach Abu Roasch, 8 km nördlich von Giseh, verlegte, folgte aus uns unbekannten Gründen sein Bruder Chephren, der wieder nach Giseh zurückkehrte und seine Pyramide in der Nähe derjenigen seines Vaters Cheops anlegen ließ. Sie heißt »Groß (oder: der Größte) ist Chephren«. Für seinen Totentempel verwendete Chephren die größten jemals in Ägypten nachgewiesenen Kalksteinblöcke; sie haben 200—400 Tonnen Gewicht. Sein Taltempel ist der am besten erhaltene Tempel des Alten Reiches. Im Inneren ist er mit Granit verkleidet, und die erhaltenen Granitpfeiler bestehen aus mächtigen Monolithen. Der Fußboden war mit Alabasterplatten ausgelegt, auf denen ursprünglich 23 Statuen des Königs gestanden hatten. Sie waren aus Anorthositgneis, dem »Chephrendiorit«, gefertigt, der aus den Steinbrüchen bei Toschke in Nubien kam, wo auch schon Cheops tätig war. Eine Stele benennt die Brüche sogar nach Cheops, und auch eine Axt mit seinem Namen wurde dort gefunden. Diese Aktivitäten weit im Süden in Nubien verwundern nicht, denn in Buhen am 2. Katarakt bestand vielleicht schon seit der 2. Dynastie eine ägyptische Niederlassung zur Kupfergewinnung, und die Angaben über Kriegszüge nach Nubien in der Frühzeit und auch Felsinschriften in Nubien, die in die 4. Dynastie datiert werden und von kriegerischen Unternehmungen sprechen, zeigen deutlich, dass Unternubien unter ägyptischer Kontrolle stand.
 
Westlich des Pyramidenbezirks Chephrens lagen Magazine, und auch die Kasernen der beim Bau beschäftigten Arbeiter wurden entdeckt. Die über 100 m langen Räume für mehr als 5500 Arbeiter lassen uns etwas von den Arbeitsbedingungen erahnen, unter denen so gewaltige Leistungen erbracht wurden.
 
Kleinere Pyramiden — Besondere Ursachen
 
Chephrens Sohn Mykerinos, der nach der kurzen Zwischenregierung eines anderen Königs auf den Thron kam, erbaute die dritte Pyramide von Giseh. Da sie nur etwa ein Drittel der Masse der Cheopspyramide aufweist, muss ihre geringe Größe im Hinblick auf die achtzehnjährige Regierungszeit, die der Turiner Königspapyrus dem König zubilligt, besondere Ursachen haben. Ein Grund dürfte darin zu sehen sein, dass die angewachsenen Ausmaße des Totentempels auch dessen angewachsene Bedeutung anzeigen. Auf der religiösen Ebene spiegelt sich diese Änderung in der Stellung des Königs wider, der vom »Weltgott« zum »Sohn des Sonnengottes« geworden ist und dabei an Absolutheit eingebüßt hat. Denn die Gottessohnschaft ist auch im Sinne einer Verantwortlichkeit gegenüber der Gottheit zu verstehen.
 
Für uns heute sind der übersteigerte Anspruch des ägyptischen Königs und die totalitäre Ordnung, die das Prinzip der Gottessohnschaft nur relativiert, schwer nachzuvollziehen. Dabei ist zu bedenken, dass in vorstaatlichen Gesellschaften, etwa Häuptlingstümern oder Dorfgemeinschaften, alle politischen und gesellschaftlichen Funktionen über ein Geflecht von Verwandtschaftsbeziehungen ausgeübt werden. Im Staat kann dies schon allein aufgrund der angewachsenen Bevölkerungszahl nicht funktionieren; er muss daher die Macht der Gesellschaft vom Verwandtschaftsprinzip losgelöst organisieren. So werden die Verwandtschaftsbeziehungen des Königs vielleicht auf die Ebene der Götterwelt transponiert und dogmatisiert. Wenn der König jetzt zur Familie der Götter gehört, tritt mit dem Gottkönigtum und der Gottessohnschaft eine religiös fundierte Ordnung an die Stelle der Verwandtschaft, die für den Einzelnen einen höheren Rang einnimmt. Das Verwandtschaftsprinzip existiert auf der gesellschaftlichen Ebene natürlich weiter und berührt hier auch die politische Ebene, wie zum Beispiel die Ämtervergabe an die Prinzen des Königshauses zeigt.
 
Weiter zeigte sich auch im administrativen Bereich eine Akzentverlagerung unter Mykerinos. Hohe Würdenträger, die in der Provinz tätig waren, begannen nun damit, sich statt in der Residenz in ihrem Amtsbereich bestatten zu lassen, und demonstrierten so die wachsende Autonomie der Landesteile gegenüber der Zentrale.
 
Der letzte König der 4. Dynastie, Schepseskaf, bricht mit der Tradition der Pyramide und baut sich in Sakkara-Süd ein Grab in der Form eines gigantischen Sarkophags. In derselben Art wird auch in Giseh zwischen den Pyramiden von Chephren und Mykerinos ein Grabmal angelegt, das der Königsmutter Chentkaus I. gehört, die Mutter der ersten drei oder zwei Könige der 5. Dynastie war.
 
Totentempel für den Sonnengott
 
Die 5. Dynastie räumte der Sonnenverehrung einen noch größeren Vorrang ein als ihre Vorgängerin. Ihre Könige, die zusammen etwa 150 Jahre regierten, errichteten nämlich mit Ausnahme des letzten, Unas, außer ihrer Pyramide jeweils noch ein Sonnenheiligtum. Zwei wurden ausgegraben, von sechs anderen kennen wir die Namen und die Priester, die an ihnen tätig waren.
 
Wie die Pyramiden bestanden diese Heiligtümer, die sich auch durch ihre Namen als Stätten des Sonnengottes zu erkennen geben, aus Talbau, Aufweg und Kulttempel, hinter dem sich auf einem hohen Sockel ein Obelisk erhob. Auf seiner Spitze sollten sich bei Sonnenaufgang die Sonnenstrahlen niederlassen. Außerhalb der Umfassungsmauer des Komplexes befand sich für die Reise der Sonne auf der Himmelsbahn eine gemauerte Barke, während im Hof auf einem offenen Altar die Opfer dargebracht wurden, an denen auch der König als Sohn dieser Gottheit Anteil hatte. Das Königsgrab verlor an Bedeutung, wie seine geringeren Dimensionen zeigen. Die Lage der Sonnenheiligtümer am westlichen Wüstenrand, ihre Ausrichtung nach Westen wie auch ihre strukturelle Ähnlichkeit mit den Pyramidenanlagen lässt sie wohl als Totentempel des Sonnengottes Re verstehen, an dessen himmlischem Schicksal der König nach seinem Tod teilhaben wollte. Im archäologisch nachgewiesenen Sonnenheiligtum des sechsten Königs der Dynastie, Neuserre, war der Obelisk durch einen Zugang im Süden des Pyramidenstumpfes zugänglich. In der Kapelle dort sind das Sedfest des Königs und die Tempelgründung abgebildet. Die »Weltkammer« dahinter preist in bemalten Kalksteinreliefs das Wirken des Sonnengottes in der Natur. Typische Ereignisse der Jahreszeiten wie etwa Paarung und Wurf der Tiere, Nord- und Südwanderung der Fische im Nil, Ankunft der Zugvögel und die Ernte werden gezeigt.
 
Die schriftlichen Quellen werden in der 5. Dynastie zahlreicher. Von Userkaf, dem ersten König der Dynastie, wissen wir z. B., dass er drei Expeditionen zum Brechen von Steinen nach Elephantine schickte. Im Totentempel seines Nachfolgers Sahure finden wir Reliefs, die die Rückkehr einer Seeflotte aus Asien, Abbildungen von syrischen Bären sowie Beute von einem libyschen Feldzug zeigen. Ob der Feldzug allerdings tatsächlich stattfand oder die Darstellung von einer älteren Vorlage kopiert ist, bleibt strittig. Immerhin erscheint die gleiche Abbildung, wie oben schon erwähnt, in der 6. Dynastie bei Phiops I. und II. sowie noch im 7. Jahrhundert bei Taharka tief in Nubien. Unter Sahure fand nachweislich auch eine Expedition nach Punt statt, das wohl bei Port Sudan an der Küste des Roten Meeres im heutigen Sudan anzunehmen ist. Sie erbrachte kostbare Myrrhe für kultische Zwecke sowie Heilmittel, Gold, Malachit und Wurfhölzer.
 
Im Pyramidenbezirk des dritten Königs, Neferirkare, in Abusir fanden sich Überreste von Papyri, Tempelakten, die aus der Zeit des vorletzten Königs der Dynastie, Asosi, stammen und bis in die 6. Dynastie fortgeführt wurden. Sie vermitteln ein Bild vom Opferdienst sowie von den Einkünften und dem Inventar des Tempels. Akribisch vermerken sie jedes Detail, selbst Beschädigungen an Gefäßen, und zeigen, wie auf vielfältige Weise die Welt der Lebenden und die der Toten ökonomisch ineinander griffen. Nach den Papyri von Abusir erhielt der Totentempel des Neferirkare die für den Totenkult des Königs notwendigen Opfer vom Sonnenheiligtum des Königs, hing also wirtschaftlich mit diesem zusammen. Die Opfer, in der Hauptsache Nahrungsmittel, wurden nach der Opferhandlung als Bezahlung an die Priester weitergegeben und von diesen verzehrt.
 
Eine Inschrift im Grab des Priesters Rawer aus der Zeit des Neferirkare gibt uns eine Vorstellung davon, wie machtvoll man sich den König und wie magisch aufgeladen man sich seine Beigaben dachte: Bei einer Zeremonie wird Rawer zufällig vom Zepter des Königs am Bein getroffen, und nur dank des unverzüglichen königlichen Segensspruches soll er unverletzt geblieben sein. Eine andere Begebenheit veranschaulicht die Fürsorge des diesmal eher menschlich erscheinenden Königs. Der Wesir Waschptah, der verantwortlich für die Bauarbeiten am Sonnenheiligtum des Königs war, erkrankte. Daraufhin konsultierte der König persönlich Ärzte und Bücher, ohne dass Waschptah aber zu retten war. So stiftete er eine Grabausstattung für seinen Baumeister.
 
Neue Veränderungen kündigen sich an
 
Mit Menkauhor, dem letzten König, der ein Sonnenheiligtum anlegte, offenbart sich ein religiöser Wandel, der sich wiederum in einer veränderten Königskonzeption widerspiegelt. Der Gott Osiris tritt nun in den Vordergrund. Nach dem Mythos wurde Osiris, wie schon erwähnt, von seinem Bruder Seth getötet, weil dieser selbst nach der Königsherrschaft strebte. Nach seinem Tod wird Osiris zum Herrscher der Unterwelt, sein Sohn Horus jedoch besteigt den Thron, und so vereinigt sich von jetzt an der tote König im Sterben nicht mehr mit dem Sonnengott, sondern wiederholt das mythische Schicksal des Osiris.
 
Unter Asosi, dem Nachfolger Menkauhors, wurde das Amt eines Gouverneurs von Oberägypten geschaffen, das offenbar eine bessere Kontrolle des Südens gewährleisten sollte. Denn es machte sich jetzt eine größere Selbstständigkeit der Provinzialbeamten bemerkbar, und Ämter gingen vom Vater auf den Sohn über.
 
Unas, der letzte König der Dynastie, ist gleichzeitig der erste, der sich Spruchgut in die Wände der Kammern seiner Pyramide einmeißeln ließ. Diese Pyramidentexte sollten den Toten zu Osiris vergöttlichen, ihm andererseits aber auch einen ungehinderten Aufstieg in den Himmel, das Reich des Sonnengottes, gewährleisten. Vom Aufweg der Pyramidenanlage des Unas haben sich Texte und Darstellungen erhalten, die den Transport der granitenen Palmsäulen aus den Brüchen von Elephantine zum Totentempel beschreiben. Der Transport stand dabei unter der Leitung des Henu, wie wir aus dessen Mastaba wissen, und dauerte sieben Tage. Eine andere Darstellung, neben solchen der Jagd, Landwirtschaft und Marktszenen, zeigt hungernde Beduinen, eine weitere den Kampf der Ägypter gegen Nomadenvölker. Dargestellt ist auch, wie asiatische Gefangene mit Schiffen nach Ägypten gebracht werden.
 
Eine neue Zeit — Die 6. Dynastie
 
Nach Unas schiebt der Turiner Königspapyrus eine Gesamtsumme der Jahre von Menes bis Unas ein; die Zahl ist allerdings verloren. Die Ägypter machten also einen Schnitt nach der 5. Dynastie und ließen mit der 6. Dynastie ein neues Zeitalter beginnen. Manetho stimmt hierin überein, während wir für eine neue Epoche keine Gründe erkennen können. Allerdings setzte sich nun auf dem Verwaltungssektor verstärkt fort, was schon unter Mykerinos begonnen hatte: Die straffe Zentralisierung des Landes löste sich immer mehr auf, und die Selbstständigkeit der Provinzialbeamten wuchs. Erstmals werden nun auch für alle Bereiche der ägyptischen Kultur und Geschichte Quellen mit größerer Aussagekraft greifbar. Sieben Könige und etwa 135 Jahre zählt die 6. Dynastie. Doch nur über vier Könige haben wir hinlängliche Informationen.
 
Der hohe Beamte Uni hat uns in seinem Grab in Abydos seine Biographie hinterlassen. Darin berichtet er, er sei unter Teti, dem ersten König der Dynastie, aufgewachsen und unter Phiops (Pepi) I. zum Vertrauten des Königs aufgestiegen. Als solchen habe ihn der König mit einem Geheimprozess gegen die Königin betraut. Gründe hierfür teilt Uni nicht mit. Vielleicht hat aber der Prozess etwas mit der kurzen Regierung des Userkare zu tun, der zwischen Teti und Phiops I. auf dem Thron saß, den Uni aber nicht erwähnt. Jedenfalls heiratete Phiops I. danach zwei Töchter eines Fürsten aus Abydos, die Mütter der folgenden Könige Merenre und Phiops II. wurden. Der Bruder Djau dieser Frauen bekleidete das Amt des Wesirs und war damit nach dem König die mächtigste Person im Land. Aus der Zeit Phiops' I. erwähnt Uni auch einen Kriegszug gegen die »Sandbewohner« in Südpalästina. Da Uni dafür Truppen aus dem ganzen Land zusammenzog und auch ausländische Truppenkontingente — Nubier und Libyer — erwähnt, muss es sich um ein Unternehmen von großer Tragweite gehandelt haben. Unter dem Sohn und Nachfolger Phiops' I., König Merenre, wurde Uni zum Vorsteher von Oberägypten ernannt. In königlichem Auftrag begab er sich in die Nubische Wüste, um aus einem Steinbruch das Pyramidion (die Pyramidenspitze) und einen Sarkophag zu beschaffen. Für die Arbeiten einer weiteren Mission wurden Nubier verpflichtet, deren Häuptlinge dem ägyptischen König am 1. Katarakt huldigten.
 
Unter Merenre lebte auch der Gouverneur von Elephantine, Herchuf, aus dessen Grabinschrift wir wissen, dass er mehrere Expeditionen nach Obernubien, vermutlich in das Gebiet von Kerma am 3. Katarakt, unternommen hat. Dieses sollte sich im Mittleren Reich zu einem ernst zu nehmenden Rivalen Ägyptens herausbilden und stellte auch jetzt im Alten Reich schon ein einflussreiches Zentrum dar. Er brachte von hier Weihrauch, Ebenholz, Öl, Aromata, Pantherfelle und andere durch die gesamte ägyptische Geschichte begehrte Kostbarkeiten zurück. Von seiner letzten Reise, schon unter Phiops II., konnte er einen Zwerg an den Hof melden und erhielt daraufhin von dem noch jungen König einen Brief mit der Aufforderung, ja Acht zu geben, dass dieser lebend in die Residenz komme und nicht etwa auf der Schiffsreise ins Wasser falle.
 
Aus der überlangen, nach dem Turiner Königspapyrus mehr als 90 Jahre dauernden Regierungszeit Phiops' II. sind uns darüber hinaus einige Kriegszüge bekannt geworden. So unternahm ein gewisser Pepinacht nach seiner Grabinschrift in Elephantine eine Vergeltungsaktion gegen Beduinen, die einen Expeditionsleiter und seine Truppe überfallen und umgebracht hatten, als diese am Roten Meer Schiffe für eine Puntfahrt bauten. Derselbe Pepinacht unternahm auch zwei Kriegszüge gegen unternubische Gebiete, von denen zahlreiche Gefangene und Viehherden nach Ägypten gebracht wurden. Nubien scheint demnach nicht mehr so fest in ägyptischer Hand gewesen zu sein wie zuvor, was möglicherweise mit einer neuen Bevölkerungsgruppe hier zusammenhing.
 
Die 6. Dynastie und namentlich auch noch Phiops II. sind in Byblos im Libanon belegt, hatten also weiterhin Handelskontakte zu diesem Gebiet. Umso erstaunlicher erscheint es daher, dass jetzt offenbar ein unaufhaltsamer Niedergang einsetzte, der das Alte Reich schließlich beenden sollte. Der Turiner Königspapyrus lässt auf Phiops II. noch acht Könige folgen, von denen uns nur vier namentlich erhalten sind, darunter eine regierende Königin Nitokris. In dieser Zeit gab es keine monumentale Baukunst mehr, und auch Königsverwandte wurden jetzt in wieder verwendeten Sarkophagen bestattet, was eine allgemeine Verarmung anzeigt.
 
Die Frage nach den Gründen für diesen Niedergang ist nicht einfach zu beantworten. Wahrscheinlich ist ein ganzes Bündel von Problemen die Ursache. Das zunehmende Selbstbewusstsein der Gauverwalter in der Provinz und ihre Bemühungen um mehr Unabhängigkeit wie ihre unzureichende Kontrolle durch die Zentrale spielten sicher ebenso eine Rolle wie der ständige Ausbau der Bürokratie und die vielen »steuerlichen« Ausnahmeregelungen für Pyramidenstädte und Totenstiftungen, die große Personenkreise von Abgaben und Arbeitsleistungen befreiten. All dies zehrte die Substanz der Zentrale auf, zumal außer diesen »Finanzbelastungen« auch der schrittweise Übergang von staatlichem Landbesitz an Kult- und Tempelstiftungen den Staat aushöhlte. Von alledem war zwar die landwirtschaftliche Produktion nicht betroffen, aber die gewachsenen Strukturen wurden aufgelöst und so der Zerfall bewirkt.
 
Für die kommenden 120 Jahre sollte es keine Zentralgewalt mehr geben, bis das Land nach der »Ersten Zwischenzeit« wieder unter einem König geeinigt wurde.
 
Das Chaos herrscht — Die Erste Zwischenzeit
 
Die 7. und die 8. Dynastie bestanden aus jeweils nur kurz regierenden Herrschern, deren Gesamtzeit möglicherweise nicht mehr als ein Vierteljahrhundert betrug. Die in dieser Zeit mehrfach ausbrechenden Unruhen und — in deren Gefolge — wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden in der »Umsturzliteratur« oder der »Welt der Klagen« aus dem Mittleren Reich reflektiert; beklagt werden Hungersnöte, die Auflösung aller Bindungen und die Umkehrung der sozialen Verhältnisse. Zeichen der geistigen Auseinandersetzung sind auch die Sargtexte, die jetzt in der Ersten Zwischenzeit die Pyramidentexte ablösen. Sie werden auf Holzsärge geschrieben und sollen den Toten im Jenseits mit der für sein dortiges Leben notwendigen Zauberkraft ausstatten. Ehedem ein ausschließliches Privileg des Königs, wird so mit der Zeit jeder Privatmann im Tode zu »Osiris N. N.«.
 
Um 2134 v. Chr. nahmen einige Gaufürsten von Herakleopolis südlich des Faijum den Königstitel an; diese »Herakleopoliten«, die nach Manetho die 9./10. Dynastie bildeten, scheinen aber nicht im ganzen Land anerkannt worden zu sein. Der letzte Herrscher der 10. Dynastie war Merikare, dessen Name uns auch in einer für ihn von seinem Vater verfassten »Lehre«, einer Art Fürstenspiegel und Regierungserklärung, begegnet. Neben Herakleopolis im Norden entstand zur gleichen Zeit ein zweites Machtzentrum im südlichen Theben, dessen Fürsten ebenfalls den Königstitel annahmen. Die Herrscher dieser 11. Dynastie standen von Anfang an in Verbindung mit Elephantine und vermutlich auch mit Nubien, sodass sie nubische Söldner verpflichten konnten, die in den späteren Kämpfen mit den Herakleopoliten um die Macht im Lande eine Rolle spielen sollten. Unter Mentuhotep II. wird der Sieg der Thebaner dieses Ringen um die Herrschaft besiegeln: Ägypten war nun wieder geeint.
 
 Das Mittlere Reich
 
Als Mentuhotep II. etwa 2064 v. Chr. an die Regierung kam, beherrschte die 11. Dynastie, deren fünfter König er war, nur den südlichenTeil Ägyptens, während der Norden, wie oben ausgeführt, zum Machtbereich der Herakleopoliten gehörte. Wie die Herrscher vor ihm stammte Mentuhotep aus Theben, wo auch alle uns bekannten Könige dieser Dynastie bestattet sind. Trotz seiner 51 Jahre währenden Regierung und der etwa 20 Jahre andauernden Einigungsbemühungen haben sich verhältnismäßig wenige Denkmäler aus seiner Regierungszeit erhalten, die etwas über historische Ereignisse aussagen. Durch den Titel eines Beamten wissen wir nur, dass Ägypten im 41. Jahr des Königs bereits geeint war, denn er amtierte im 13. unterägyptischen Gau, also im Ostdelta. Um den Zeitpunkt der Einigung — oft wird das Jahr 2040 v. Chr. genannt — genauer fassen zu können, hat man die Titulaturen des Königs, die er verschiedentlich geändert hat, einer Analyse unterzogen. Jedoch ist man über eine allgemeine Benennung des zweiten Drittels seiner Regierung als Zeitpunkt für den endgültigen Sieg über die Herakleopoliten nicht hinausgekommen.
 
Einige Anhaltspunkte in Texten deuten darauf hin, dass der Einigung längere Kämpfe vorausgingen. Vor den entscheidenden militärischen Schritten gegen die Herakleopoliten hat der König offenbar zunächst nach Nubien ausgegriffen, wohl um sich den Rücken freizuhalten. Denn seit der Ersten Zwischenzeit übte Ägypten keine Kontrolle mehr über den angrenzenden Süden aus, der in der Folge seiner Unabhängigkeit politisch erstarkte. Einige Damen in der Umgebung des Königs, Dienerinnen einer seiner Frauen, vermutlich einer Nubierin, stammten mit Sicherheit aus Unternubien, denn sie wiesen Tätowierungen auf, wie sie von dort bekannt sind. Es scheint daher nicht abwegig anzunehmen, dass sich der König durch diese Heirat der Solidarität und der Soldaten des Südens versichern wollte.
 
Die Handelsbeziehungen nach Byblos erholten sich, und auch die Bautätigkeit kam unter Mentuhotep II. zu neuer Blüte. Der König legte für sich und die königlichen Frauen in Deir el-Bahari in Theben West ein monumentales Grab an, in dem sich eine rituell bestattete Statue des Herrschers fand, bekleidet mit dem Gewand für das Sedfest.
 
Seine Nachfolger setzten die Politik Mentuhoteps II. fort. König Mentuhotep III. legte große Bauprogramme auf und schickte einen Beamten namens Henu mit einer Expedition, an der 3000 Personen beteiligt waren, in die Steinbrüche des Wadi Hammamat in der Ostwüste. Eine weitere Reise führte den Beamten nach Punt; während dieser Reise legte Henu unterwegs auf der Route zum Roten Meer verschiedene Brunnen an.
 
Rohstoffexpeditionen — Eine organisatorische Leistung
 
In der Regel sind wir über solche Expeditionen, die die Ägypter zu allen Zeiten unternahmen, durch biographische Inschriften oder durch Felseninschriften am Ort bzw. auf dem Weg zum Einsatzort unterrichtet. Bis zum Beginn des Neuen Reiches fiel die Organisation dieser Unternehmungen in das Ressort des Schatzmeisters, der den königlichen Privatbesitz verwaltete. Die Leiter, denen im Alten und Mittleren Reich die praktische Ausführung des Auftrags anvertraut war, bekleideten dagegen unterschiedliche Posten, ohne dass sich aus ihrer jeweiligen Ranghöhe Rückschlüsse auf die Wichtigkeit der Expeditionen ergäben. Die Anzahl der an einer Expedition beteiligten Personen hing von den gesuchten Materialien ab. Wenn, wie z. B. im Wadi Hammamat, größere Steinmassen zu bewegen waren, war die Zahl der Arbeiter naturgemäß höher als etwa bei der Edelsteingewinnung. Generell konnte den Quellen zufolge der beteiligte Personenkreis zwischen einigen Hundert und 17000 Teilnehmern umfassen. Lokale Arbeitskräfte wurden dabei, wie sich aus Titeln von Beteiligten ergibt, immer wieder mit herangezogen. Aus der Ramessidenzeit, rund 900 Jahre später, sind Dokumente überliefert, die sich mit der Entlohnung einheimischer Nubier beschäftigen, die für die Sicherheit der Goldarbeiter im Wadi Allaki in Nubien zuständig waren und gerade einen Angriff von Nomaden aus der Gegend des Roten Meeres abgewehrt hatten. Über die genauen Abläufe der Expeditionen schweigen die Inschriften leider. Gern behaupten sie, dass es keine Ausfälle bei den Arbeitern gab, aber Verluste werden durch Arbeitsunfälle, Krankheiten und Überfälle vermutlich immer sehr hoch gewesen sein, auch wenn spätestens beim Übergang zum Mittleren Reich eine medizinische Versorgung von Steinbrucharbeitern nachzuweisen ist. Nach einem Einzeltext, wiederum aus der Ramessidenzeit, starben bei einer Unternehmung im Wadi Hammamat von 8368 Personen im Verlauf der Arbeiten 900. Für Todesfälle wurden übrigens auch eigens Balsamierer mitgenommen.
 
Der letzte König der 11. Dynastie, Mentuhotep IV., den die Liste des Turiner Königspapyrus aus unbekannten Gründen übergeht, ist uns fast ausschließlich aus Expeditionsinschriften bekannt. Eine dieser Expeditionen, die einen Sarkophag aus dem Wadi Hammamat beschaffen sollte, stand unter der Leitung seines Wesirs Amenemhet, in dem wir wohl den Begründer der 12. Dynastie und des eigentlichen Mittleren Reiches zu sehen haben. Manetho allerdings zählt Amenemhet noch zur 11. Dynastie und lässt die 12. erst mit Amenemhets Sohn Sesostris I. beginnen.
 
Politische Wende — Und ein neuer Gott tritt auf
 
Der Beginn der 12. Dynastie — für manche Wissenschaftler ist dies gleichzeitig der Beginn des Mittleren Reiches — wie auch ihre Dauer sind nicht ganz gesichert, da Unklarheiten über die Länge der einzelnen Regierungszeiten ihrer im ganzen acht Könige bestehen. Auch über die näheren Umstände des Dynastiewechsels gibt es keine zuverlässige Überlieferung. In Unternubien sind durch Felsinschriften drei Könige vom Ende der 11. Dynastie bekannt, bei denen es sich um »Gegenkönige« handeln könnte, die sich nicht durchsetzten und auf Unternubien beschränkt blieben. Mit solchen Schwierigkeiten bei seiner Thronbesteigung in Einklang steht die Titulatur Amenemhets I. (um 1994—1964), die eine »Appeasement«-Politik verkündet. Andererseits bleiben die Beamten der 11. Dynastie im Amt; Amenemhet I. muss also in der Verwaltung einen gewissen Rückhalt gehabt haben, was vielleicht nicht weiter erstaunt, wenn er mit dem oben erwähnten Wesir des Königs Mentuhotep IV. identisch ist.
 
Der spätere Horusname des Königs »Der die Schöpfung erneuert« bekundet deutlich die Absicht zu einer politischen Wende. So verlegte die 12. Dynastie die Residenz aus Theben nach Itsch-taui (der vollständige Name heißt übersetzt »Amenemhet, der die Beiden Länder [das ist Ägypten] ergreift«), dem heutigen Lischt südlich von Memphis. Außerdem kehrte sie, indem sie sich am Alten Reich orientierte, zur traditionellen Gestalt des Königsgrabes zurück und errichtete Pyramiden, die allerdings in ihren Ausmaßen sehr viel bescheidener waren als die des Alten Reiches. Die Beamten ließen sich wieder in der Nähe der Königsgräber in Mastaben bestatten.
 
Amun, der schon unter Mentuhotep II. eine gewisse Prominenz einnahm, wurde jetzt zum Gott der Dynastie, und trotz der Verlegung der Residenz nach Norden blieb Theben Mittelpunkt der Amunverehrung. Amenemhet — sein Name bedeutet »Amun ist an der Spitze« — stiftete Statuen dorthin und einen Granitaltar. Aber auch Ptah, der Schöpfergott von Memphis, und Osiris gewannen an Bedeutung.
 
Ein »bürgerlicher« König in schwierigen Zeiten
 
Dass Amenemhet nicht aus der königlichen Familie stammte, zeigt die Propagandaschrift mit den »Prophezeiungen des Neferti«; vielleicht kam er aus einer Gaufürstenfamilie in Elephantine. Die Schrift, die vorgeblich unter König Snofru in der 4. Dynastie, also etwa 800 Jahre früher, abgefasst ist, aber aus der Zeit Amenemhets I. selbst stammt, spricht von Wirrezeiten, die in den üblichen feststehenden Wendungen von Umsturz, Not und Chaos beschrieben werden. Darüber hinaus thematisiert sie ein »Asiatenproblem«, das auch in der »Lehre für Merikare« angesprochen wurde, die vielleicht in die 12. Dynastie, womöglich sogar in die Zeit Sesostris' I. gehört: Die Asiaten sickern über das Ostdelta nach Ägypten ein und setzen sich mit Gewalt im Land fest. Als Retter aus dieser Not wird Amenemhet, in der Schrift Ameni genannt, erscheinen, Asiaten und Libyer vertreiben und wieder geregelte innenpolitische Zustände schaffen sowie mit den »Mauern des Herrschers« die Grenze im Osten gegen Asien absichern. Offensichtlich sollten die »Prophezeiungen des Neferti« den Dynastiewechsel rechtfertigen und die politischen Ziele bekannt machen.
 
Im Inneren behielten die Gaufürsten, die die Erste Zwischenzeit überdauert hatten, ihre Machtpositionen. Nach dem Bericht des Gaufürsten Chnumhotep I. in Beni Hasan legte der König, als er ihn in sein Amt einsetzte, auch die Grenzen des Gaus fest. Auch sonst gibt es Hinweise, dass unter Amenemhet eine Gebietsreorganisation begonnen und das Land administrativ neu gestaltet wurde. Die Nordostgrenze sicherte der König, wie in den »Prophezeiungen des Neferti« beschrieben, durch einen Grenzkordon gegen Asien ab, dessen Funktion im »Sinuhe«, einem weiteren politischen Werk aus der Zeit seines Nachfolgers Sesostris I., eindrücklich beschrieben wird. Sein genauer Verlauf ist nicht bekannt, er scheint aber bis in die Gegend der Bitterseen (auf der Landenge von Suez) gereicht zu haben. Offenbar dienten die »Mauern des Herrschers« aber nicht nur der Sicherung gegen Eindringlinge, sondern verhinderten auch, dass politische Gegner das Land verlassen oder Unzufriedene und Verzweifelte sich den staatlichen Anforderungen und Arbeitsverpflichtungen entziehen konnten. Kontrollen waren offenbar im ganzen Land sehr rigide, und so rühmt sich der Beamte Kai in seiner Inschrift vom Beginn des Mittleren Reiches, dass er einen Flüchtigen bis in die Oasen verfolgt und alle Wege nach ihm durchforscht habe. Flüchtlinge, die sich den sie bedrückenden Verhältnissen entziehen wollten, wurden gesucht und bestraft.
 
Die Sinaihalbinsel mit ihren Türkis- und Kupferminen kam unter der Herrschaft Amenemhets I. ebenfalls wieder unter ägyptische Kontrolle.
 
Kämpfe nach außen
 
Nach Westen scheint die Sicherung gegen Libyen problematisch gewesen zu sein. In der Sinuhe-Erzählung befindet sich der Thronfolger Sesostris I. beim Tod des Herrschers auf einem Feldzug gegen die Libyer. Auch in Nubien fanden gegen Ende der Regierung Amenemhets I. militärische Auseinandersetzungen statt. Die »Prophezeiungen des Neferti« enthalten zwar keine Passage zu Nubien, aber die Schrift »Lehre des Königs Amenemhet«, die erst unter dessen Sohn und Nachfolger Sesostris I. abgefasst wurde, hält fest, dass Unternubien bezwungen wurde. Bei den Graffiti in Nubien selbst, die von Kämpfen berichten, ist oft nicht klar, ob sie nicht vielleicht eher in die Zeit Sesostris' I. zu datieren sind. Denn es ist strittig, ob nicht womöglich bereits Amenemhet und Sesostris eine Zeit lang gemeinsam regiert haben. Derartige Doppelregierungen, deren Existenz aber teilweise in Frage gestellt wird und die an sich der ägyptischen Königsideologie zuwiderlaufen, sind eine Neuerung der 12. Dynastie. In vorgeschrittenem Alter assoziiert der König den Kronprinzen zum Mitregenten, der dann die Macht faktisch ausübt. Datiert wird nach beiden Herrschern. Das Vorbild findet sich in der Beamtenschaft, wo der Beamte seinen Nachfolger, mit Vorliebe natürlich seinen Sohn, als »Stab des Alters« im Amt zu Hilfe nimmt und ihn gleichzeitig in der Amtsführung unterweist. Dies und einige andere Besonderheiten beim Königtum des Mittleren Reiches haben zu der Charakterisierung »Beamtenkönigtum« geführt.
 
Über Mord und Propaganda zu mehr Macht
 
Über den gewaltsamen Tod König Amenemhets am siebenten Tag des dritten Monats der Achet-Jahreszeit im Jahr 30 sind wir aus zwei der Schriften unterrichtet, die sein Nachfolger als Propagandaschriften verfassen ließ, um den Beamten des Landes seine Politik nahe zu bringen und sie zur Loyalität aufzurufen.
 
In der oben bereits erwähnten »Lehre des Königs Amenemhet«, die der Schreiber Cheti verfasst hat, wendet sich der tote König aus dem Jenseits an seinen Sohn Sesostris I., um dessen Machtergreifung zu legitimieren, indem er ihn als den von ihm selbst vorgesehenen Nachfolger anspricht. Er schildert auch die Umstände des Attentats, an dessen Vorbereitung offenbar auch Frauen des Harems beteiligt waren und das verübt wurde, bevor er Sesostris offiziell als seinen Nachfolger nominiert hatte.
 
Der »Sinuhe«, ein im Stil einer Biographie abgefasstes Werk, soll hingegen wohl in Aussöhnung mit den Gegnern eine Amnestie verkünden. Der Haremsbeamte Sinuhe befindet sich mit dem Prinzen Sesostris auf dem Feldzug gegen die Libyer, als diesem die Nachricht vom Tod Amenemhets I. überbracht wird, worauf er schnellstens in die Residenz aufbricht. Einem anderen Königssohn, in dem offenbar ein weiterer Thronprätendent zu sehen ist, wurde die Nachricht gleichfalls überbracht, wobei Sinuhe unfreiwilliger Mithörer wird. Da er Kämpfe in der Residenz erwartet und um sein Leben fürchtet, flieht er nach Asien, wo sich offenbar auch andere Ägypter aufhalten. Im Schutz der Nacht gelingt es ihm, die »Mauern des Herrschers« zu passieren, ohne von den Dienst habenden Wachen entdeckt zu werden. Er verdurstet fast, wird von Asiaten gerettet und findet nach längerer Zeit des Herumwanderns bei einem Scheich in Palästina Aufnahme, wird sogar dessen Schwiegersohn und kann, als er alt ist, nach Ägypten zurückkehren und dort in der Gunst des Königs mit der Aussicht auf eine rituell vorschriftsmäßig vorgenommene, standesgemäße Bestattung bis an sein Ende leben.
 
Nicht allein diese beiden Texte, auch die anderen bekannten Propagandaschriften dieser Zeit lassen vermuten, dass Sesostris I. mit erheblichen inneren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Eine Bauinschrift des Königs im Tempel von Tod bei Theben bestätigt dies. Dort ist konkret von Kämpfen gegen Rebellen die Rede. Sie werden verbrannt, eine für Ägypter unerträgliche Vorstellung, weil ohne den Körper das Weiterleben nach dem Tode unmöglich ist. Sesostris I. vernichtet also seine Feinde vollständig über ihren Tod hinaus.
 
Sesostris räumt auf — Und eine Blütezeit beginnt
 
Nach den anfänglichen Schwierigkeiten und teilweise auch bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zu Beginn seiner Herrschaft baute Sesostris I. (um 1964—1919) in seiner mehr als vierzigjährigen Regierungszeit die Fundamente für einen gefestigten Staat des Mittleren Reiches weiter aus. Im Inneren scheint er die Verwaltung geordnet zu haben, denn seine »Weiße Kapelle« in Karnak führt eine Liste sämtlicher ägyptischer Gaue mit genauen Maßangaben zu ihrer Ausdehnung auf. Die Verwaltungseinheiten waren jedoch bis auf einige traditionelle Gaue Städte mit ihren Distrikten, die unter der Leitung eines Bürgermeisters (Hati-a) standen. Die berühmten Gaufürsten, vornehmlich die in Elephantine und in Mittelägypten (Assiut, Meir, Bersche und Beni Hasan) behielten aber weiterhin ihre Ämter, die sich für diese Gebiete traditionell aus dem Alten Reich herleiteten. Sie sind mit reich ausgestatteten Gräbern belegt, und ihre Position blieb ihren Familien zunächst erhalten, vielleicht deshalb, weil sie Sesostris I. in seinem Kampf unterstützt hatten. Mit der zunehmenden Zentralisierung der Königsmacht und dem Wohlstand der königlichen Residenz übernahmen sie später jedoch außerhalb ihrer Gaue Funktionen, sodass das Amt des Gaufürsten unter Sesostris III. schließlich verschwand.
 
König Sesostris I. überzog Ägypten mit riesigen Bauvorhaben. Seine Pyramide legte er bei Lischt in der Nähe der Pyramide seines Vaters an, und die Tempel wurden mit reichen Opfern ausgestattet. Aus den Steinbrüchen des Wadi Hammamat brachte eine einzelne Expedition allein 60 Sphingen und 150 Statuen zurück, was uns einen Anhaltspunkt dafür gibt, welch kleiner Teil des ehedem Vorhandenen selbst bei Werken aus Stein nur erhalten geblieben ist. Abydos profitierte ebenso von dem Bauboom unter Sesostris I.; hier wurden, seit der 11. Dynastie greifbar, die »Mysterien« des Gottes Osiris gefeiert, der an diesem Ort als Königsgott stirbt, mithilfe seines Sohnes Horus über seine Feinde triumphiert, zu Grabe getragen wird und wieder aufersteht. Tausende von Stelen, die Privatleute aufstellten, um sich die ewige Gegenwart bei diesen Feiern zu sichern und am Schicksal des Gottes teilzuhaben, säumten hier die Prozessionsstraßen.
 
Auch die Literatur kam nicht zu kurz. Voll ausgebildet waren nun die »Königsnovelle«, eine literarische Form, in der königliche Taten geschildert werden, und die literarischen Schriften, die die königliche Politik propagieren sollten. Eine Satire des Schreibers Cheti über Handwerksberufe, die zum »Studium« und zum Schreiberberuf und damit zur Beamtenlaufbahn auffordert, zielt darauf ab, loyalen Nachwuchs für Bedürfnisse des wachsenden Verwaltungsapparates zu motivieren.
 
Eine aggressive Außenpolitik
 
Außer über den inneren Ausgleich und eine effektive Verwaltung kam ein Teil des Reichtums, den die Bauvorhaben und die sonstigen künstlerischen Hinterlassenschaften uns vermitteln, zweifellos aus den ausländischen Besitzungen.
 
Nach dem Zusammenbruch der frühbronzezeitlichen Strukturen waren ab 2000 v. Chr. entlang der palästinensischen Küste die ersten mittelbronzezeitlichen Städte (wieder) entstanden. Auf sie konzentrierte sich das Interesse der Könige der 12. Dynastie. Funde von Statuetten hoher Beamter in Tell el-Ajul, Geser und Megiddo bezeugen die Anwesenheit von ägyptischen Beamten dort. Auch andere Kleinfunde berechtigen zu der Annahme, dass Ägypten in der 12. Dynastie einen Anspruch auf die syrisch-palästinensische Küste erhob und ihn durch Stützpunkte wie Tell el-Ajul, Geser, Byblos und Ugarit sowie Megiddo durchsetzte. Wenn man bedenkt, dass im »Sinuhe« davon die Rede ist, dass zwischen Ägypten und Retjenu, wohl Kanaan, regelmäßig Boten verkehrten und dass im Mittleren Reich eine große Zahl von Asiaten in Ägypten arbeitete und Funktionen bis hin zu Beamtenpositionen bekleidete, dann fühlt man sich an die Amarnazeit (Amenophis IV./Echnaton und die Nachfolger; rund 650 Jahre später) erinnert, als lokale Stadtfürsten unter ägyptischer Oberherrschaft das Land beherrschten. Dass der ägyptische Einfluss im Mittleren Reich aber weit ins Landesinnere Palästinas reichte, ist unwahrscheinlich.
 
Im Süden wurde Unternubien durch Festungen gesichert, und im 18. Regierungsjahr Sesostris' I. stellte General Mentuhotep in der Festung Buhen am Nordende des 2. Katarakts eine Siegesstele auf, in deren Darstellung der Gott Month dem König eine Liste mit Gebieten südlich des 2. Katarakts übergibt, sie also der Herrschaft des Königs unterstellt. An erster Stelle der Liste mit den Ländernamen steht das Reich Kusch, das für die nächsten 500 Jahre bis zu seiner militärischen Auslöschung während des Neuen Reichs Ägyptens Feind Nummer 1 bleiben sollte.
 
Der Rivale in Kerma und die anderen nubischen Stämme
 
Nachdem in Unternubien mit der Entstehung des ägyptischen Staates und seinen wiederholten Feldzügen in dieses Gebiet die Kultur der A-Gruppe — mangels überlieferter Namen hat sich für diese Kulturen die Bezeichnung mit Buchstaben eingebürgert — verarmt und die Bevölkerung so dezimiert worden war, dass sie keinerlei archäologische Überreste hinterließ, wanderte in der 6. Dynastie aus dem Südwesten eine neue Bevölkerungsgruppe ins Niltal ein und setzte sich zwischen dem 1. und 2. Katarakt fest. Die Hochphase dieser C-Gruppen-Kultur verlief gleichzeitig mit dem Mittleren Reich und der Zweiten Zwischenzeit. Danach wurde sie vollständig von der ägyptischen Kultur aufgesogen. Bei der C-Gruppen-Kultur handelte es sich wohl um Stammesgesellschaften, die während des Mittleren Reiches, ohne besonders beeinflusst zu werden, neben ihren ägyptischen Besatzern herlebten. Erst für die Zeit nach dem Rückzug der ägyptischen Truppen in der Zweiten Zwischenzeit lassen sich größere Häuptlingssitze nachweisen, und die südlich des 2. Katarakts ansässige Kermakultur übte nun einen erheblichen Einfluss aus. Die C-Gruppen-Leute wurden in Tumulusgräbern beerdigt, deren Oberbau aus einem Ring aus aufgeschichteten rohen Steinen von 1,50 m —4,50 m Durchmesser bestand, der um den Grabschacht gelegt war, und der mit Sand und Geröll aufgefüllt und bisweilen oben mit flachen Steinen abgedeckt wurde. Anbauten von Kammern an der Ostseite zeugen von einem Totenkult, bei dem Opfergaben niedergelegt wurden. Darstellungen von Rindern auf Grabstelen, Keramik und anderen Objekten zeigen, dass sie wohl religiös bedeutsam waren.
 
Während des Mittleren Reiches wanderten aus der Ostwüste auch die ersten Angehörigen der Pfannengräberkultur in das Niltal ein, Nomaden, die vermutlich mit den seit dem Alten Reich in den ägyptischen Texten genannten und vornehmlich als Söldner verwendeten Medjaleuten identisch waren, und wurden sesshaft. Ein kriegerischer Zug der Pfannengräberleute zeigt sich vielleicht an den Waffenfunden in ihren Gräbern während der Zweiten Zwischenzeit. Allerdings stammen diese Funde hauptsächlich aus Ägypten selbst und könnten daher vielleicht auch mit der Söldnertätigkeit dieser Menschen in Ägypten in Verbindung stehen. Die Träger dieser Kultur unterscheiden sich nicht nur durch ihre pfannenförmigen Gräber von den nubischen Niltalbewohnern, sondern auch durch ihren Körperbau. Archäologische Relikte ihrer Kultur fanden sich verstreut bis nach Kassala im Süden. Wie wir aus den Semnadepeschen wissen, traten die Ägypter der Zuwanderung von Medjaleuten ins Niltal energisch entgegen. Bei diesen Depeschen aus der Zeit Amenemhets III. handelt es sich um Meldungen, die die Festungen in Nubien über Vorkommnisse in ihrem Bereich machten. Sie wurden in einem Grab der 12. Dynastie beim Ramesseum (Totentempel Ramses' II.) in Theben West gefunden. So gibt die Depesche Nr. 5 aus Elephantine an die anderen unternubischen Festungen die Meldung weiter, dass eine Gruppe von Medja, darunter Frauen, nach Elephantine gekommen sei und um Beschäftigung nachsuche. Obgleich bei den Medjaleuten nach ihrer Aussage eine Hungersnot herrschte, wurden sie nach einem Verhör in die Wüste zurückgeschickt. Andererseits bedienten sich die Festungskommandanten auch der Medjaleute als Fährtensucher, um die Bewegungen der einheimischen Bevölkerung zu kontrollieren. Sie wurden später auch gern als Polizisten eingesetzt, sodass die Bezeichnung Medja schließlich allgemein in der Bedeutung »Jäger«, »Polizist« verwendet wurde, ohne Rücksicht auf die Bevölkerungszugehörigkeit.
 
Etwa zeitgleich mit der C-Gruppe in Unternubien war in Obernubien zwischen dem 2. und dem 4. Katarakt die Kermakultur verbreitet, das Reich Kusch der Texte. Die ältesten nachweisbaren Kontakte zu den mächtigen, politisch bedeutsamen Häuptlingen von Kerma hatte Ägypten im Alten Reich, als Herchuf seine Expeditionen nach Jam unternahm, um von dort die kostbaren nubischen Produkte nach Ägypten zu schaffen. Das Zentrum dieser Kultur lag südlich des 3. Katarakts bei Kerma. Hier ist schon für die älteste Zeit eine befestigte Siedlung archäologisch nachgewiesen. Diese wie auch die häufigen Waffenfunde in den Gräbern deuten auf einen kriegerischen Charakter der Kermabevölkerung hin.
 
Der Standard des Kunsthandwerks war hoch. Kupfer wurde verarbeitet wie auch Gold und Silber. Die Hochphase der Kultur lag ebenfalls in der Zweiten Zwischenzeit, während der sie nicht mehr ständiger ägyptischer Bedrohung ausgesetzt war. Ihre Herrscher legten sich teilweise pharaonische Herrschaftsinsignien zu und hatten Ägypter in ihren Diensten.
 
In Kerma befindet sich ein großer Komplex religiöser Bauwerke, der noch nicht vollständig ausgegraben ist, und ein großer, aus Lehmziegeln errichteter Tempel ist auch heute noch weithin in der Ebene sichtbar. Gottheiten der Kermakultur sind zwar direkt nicht bekannt, aber nach Amuletten zu schließen, spielte der Falke eine Rolle, zumal der Herrscher von Kusch nach der Inschrift eines seiner ägyptischen Gefolgsleute den Horustempel in Buhen ausbauen ließ. Der Widder hatte ebenfalls große Bedeutung, und es scheint, dass der in Ägypten im Neuen Reich verehrte widderköpfige nubische Amun vielleicht auf eine Kermatradition zurückgeht.
 
Bestattet waren die Häuptlinge von Kerma auf Betten in riesigen Tumulusgräbern mit mehreren Kammern. Sie wurden von Menschenopfern begleitet, auch Widderopfer fanden sich. Große, ehemals ausgemalte Totenkapellen lassen auf einen Totenkult und damit auf den Glauben an ein jenseitiges Leben schließen.
 
Diesem dem Augenschein nach mächtigen und wehrhaften Reich sah sich Ägypten also gegenüber und führte wohl auch einen Konkurrenzkampf um die Ausbeutung der begehrten nubischen Produkte. Unternubien wurde annektiert und seit Sesostris I. die Grenze nach Süden durch einen enormen Festungskordon am 2. Katarakt abgeschottet, wobei die Grenzbefestigungen gleichzeitig als Brückenkopf für militärische Ausfälle nach Süden dienten.
 
Kampfmittel Magie
 
Gegen die äußeren, das heißt die nubischen und asiatischen Feinde, aber auch gegen die inneren wehrte man sich aber nicht nur durch militärische Maßnahmen und Repression, sondern suchte darüber hinaus wirksame Hilfe in der Magie, indem man mit Namen von Feinden und feindlichen Ländern beschriftete gefesselte Feindfiguren oder Tonschalen rituell vernichtete. Diese »Ächtungstexte« sind seit dem Alten Reich bekannt und werden im Mittleren Reich zahlreicher. Ein Depot solcher Figuren wurde zusammen mit anderen zum magischen Ritual gehörenden Requisiten in der Nähe der Festung Mirgissa, die Amenemhet II. gründete, beim 2. Katarakt in Nubien gefunden, offenbar vergraben nach einem wirklich praktizierten Vernichtungsritual. Aus Texten wissen wir, dass Mirgissa den Endpunkt darstellte, bis zu dem Handel treibende Nubier nach Norden passieren durften, und so war das Depot wohl dazu bestimmt, illegale Einreisen magisch zu verhindern. Unweit der Gruben mit den Figuren und den anderen Utensilien fand sich das menschliche Gegenstück zu den zerbrochenen Feindfiguren: das zerstückelte Skelett eines Nubiers, dem mit einem ebenfalls aufgefundenen Steinmesser der Kopf vom Rumpf abgetrennt worden war.
 
Der Aufbau ist geschafft
 
Die letzten drei Jahre regierte Sesostris I. gemeinsam mit seinem Sohn Amenemhet II. Die Aufbauleistungen dieser Zeit waren enorm. Die Herrschaft der 12. Dynastie wurde gefestigt und die ägyptische Präsenz in Unternubien mit der Anlage der Festungen Buhen, Ikkur, Aniba und Kuban konsolidiert; auch die Interessen in Vorderasien wurden gewahrt. Verglichen damit erscheint die Regierung Amenemhets II. (1919—1881) unspektakulär, aber die Interessensphären nach außen waren abgesteckt, und im Inneren konnten sich die Verhältnisse ohne Anstrengungen in den vorgegebenen Bahnen weiter entwickeln.
 
Auch Amenemhet II. hatte mit rund 38 Jahren Herrschaft eine lange Regierungszeit. Trotzdem ist aus seiner Zeit wenig bekannt. Als Kronprinz begleitete er den Gaufürsten des Antilopengaus, Ameni, auf eine Expedition nach Nubien, um von dort Gold zu holen. Aus seinem dritten Jahr stammt eine Reihe von Stelen, die vermutlich anlässlich des Beginns seiner Alleinherrschaft gestiftet wurden. Kisten mit dem Namen des Königs fanden sich im Tempel von Tod rituell vergraben. Sie enthielten einen Schatz von Edelmetallen und Halbedelsteinen, die zum Teil verarbeitet waren und einen mesopotamischen, syrischen und ägäischen Ursprung haben. Lange Zeit war die Datierung dieses Funds strittig — man glaubte, die Objekte stammten frühestens aus dem Neuen Reich —, aber mittlerweile ist gesichert, dass sie in die Zeit der 12. Dynastie gehören und teilweise anatolischen Ursprungs sind. Sie zeigen, dass der Handel blühte und der Wohlstand immens war, wie auch der unlängst entdeckte Schatz im Grab der Königin Weret in Dahschur beweist. Die schon erwähnte Stele mit Annalen aus der Zeit Amenemhets II., die in Memphis gefunden wurde, veranschaulicht darüber hinaus deutlich, dass die kriegerischen Unternehmungen in Asien dazu beigetragen hatten, dass derartige Schätze Ägypten erreichten. Denn sie nennt auch eine lange Liste von Produkten, die aus Asien ins Land kamen.
 
In den Annalen sind auch Tribute aus dem Medjaland und von Kusch genannt, was die Weite des ägyptischen Einflusses widerspiegelt. In Unternubien inspizierte ein Beamter die Festungen, und im 28. Jahr des Königs kehrte eine Puntexpedition über den Hafen Marsa Gawasis am Roten Meer nach Ägypten zurück. Auch auf dem Sinai ist die Anwesenheit des Königs belegt. Als er etwa 1881 v. Chr. starb, kam nach mehrjähriger Mitregierung Sesostris II. auf den Thron. Dessen höchstes Regierungsjahr auf zeitgenössischen Denkmälern ist das Jahr 8.
 
Vielleicht hat dieser König seine Pyramide bei Lahun (Illahun) am Eingang zum Faijum errichtet, weil er dieser Region seine besondere Aufmerksamkeit widmete. Das Faijum ist eine große Senke in der Libyschen Wüste, in die sich der Jussufkanal, der einzige Nebenarm des Nils, ergießt und sie zu einem großen See (Karunsee, im Altertum Mörissee) mit umliegenden Sumpfgebieten auffüllt. Durch Schutzdämme wurde ein Teil der Seefläche trockengelegt und für die Landwirtschaft nutzbar gemacht. Bei Lahun kam auch die große Pyramidenstadt mit ihren komfortablen Wohnbauten zutage. Sie war ein administratives Zentrum mit mehreren Tausend Einwohnern, in dem sich verschiedene Papyrusarchive mit den Kahun-Papyri fanden. Dabei handelt es sich um Dokumente administrativen und religiösen Inhalts. Einer der Papyri nennt ein Sothisdatum, das heißt ein Datum mit einem Frühaufgang des Sternes Sothis (Sirius), das bei den schwierigen und strittigen Berechnungen der absoluten Chronologie eine Rolle spielt.
 
Sesostris III.
 
Mit Sesostris III. kam etwa 1872 v. Chr. wieder ein politisch äußerst aktiver Herrscher an die Macht. Sein 19. Jahr ist sein spätestes zeitgenössisches Datum, das in den Kahun-Papyri sowie auf einer privaten Stele genannt wird; seine Regierungsdauer bleibt aber unsicher. Im Inneren ging er daran, die Verwaltung des Landes weiter zu konzentrieren. Die Gaue wurden nun zentral von drei besonderen Büros in der Residenz verwaltet. Ungeklärt bleibt dabei, ob es sich bei dieser von manchen Wissenschaftlern angenommenen »Abschaffung« der Gaufürsten um eine restriktive, gegen die Gaufürsten gerichtete Maßnahme des Königs handelt, um die Machtfülle dieser Personen zu beschneiden, die sich in ihren Gräbern teilweise Beinamen zulegten und Darstellungen anbringen ließen, die normalerweisen den Königen vorbehalten waren, oder ob die innere Reorganisation des Landes, wie bereits oben angedeutet, zu einer vermehrten Tätigkeit der Gaufürsten außerhalb ihrer Gaue führte und das Amt deshalb überflüssig wurde und verschwand. Chronologische Probleme lassen es darüber hinaus offen, ob einige Gaufürsten nicht sogar noch bis in die Zeit Sesostris' III. lebten. Innerhalb Ägyptens sind Aktivitäten Sesostris' III. an vielen Orten belegt, und auch Expeditionen in die Minengebiete fanden statt.
 
»Ich bin ein König, der spricht und handelt. Was mein Herz ersinnt, geschieht durch meinen Arm.«
 
Auch für eine aggressive Außenpolitik häufen sich nun die Belege. Ein Sebekchu unterrichtet uns über einen Zug nach Asien, bei dem die Stadt Sekemem eingenommen wurde. Die Identifizierung mit Sichem in Palästina nahe Samaria ist aber nicht sicher. Ein Block im Tempel Sesostris' III. in Medamud bei Karnak macht aber deutlich, dass asiatische Produkte, ob als Beute, Tribut oder als Handelsware, weiter nach Ägypten flossen.
 
Die oben zitierten Worte hat Sesostris III. auf seiner Stele in der Festung Semna am 2. Katarakt in Nubien gesprochen, und seine Politik konzentrierte sich so stark auf diese Gegend, dass er in dem von ihm gegründeten Semna, das ägyptisch »Mächtig ist Chakaure« heißt (Chakaure ist der Thronname Sesostris' III.), noch im Neuen Reich göttliche Verehrung wegen seiner Verdienste um die Sicherung Nubiens genoss. Denn hier schrieb er im 16. Jahr mit seinen Grenzstelen in Semna und auf der nahe gelegenen Nilinsel Uronarti die Grenze am 2. Katarakt »auf alle Ewigkeit« fest — sie liegt da noch heute. Das Südende des 2. Katarakts befestigte er durch mehrere Festungen und stieß darüber hinaus nach Süden gegen Kusch vor. Seine eigene aggressive Außenpolitik legitimierte er dabei mit der Nichtswürdigkeit und angeborenen Angriffslust der Nubier. Beim Dal-Katarakt etwa 85 km weiter südlich finden sich zwei Inschriften aus seinem 10. Regierungsjahr, die über die schwierigen Navigationsverhältnisse an diesem Ort Auskunft geben und offenbar auf der Rückfahrt von einem Zug gegen Kusch angebracht wurden. Zur Vorbereitung seiner Feldzüge hatte Sesostris III. bereits zu Beginn seiner Herrschaft den schon in der 6. Dynastie nachgewiesenen Kanal am 1. Katarakt ausbaggern lassen. Er trug den bezeichnenden Namen »Vollkommen sind die Wege des Chakaure«. Auch aus dem 19. Jahr des Königs ist ein Feldzug gegen Kusch belegt, und Beute von diesem Zug, namentlich Gold, erwähnt der Beamte Ichernofret in seinem Bericht über die Osirismysterien in Abydos.
 
Hier in Abydos legte der König auch ein großes Grab mit Totentempel an, in dem er bis zum Ende der 13. Dynastie einen Kult genoss. Aber ob er hier wirklich bestattet war oder in seiner Pyramide in Dahschur, lässt sich vorerst nicht entscheiden.
 
Das Faijum wird erschlossen
 
Es scheint, dass es bei Sesostris III. und seinem um 1853 v. Chr. nachfolgenden Sohn Amenemhet III. keine Doppelregierung gegeben hat. Als höchstes Regierungsjahr nennen die Kahun-Papyri für Amenemhet III. das Jahr 46.
 
Da unter Sesostris III. die außenpolitische Situation Ägyptens völlig stabilisiert worden war, hören wir aus der Zeit Amenemhets III. nur von einer militärischen Aktion in Nubien, und zwar im 9. Jahr des Königs in Kumma am 2. Katarakt, der Semna gegenüberliegenden Festung am Ostufer des Nils. Aus der Zeit des Königs stammen die schon genannten Semnadepeschen, die zeigen, unter welch strenger Überwachung Nubien stand.
 
Bis zum Ende der Regierung Amenemhets III. (1809) fanden zahlreiche Expeditionen in die Minengebiete und Steinbrüche sowohl auf dem Sinai als auch in die Ostwüste und nach Nubien statt. Beim Djebel Zeit nahe dem Roten Meer lagen ausgedehnte Minen, in denen Galena, die schwarze Augenschminke der Ägypter, in verzweigten unterirdischen Galerien abgebaut wurde. Ein Heiligtum mit Votivgaben und -statuetten fand sich ebenfalls am Platz. Der älteste dort belegte Königsname ist der Amenemhets III., doch kann auch ein früherer Betrieb der Minen nicht ausgeschlossen werden.
 
In Ägypten selbst ist das wichtigste Projekt Amenemhets III. die Kolonisierung des Faijums. Durch die Errichtung von Dämmen wird weiteres Ackerland gewonnen. Nachdem seine erste Pyramide bei Dahschur durch Bewegungen im Baugrund beschädigt worden war, errichtete der König eine zweite größere im Faijum bei Hawara, die vermutlich mit dem berühmten Labyrinth Ägyptens der antiken Schriftsteller identisch ist. Gegen Ende seiner Regierung baute er noch einen Tempel in Medinet Madi, in dem neben dem Krokodilgott Sobek die Erntegöttin Renenutet verehrt wurde. Sicherlich ist diese Kultstätte mit Amenemhets Bemühungen im Faijum in Zusammenhang zu sehen. Erst die Ptolemäer in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten konnten die Anbaufläche des Faijums noch einmal vergrößern, als die neuen Bewässerungsmethoden mit der Sakije, dem Schöpfrad, wieder einen Fortschritt ermöglichten. In dieser Zeit ist auch die Vergöttlichung Amenemhets III. in dieser Region belegt, die als ein Zeugnis für seine wohl schon damals als große Leistung empfundene Aktivität in dieser Region zu werten ist. Mit Amenemhet III. ist die seit dem Alten Reich greifbare innere Kolonisierung Ägyptens im Wesentlichen abgeschlossen.
 
In der Verwaltung war Ägypten zu einem Beamtenstaat mit einem Wesir als oberstem Beamten geworden. Eine große Anzahl von mittleren und kleinen Beamten gewährleistete den reibungslosen Ablauf aller Verwaltungsaufgaben, die so eingespielt waren, dass das System selbst nach dem Ende der Dynastie noch lange Zeit stabil blieb.
 
Ein abruptes Ende
 
Nach der langen Regierung Amenemhets III. bestieg Amenemhet IV. (1809—1800) den Thron. Der neue König hinterließ trotz seiner zehnjährigen Regierung kaum aussagekräftige Monumente. Eine Pyramide des Herrschers wurde nicht aufgefunden, aber Expeditionen in den Sinai sind belegt. Offenbar starb er ohne Erben, denn nach ihm bestieg mit Nofrusobek eine Frau den Thron. Sie scheint eine Tochter Amenemhets III. gewesen zu sein. Vier Jahre hat sie geherrscht und eine komplette Titulatur angenommen. Da sie auch der Turiner Königspapyrus aufführt, ist ihre Regierung wohl als legitim angesehen worden. Aber offenbar hatte auch sie keinen Erben, denn mit ihr endet die 12. Dynastie.
 
Die meisten Wissenschaftler lassen hier auch das Mittlere Reich enden und mit der folgenden 13. Dynastie die Zweite Zwischenzeit beginnen. Doch ist dies eine Frage der Beurteilung, denn in der folgenden 13. Dynastie ist nicht wie im Alten Reich ein Zerfall zu konstatieren, sondern es fehlte ganz offensichtlich nur ein legitimer Thronfolger aus der Linie Amenemhets I. Diese hatte ungefähr 200 Jahre ohne Unterbrechung geherrscht, und die 13. Dynastie schloss sich direkt an die Vorgängerin an und regierte auch zunächst in Lischt. Papyri von Kahun und Theben dokumentieren den Fortbestand der Verwaltung, und auch in der Kunst unterschied sich die 13. Dynastie zunächst nicht von der 12., sodass es berechtigt scheint, zumindest die Zeit bis zur Eroberung von Memphis durch die Hyksos noch zum Mittleren Reich zu rechnen. Das Einzige, was für uns die 13. Dynastie von der 12. Dynastie unterscheidet, ist der rasche Wechsel der Könige und die Tatsache, dass wir nicht wissen, wer in der 13. Dynastie König werden konnte und wie.
 
Nun könnte man hier einwenden, die Frage nach der Person und ihrer Herkunft sei untergeordnet, solange das Amt gut besetzt wird. Aber die Verbindung des ägyptischen Königtums — im Sinne einer Staatslehre — mit dem Osirismythos, der sich mit der Erbberechtigung des Sohnes gegenüber dem Bruder auseinander setzt, zeigt, dass die Bedeutung, die hier der Erbfolge zugemessen wird, nicht etwa aus unseren kulturellen Zusammenhängen erwächst; für den Ägypter war damit die Legitimität einer Herrschaft dokumentiert. Allerdings kennt die ägyptische Königsideologie neben der Legitimation durch das Erbe auch die durch den göttlichen Willen. Gott bestimmt die Person des Königs zum Herrscher bereits »im Ei«, das heißt, als dieser sich noch im Mutterleib befand, und als drittes Legitimationsprinzip tritt das der Wirksamkeit hinzu. Götter und auch der König unterliegen dem Ordnungsprinzip der Maat. Richtet sich die Regierung eines Königs nicht nach den Prinzipien der Maat, zieht dies als Konsequenz den politischen Misserfolg bis hin zur Störung der allgemeinen Lebensgrundlagen wie Nilüberschwemmung oder Fruchtbarkeit nach sich. Fähigkeiten und notwendige Eigenschaften für die Ausübung des Königsamtes, also die Voraussetzungen für die Wirksamkeit, werden dem König von den Göttern verliehen, sodass die Prinzipien der Erwählung durch Gott und der Wirksamkeit die 13. Dynastie wohl auch in den Augen der Ägypter zur Herrschaft legitimierten. Für uns bildet sie einen Einschnitt; wir rechnen sie wegen ihrer Besonderheiten zur Zweiten Zwischenzeit.
 
 Die Zweite Zwischenzeit und das Neue Reich (bis zur 18. Dynastie)
 
Manetho nennt für die 13. Dynastie (etwa 1797—1634) 60 Könige, und mit den auf den zeitgenössischen Denkmälern überlieferten etwa 50 Königsnamen sowie den Eintragungen des Turiner Königspapyrus erscheint diese Anzahl glaubwürdig. Unsicher bleibt allerdings die Dauer dieser Dynastie, die sich generell aus dem Intervall zwischen dem Ende der 12. Dynastie und dem Beginn der 18. Dynastie errechnet.
 
Etwa 91 Jahre, gegenüber den 108 Jahren im Turiner Königspapyrus, veranschlagt die Wissenschaft heute für die Hyksoszeit (15. Dynastie), mit der die 16. Dynastie der Hyksosvasallen und die 17. Dynastie der thebanischen Könige in Oberägypten im Wesentlichen gleichzeitig sind. Die 14. Dynastie setzt sich aus lokalen Kleinkönigen zusammen, die mit der fortgeschrittenen 13. Dynastie im Ostdelta in Erscheinung treten.
 
Wer sind die Könige der 13. Dynastie?
 
Wenn in der 13. Dynastie auf der einen Seite ein häufiger Königswechsel erkennbar ist, so lassen sich auf der anderen Seite weder Belege für Machtkämpfe, einflussreiche Wesire, die als Königsmacher auftreten, oder gar für Soldatenkönige wie etwa im späteren Römischen Reich finden. Mutmaßlich kamen die zahlreichen Herrscher aus dem Umkreis des Hofes und gehörten einflussreichen Familien an, wobei wir allerdings nur einmal eine Familiengruppe sicher nachweisen können. Aber für diese Annahme spricht, dass die Residenz in Lischt während der 13. Dynastie beibehalten wurde, und auch, dass einige der Könige mit ihren Namen auf die 12. Dynastie Bezug nahmen und andere in ihrem Namen den des Krokodilgottes Sobek führten. Dieser genoss insbesondere im Faijum Verehrung, in dessen unmittelbarer Nähe Lischt ja liegt.
 
Von manchen Königen ist bekannt, dass sie aus der Beamtenschicht stammten. Andere waren asiatischer Herkunft. Ursprünglich gehörten diese Asiaten wohl zu der Gruppe der Kriegsgefangenen und Bediensteten, die im Mittleren Reich in die Tempel, großen Haushalte und wohl auch an den Königshof gekommen waren und infolge ihrer besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten in führende Positionen gelangten. Einzelne Könige trugen auch Namen, die sich von Titeln herleiten, wie Mermescha »der General«.
 
Zu den Königen, die aufgrund der von ihnen erhaltenen Denkmäler erwähnenswert sind, gehört der Erste, der den bezeichnenden Thronnamen »Der die Beiden Länder (das heißt Ägypten) schützt, ein Re« angenommen hat und den Geburtsnamen Ugaf (Nr. 1; die Nummerierung bezieht sich auf die Reihenfolge der 50 überlieferten Könige der 13. Dynastie) trägt. Er hat ein Edikt erlassen, das das heilige Gebiet des Gottes Upuaut in Abydos vor weiterer Überbauung durch Grabstätten schützen sollte.
 
Eine ausländische Delegation
 
Aus der Regierungszeit Sebekhoteps II. (Nr. 12) stammt wahrscheinlich die Haupthandschrift des Papyrus Boulaq 18, die ein Rechnungsbuch des königlichen Hofes über zwölf Tage enthält. Der Papyrus wurde in Theben West im Grab eines Schreibers des königlichen Harems gefunden. Akribisch vermerkt er sämtliche Einnahmen und Ausgaben. So erfahren wir nicht nur, dass der Amuntempel täglich hundert Brote liefern musste, sondern auch, dass eine Delegation von Medja mit Häuptlingen zu einem diplomatischen Besuch anreiste. Leider wissen wir nicht, aus welchen Anlass sie eintraf. Da die Anweisung zu ihrer Verpflegung dem Wesirbüro entstammte, muss es sich bei dem Besuch um eine Angelegenheit auf höchster Ebene gehandelt haben. Dies ist für uns von besonderem Interesse, da ein solcher diplomatischer Besuch den sonstigen offiziellen Inschriften entgegensteht, die Ausländer in der Regel nur in der Rolle von Feinden, Unterworfenen oder Gefangenen nennen.
 
Gegen Ende der 13. Dynastie lässt sich ein zunehmend militärischer Trend feststellen, und zwei Entwicklungen demonstrieren einen Bruch im Verlauf der 13. Dynastie: Im Ostdelta bildete sich die 14. Dynastie heraus, die die Einheit des Landes unter einem Herrscher zerstörte. Der uns namentlich unbekannte Vater eines Königs Nehesi gründete in Auaris (heute die Ruinenstätte Tell ed-Daba bei Kantir) im Ostdelta eine Residenz. Königsgott der neuen Dynastie wurde der nordsyrische Wettergott Baal-Zephon; er verschmolz mit dem ägyptischen Gott Seth zum »Seth von Auaris«, der in asiatischer Gestalt auftrat. Auch andere kanaanäische Gottheiten wurden verehrt. Offenbar stützte sich dieses Kleinkönigreich auf dort lebende Asiaten und bildete so den Kern für das spätere Reich der Hyksos. Zweitens war eine starke Zuwanderung von Asiaten ins Delta zu verzeichnen, die schließlich zur Übernahme der Macht durch die Hyksos führte.
 
In dieser Zeit der späten 13. Dynastie bildeten sich zudem, nach der Herkunft der Quellen zu urteilen, in Abydos und Theben zwei Machtzentren in Oberägypten heraus. Die dort herrschenden Könige scheinen zeitgleich mit den ersten Hyksos und den ersten Königen der 17. Dynastie zu sein, die später den Befreiungskampf gegen die Hyksos aufnahm.
 
Die Hyksos — Herrscher der Fremdländer
 
Seit 1750 v. Chr. stießen immer mehr Asiaten ins Delta vor, und schließlich ging die Herrschaft auf sie über (um 1634 v. Chr.). Bei Manetho erscheinen sie unter der gräzisierten Bezeichnung »Hyksos«, einem Begriff, der auf das altägyptische heqa-chasut »Herrscher der Fremdländer« zurückgeht. Hyksos ist also nicht der Name eines fremden Volkes, sondern bezeichnet in engerem Sinn die fremden Herrscher, die sich auch selbst so titulierten. Nach Manetho handelt es sich bei den Hyksos um Eindringlinge, die das Land praktisch kampflos überwältigten, anschließend jedoch Städte und Tempel verwüsteten und die einheimische Bevölkerung drangsalierten. Von Verwüstungen durch diese Asiaten und einer Vernachlässigung der Tempel spricht auch die Königin Hatschepsut. Doch scheinen diese Darstellungen nach den wissenschaftlichen Befunden eher als Propaganda einzustufen zu sein. Denn unter den Hyksos blühten Literatur und Wissenschaften. Der schon genannte Papyrus Westcar ist in der Fassung der Hyksoszeit erhalten, und der Papyrus Rhind, ein wichtiger mathematischer Traktat, wurde im Jahr 33 des Hyksos Apophis niedergeschrieben. Es hat demnach nicht den Anschein, als ob die Hyksos die ägyptische Kultur wirklich zu unterdrücken versuchten.
 
Vermutlich waren die Asiaten im Ostdelta zum großen Teil westsemitische Amurriter (Amoriter), die aus Kanaan und von der syrischen Küste eingewandert waren. Ihre Kultur behielten sie auf ägyptischem Boden im Wesentlichen bei, und so lassen sie sich archäologisch im Delta östlich des Pelusischen (des östlichsten) Nilarmes nachweisen, in Tell el-Jahudije nördlich von Heliopolis sowie am Ostausgang des Wadi Tumilat. Im übrigen Delta und auch in Oberägypten fehlen entsprechende Fundplätze, sodass wir davon ausgehen müssen, dass die Hyksos diese Landesteile nur von einigen strategischen Punkten aus über Garnisonen oder durch ein Vasallensystem kontrollierten. Dass sie kriegerische Individuen waren, zeigen ihre Gräber, in denen viele Männer mit Streitaxt und Dolch bestattet waren. Pferd und Streitwagen brachten sie nach Ägypten mit, und der älteste Beleg des Krummschwertes (ägyptisch chepesch) stammt aus Tell ed-Daba.
 
Zumindest in der späten 15. Dynastie trat aber noch eine ägäische Komponente mit ins Spiel. Der Fund von minoischen Fresken mit Darstellungen von Stierspringern und Stuckreliefs in Tell ed-Daba, der ehemaligen Hyksosstadt Auaris, zeigt Verbindungen zwischen den Hyksos und der minoischen Welt.
 
Die wichtigsten der insgesamt sechs Hyksosherrscher waren Chajan und Apophis, von dem sich im Tempel von Gebelen (südlich von Theben) eine Inschrift fand. Da dieser König über eine ganze Anzahl von Schiffen aus Zedernholz verfügte, muss er an der phönikischen Küste ebenfalls Einfluss besessen haben. Generell dehnte sich der direkte Machtbereich der Hyksos in Ägypten im Süden bis Hermopolis aus. In Vorderasien lag der Schwerpunkt der Herrschaft in Südpalästina mit einigen Stützpunkten im Norden bis Kabri. Im südlichen Oberägypten in der Thebais scheint ihre Herrschaft nur schwach gewesen zu sein, sodass hier mit dem Haus des Ahmose in der 17. Dynastie ein starker Gegner heranwachsen konnte.
 
Ein Fürst fällt im Kampf — Sein Nachfolger hat mehr Erfolg
 
Zwar sind Kämpfe des vorletzten Königs der 17. Dynastie, Sekenenre Taa (»der Tapfere«), gegen die Hyksos nicht durch zeitgenössische Inschriften belegt, aber die volkstümliche, leider nur in ihrem Anfang erhaltene Geschichte des Papyrus Sallier I aus der späteren 19. Dynastie macht es sehr wahrscheinlich, dass schon dieser Herrscher gegen den Hyksos Apophis kämpfte. Die Handschrift nennt Sekenenre in Theben und Apophis in Auaris als Gegner in einem Streit mit religiösen Untertönen. Danach beschwerte Apophis sich, das Gebrüll der Nilpferde in Theben würde ihn um den Schlaf bringen. Das Nilpferd war ein Tier des Gottes Seth, den die Hyksos bekanntlich verehrten, während ägyptische Pharaonen rituelle Nilpferdjagden veranstalteten (sodass die Nilpferde vor Angst und Schmerz brüllten). Da der Papyrus den historischen Hintergrund zu der Geschichte richtig präsentiert und die Mumie des Königs Sekenenre nicht nur tödliche Verletzungen aufweist, die auf einen asiatischen Streitaxttyp zurückzuführen sind, wie forensische Untersuchungen ergaben, sondern darüber hinaus auch Verletzungen von Keulenschlägen, erscheint es als sicher, dass der König im Kampf mit den Hyksos gefallen ist.
 
Von seinem Sohn und Nachfolger Kamose haben wir dann inschriftliche Nachricht über Kämpfe gegen die Hyksos. Kamose griff zunächst die Hyksosvasallen in Mittelägypten an und besiegte sie. Dann wandte er sich gegen Nubien, wo in der Nähe von Toschke zwei Inschriften des Königs gefunden wurden. Ebenso ist er in Buhen am 2. Katarakt belegt. Er hat also vermutlich erst ganz Unternubien gesichert, um sich den Rücken freizuhalten, bevor er den direkten Kontakt mit den Hyksos wagte. Der Herrscher von Kusch hatte nämlich gegen Ende der 13. Dynastie sein Gebiet über ganz Unternubien ausdehnen und seine Grenze bis Elephantine vorschieben können. Auf der zweiten Kamosestele erfahren wir, dass der Hyksoskönig durch Boten einen Brief an den Herrscher von Kusch gesandt hatte, um diesen aufzufordern, Ägypten von Süden her anzugreifen, während er Kamose im Norden festhalten, ihn also in einen Zweifrontenkrieg verwickeln wollte. Anschließend sollte Ägypten zwischen dem Hyksos und dem Herrscher von Kusch in Kerma aufgeteilt werden. Ob eine solche Gefahr wirklich bestand oder Kamose nur einen Vorwand zum Angriff lieferte, wissen wir nicht. Jedenfalls kam es nicht dazu, denn Kamose fing den Boten mit der Nachricht in der Oase ab und schickte ihn zurück nach Auaris.
 
Dennoch konnte Kamose den Hyksos nicht besiegen und Ägypten wieder vereinigen. Dies gelang erst seinem Nachfolger Ahmose (Amosis), dem ersten König der folgenden 18. Dynastie und damit des Neuen Reiches.
 
Die Bedeutung der Zweiten Zwischenzeit
 
Im Rahmen der ägyptischen Geschichte ist die lange, rund 250 Jahre andauernde Zweite Zwischenzeit mit dem Zerfall der Einheit des Landes anders zu bewerten als die Erste Zwischenzeit.
 
Die Entwicklung war am Ende des Mittleren Reiches gewissermaßen zum Stillstand gekommen, und erst mit den Umbrüchen in der Zweiten Zwischenzeit kam neue Bewegung in die fest gefügten Strukturen. Die politischen Veränderungen, denen sich Ägypten mit der Hyksosherrschaft sowie dem Aufstieg des Reiches von Kerma gegenübersah, machten erstmals Kämpfe um die eigene Unabhängigkeit notwendig. Und da die fremden Könige der 15. Dynastie auch den größten Teil des ehemaligen Herrschafts- und Einflussgebiets des Mittleren Reiches in Vorderasien beherrschten, fand Ägypten nach der Vertreibung der Hyksos auch dort eine veränderte politische Lage vor. Diese erzwang ständige Auseinandersetzungen mit den Hurritern und später den Hethitern über die jeweiligen Einflussgebiete und führte dazu, dass Ägypten nun in großem Stil ein Imperium errichtete, also Großmacht unter konkurrierenden Großmächten wurde.
 
Durch die direkte Einbeziehung von Palästina in den ägyptischen Machtbereich bekamen palästinische Erfindungen und Ideen jetzt leichteren Zugang nach Ägypten. Hier sind noch einmal Pferd und Wagen zu erwähnen sowie Dolch und zusammengesetzter Bogen, also Kriegswaffen, die die Schlagkraft des Heeres erhöhten. Aber noch etwas anderes kam hinzu: In den ägyptischen Königsinschriften legen seit Kamose die Könige immer häufiger vor Gott über historische Ereignisse Rechenschaft ab.
 
In einer ähnlichen Situation wie in Vorderasien befand sich Ägypten in Nubien, wo mit der Zurückdrängung des Rivalen in Kerma zunächst das Herrschaftsgebiet des Mittleren Reiches in Unternubien wiederhergestellt und später, nach Ausschaltung des Konkurrenten von Kusch, sein Machtbereich bis zum 4. Katarakt ausgedehnt wurde.
 
Die Vertreibung der Hyksos — Die 18. Dynastie
 
Nach dem Tod des Kamose etwa 1543 v. Chr. wurde sein Bruder Ahmose noch als Kind König, vermutlich mit Unterstützung seiner Mutter Ahhotep und deren Mutter Tetischeri. Ihm gelang es schließlich — möglicherweise erst nach seinem 18. Regierungsjahr — Auaris einzunehmen. Auf der Rückseite des schon genannten mathematischen Papyrus Rhind, auf einem zur Verstärkung der Rolle aufgeklebten Stück Papyrus, findet sich aus dem 11. Jahr eines ungenannten Königs, wohl des Hyksos Chamudi, eine Nachricht über die Einnahme der Grenzfestung Sile an der Mündung des Pelusischen Nilarmes am Ostrand des Deltas. Es scheint demnach, als ob Ahmose zunächst die Nachschubwege des Hyksos unterbrach, bevor er sich Auaris zuwandte. Denn erst danach belagerte er die Stadt selbst. Ein Offizier, der ebenfalls den Namen Ahmose trug, Sohn einer Abana, beschreibt dies in seinem Grab in El-Kab: Bei verschiedenen Feindberührungen zu Wasser und zu Lande habe er sich ausgezeichnet, indem er Gefangene machte und zum Zeichen, dass er Feinde getötet hatte, (abgeschnittene) Hände beibrachte. Dafür wurde er mit »Lobgold« belohnt. Als Auaris fiel und zur Plünderung freigegeben wurde, machte er Beute. Drei Frauen und ein Mann wurden ihm als Sklaven überlassen. Die Hyksos zogen sich nach dem Fall von Auaris in ihre Festung Scharuhen zurück, dem heutigen Tell el-Ajul, 7 km südlich von Gaza. Sie musste drei Jahre lang belagert werden, bevor sie fiel. Überreste einer Darstellung von der Einnahme von Auaris fanden sich, leider nur noch fragmentarisch als Reliefsplitter, beim Pyramidentempel König Ahmoses in Abydos.
 
Reorganisation des Reiches und Großmachtstreben
 
Nach der Eroberung auch des Hyksosreiches in Südpalästina ging Ahmose gegen Nubien vor, indem er über den 2. Katarakt hinaus vorstieß und die Insel Sai besetzte. Dieser Brückenkopf öffnete den Weg nach Süden gegen Kerma. Das eroberte Unternubien erhielt eine straffe ägyptische Verwaltung, durch die die Ausbeutung der Goldminen und der anderen damals kostbaren Rohstoffe sichergestellt wurde. Ahmose führte das Amt eines »Vorstehers der südlichen Fremdländer« ein und schuf den Titel »Königssohn«, aus dem später das Amt des »Königssohns von Kusch« entstand, der gleich einem Vizekönig nach der Annexion Gesamtnubien verwaltete.
 
Ägypten lag nun wieder in seinen ursprünglichen Landesgrenzen wie im Mittleren Reich. Im Inneren wurde das neu geeinte Land geordnet. In Abydos ließ der König seine Großmutter Tetischeri verehren. Auch seine Mutter Ahhotep II., deren politische Verdienste um die Wahrung des inneren Friedens er auf einer Stele in Karnak insbesondere erwähnt, erhielt einen Kult, während er für seine Gemahlin Ahmose-Nefertari das Amt einer Gottesgemahlin einführte. Damit wurde zur weiteren religiösen Legitimation des Königtums die Fiktion von der Gottessohnschaft des Königs institutionalisiert, nach der der Gott Amun in Gestalt des regierenden Königs mit der Königin den Thronfolger zeugt. Der Gott Amun, der schon im Mittleren Reich an Einfluss gewonnen hatte, wird nun zum unangefochtenen Staatsgott Ägyptens.
 
Der Sohn und Nachfolger Ahmoses, Amenophis I. (etwa 1517—1497), nahm als Horusnamen »Stier, der die Länder ergreift« und als Herrinnennamen »Groß an Schrecken« an und demonstrierte damit die Absicht zu einer offensiven Außenpolitik, die sich auch in dem als Ziel genannten Vorhaben äußerte, die Grenzen Ägyptens zu erweitern. Ein Kriegszug gegen Kusch fand statt, wobei der feindliche Führer inmitten seiner Truppen vom König erschlagen wurde. Das Kermareich wurde aber dadurch nicht vernichtet, denn noch zu Beginn der 18. Dynastie legte sich dort ein Fürst ein unlängst entdecktes Grab an.
 
Im Inneren entfaltete Amenophis I. eine weitläufige Bautätigkeit in einer allgemeinen kulturellen Blütezeit. Der König und seine Mutter Ahmose-Nefertari genossen in Theben West bis zum Ende des Neuen Reiches eine große Verehrung, die vielleicht damit zusammenhing, dass unter seiner Regierung das Unterweltsbuch »Amduat« (»Das, was in der Unterwelt ist«) in seiner endgültigen Fassung redigiert wurde. Es findet sich zuerst unter seinem Nachfolger Thutmosis I. in dessen Grab abgebildet. Das Werk beschreibt die Fahrt des Sonnengottes in der Nacht durch die Unterwelt mit ihren verschiedenen Regionen und Bewohnern, Seligen und Verdammten.
 
Mit Amenophis I. starb die Linie des Sekenenre aus. Über die Abkunft Thutmosis' I. (etwa 1496—1483 v. Chr.) weiß man außer dem Namen seiner Mutter nichts. Sein Thronbesteigungsdatum und die Königstitulatur ließ er sofort nach seinem Regierungsantritt dem Königssohn und Vorsteher der südlichen Fremdländer, Turi, in Nubien zustellen, der sie auf drei Denksteinen in Assuan, Kuban und Wadi Halfa »veröffentlichte«. Ließen sich die außenpolitischen Aktivitäten der Vorgänger Thutmosis' I. noch als Maßnahmen im Rahmen des Befreiungskampfes gegen die Hyksos und die Bedrohung Ägyptens durch das eventuelle Bündnis der Hyksos mit Kusch einstufen, so brach nun eine Zeit an, in der Ägypten ganz bewusst eine Großmachtstellung im Geflecht der internationalen Beziehungen und in Nubien den Status einer Kolonialmacht anstrebte.
 
Durch den Befreiungskrieg hatte sich in Ägypten das Gewicht vom zivilen Sektor auf das Militär verlagert. Bildete ehedem die Schreiberlaufbahn die Voraussetzung für eine Karriere im ägyptischen Beamtenstaat, so konnte im Neuen Reich auch eine militärische Karriere Ausgangspunkt für hohe und höchste Staatsämter sein. Dies und auch die Möglichkeiten für einfache Soldaten, Beute zu machen oder ausgezeichnet und belohnt zu werden, dürften mit dem Reichtum, der durch die Eroberungen ins Land kam, weite Kreise der Bevölkerung der expansionistischen Politik gewogen gemacht haben. Militärische Auseinandersetzungen erhielten damit im Rahmen des staatlichen Handelns ein besonderes Gewicht, und vielleicht ist es daher sinnvoll, sich einige grundsätzliche Gedanken zum Phänomen »Krieg« zu machen, das durchaus nicht in allen historischen Epochen und Gesellschaftstypen präsent ist.
 
Bedeutet Geschichte »Taten großer Männer«?
 
Auch wenn die ägyptische Geschichte sich uns als eine Serie von »Heldentaten«, »kulturellen Leistungen« oder tief greifenden, weisen und weit reichenden Überlegungen und politischen Entscheidungen einzelner aufeinander folgender Könige darbietet, wäre ein derartiges Verständnis der Zusammenhänge natürlich eine abwegige Verzerrung der realen Verhältnisse. Auch in Ägypten gab es, wie überall, wo »Macht« wirksam ist, gesellschaftliche Kräfte, die unterschiedliche politische Ziele verfolgten. Wenn wir dennoch die Ereignisse und den ägyptischen Geschichtsverlauf fast ausschließlich an den Namen von einzelnen Königen festmachen, so hängt dies mit der spezifischen Art der ägyptischen Quellen zusammen, die den König entsprechend dem Königsdogma in überragender, gottgleicher Stellung und Tatkraft als einzig Handelnden präsentieren. Ihm gegenüber schrumpft das Potenzial aller anderen am Geschichtsverlauf Beteiligten auf Zustimmung und Mithilfe bei der Ausführung seiner Pläne zusammen. Dies Bild der Texte hindert uns, die wirklichen Sachverhalte adäquat zu erfassen, denn alternative Darstellungen oder gar Bewertungen fehlen in der Regel.
 
Die Vernichtung des Herrschers von Kusch und Ausgriff nach Asien
 
Schon zu Anfang seiner mindestens dreizehnjährigen Regierungszeit wandte sich Thutmosis I. gegen das Reich Kusch am mittleren Nil, obgleich inzwischen ganz Unternubien der Südgrenze Ägyptens als Pufferzone vorgelagert war und es daher als zweifelhaft erscheint, ob die Kuschiten in der Lage gewesen wären, Ägypten selbst anzugreifen. Thutmosis I. drang bis zum Felsgebiet des Hagar el-Merwa zwischen dem 4. und 5. Katarakt vor, wo er eine Felseninschrift hinterließ, mit der er sein Interessengebiet offiziell absteckte. Der Anspruch wurde später von Thutmosis III., der daneben eine Inschrift anbrachte, gewissermaßen ratifiziert. Nach der Tumbosinschrift nördlich von Kerma wurden die kuschitischen Truppen eingekesselt und niedergemacht. Ahmose, Sohn der Abana, abermals mit von der Partie, berichtet, der König selbst habe den feindlichen Fürsten getötet, dessen Leiche dann kopfüber am Bug des Schiffes aufgehängt und im Triumph nach Ägypten mitgeführt. Die Verweigerung des Begräbnisses verhinderte nach ägyptischer Vorstellung einen ordnungsgemäßen Übertritt des Toten ins Jenseits, während das »Auf-den-Kopf-Stellen« das Los der Verdammten im Jenseits mit einer entsprechenden Umkehrung der Körperfunktionen vorwegnehmen sollte.
 
Es scheint, als hätte dieser Feldzug das Reich von Kusch in seinem Kern getroffen. Doch Widerstand gegen die ägyptische Besetzung flammte insbesondere unter Thutmosis II. wieder auf, und erst mit Thutmosis III. kann Kusch als unterworfen gelten.
 
Auch in Asien drang Thutmosis I. sehr weit, nämlich bis an den Euphrat, vor, um ägyptisches Einflussgebiet zu sichern. Von ihm wissen wir, dass er auch am Euphrat eine Inschrift hinterließ, die Thutmosis III. wiederum mit einer eigenen bekräftigte. Mit den Grenzen Euphrat und Hagar el-Merwa sind die Interessensphären Ägyptens für die kommenden Jahrhunderte festgelegt.
 
Der Vorstoß Thutmosis' I. gilt gewöhnlich als Abwehrreaktion gegen die südwärts drängenden Hurriter, die zwischen Euphrat und dessen linkem Nebenfluss Khabur in Nordmesopotamien das Reich Mitanni gegründet hatten. Sie nahmen starken Einfluss auf die nordsyrischen Stadtstaaten, voran Kadesch und Tunip, und schufen hier Abhängigkeiten. Die Pufferzone wie auch vor allem seine entfernte und geschützte Lage standen aber wohl einer Besetzung Ägyptens durch das hurritische Mitannireich oder später durch die Hethiter entgegen. Insofern waren, wie im Fall von Kusch, sicher auch andere Gründe als ausschließlich die Sorge um die eigene Sicherheit maßgebend für die ägyptischen Eroberungen. Neben dem Machtstreben im internationalen Spiel der Kräfte dürfen wir wohl den Profit, den Ägypten aus den Eroberungen zog, als einen Anreiz sehen. Die Öffnung nach außen und die Güter, die als Folge der Kriege ins Land flossen, setzten eine ganze Reihe von Prozessen in Ägypten selbst in Gang, die zu einer wesentlichen Entwicklung der Gesellschaft und zu Wohlstand für größere Kreise führten.
 
Politische Meinungsverschiedenheiten unter Hatschepsut und Thutmosis III.
 
Thutmosis II., der mit seiner Halbschwester Hatschepsut, Tochter Thutmosis' I. und der Großen königlichen Gemahlin Ahmose, verheiratet worden war, regierte nur kurz. Als Erben hinterließ er nur den Sohn einer Nebenfrau, Thutmosis III. Wegen dessen jugendlichen Alters führte zunächst Hatschepsut als Regentin die Regierungsgeschäfte für den Stiefsohn, nahm dann aber auch selbst eine vollständige Königstitulatur an und trat, ohne Thutmosis III. zu verdrängen, zusammen mit diesem als Mitregenten auf. In den Texten und Darstellungen ihres Totentempels in Deir el-Bahari beschreibt sie ihre göttliche Abstammung; als Tochter des Gottes Amun sei sie von diesem zur Thronerbin bestimmt worden. Nach demselben Denkmal hat auch ihr Vater Thutmosis I. sie anlässlich einer Thronsitzung vor dem Hof als Nachfolgerin designiert. Da Hatschepsut bereits während der Regierung Thutmosis' II. eine dominante Stellung einnahm und sie dem genannten Text zufolge ihren Vater auch bei offiziellen Anlässen begleitete, scheint es durchaus möglich, dass er sie unterstützte, die Tradition der ehedem einflussreichen Frauen des Hauses von Ahmose fortzusetzen. 22 Jahre saß Hatschepsut auf dem Thron der Pharaonen. Dass die späteren Königslisten Hatschepsut verschwiegen und dadurch als illegitim kennzeichneten und ihr Name in den späteren Jahren der Alleinherrschaft Thutmosis' III. von den Denkmälern gelöscht wurde, heißt wohl, dass Hatschepsut die zentrale Gestalt einer politischen Fraktion am Hof war. Zu den sie unterstützenden Persönlichkeiten gehörte Senenmut, der schon unter Thutmosis II. ein wichtiger Amtsträger war und seine Karriere unter Hatschepsut in außergewöhnlichem Maße fortsetzen konnte. Möglicherweise handelte es sich bei den Befürwortern und Gegnern der Hatschepsut um Anhänger unterschiedlicher außenpolitischer Ziele. So hat sich Hatschepsut, die übrigens auch persönlich an einem Kriegszug gegen Kusch teilnahm und eine große Expedition ins Weihrauchland Punt veranlasste, anscheinend im Gegensatz zu den politisch-militärischen Vorstellungen des Kreises um Thutmosis III. in ihrer asiatischen Politik eher an der Außenpolitik des Mittleren Reiches orientiert. In ihren Texten erwähnt sie als asiatisches Gebiet nur Retjenu (Südpalästina). Damit verzichtete sie offenbar auf den großen Einflussbereich im Norden, den Thutmosis I. vorgegeben hatte, und unterließ jegliche Konsolidierungsmaßnahmen. Diese Orientierung am Mittleren Reich zeigt auch ihr Totentempel in Deir el-Bahari in Theben West, der sich in seiner äußeren Erscheinung dem daneben gelegenen Komplex Mentuhoteps II. anpasst. Nach ihrer Inschrift in Speos Artemidos nahe Beni Hasan galt ihr besonderes Augenmerk den inneren Belangen des Landes. Viele Neuerungen erscheinen unter ihrer Regierung, und vor allem hat sie neben vielen Bauten auch Restaurierungsarbeiten an den Tempeln vornehmen lassen, die in der langen Zeit der Hyksosherrschaft vernachlässigt worden waren.
 
Bedrohung von Norden und ein tollkühner Entschluss
 
Das Nachlassen der ägyptischen Militärpräsenz in Vorderasien nutzte Mitanni, um seinen Einfluss über die syrischen Stadtstaaten auszudehnen. Kadesch und das nordwestlich davon gelegene Tunip expandierten, und schließlich stand im 22./23. Jahr Thutmosis' III. — entweder nach der Entmachtung von Hatschepsut, ihrem Tod oder ihrem Rückzug von den Regierungsgeschäften — eine große Koalition von 330 Stadtstaaten, der viele ehemalige Verbündete Ägyptens angehörten, unter der Führung von Kadesch bei Megiddo in der Ebene Jesreel versammelt. Ob Ägpten selbst das Ziel dieser Allianz war, ist fraglich. Da sich aber ehedem von Ägypten abhängige Fürsten beteiligten, waren ägyptische Interessen aufs Schärfste tangiert. Thutmosis III. griff ein, und es folgte die erste von mindestens 14 Kampagnen, mit denen die ägyptische Vormachtstellung im asiatischen Raum wieder gefestigt wurde.
 
Entgegen den dringenden Empfehlungen seines Kriegsrates entschloss sich Thutmosis III. beim Vormarsch auf Megiddo zu dem risikoreichen direkten, engen Weg durch die Berge und konnte so die Feinde überraschen, die ihn am anderen Weg erwarteten. Sie flüchteten in die Stadt. Weil die ägyptischen Truppen, anstatt Megiddo im Sturm zu nehmen, mit Plünderungen Zeit verloren, musste die Stadt anschließend sieben Monate belagert werden. Den Belagerten — der Fürst von Kadesch war schon vorher geflohen — wurde freier Abzug gewährt. Aber sie mussten den Ägyptern ihre Waffen, Pferde und über 900 Streitwagen überlassen.
 
Die ägyptische Grenze verlief jetzt etwa entlang dem Litanifluss und wurde später an der syrischen Küste bis Ullaza und Ardata vorgeschoben. Aber Tunip und Kadesch blieben lange ein Problem, und Mitanni selbst konnte nicht besiegt werden, wenn auch letztlich die Grenze ägyptischen Einflusses im Norden an der Küste bis nach Ugarit und landeinwärts bis Nija am mittleren Orontes reichte.
 
Ägypten beherrschte nun ein Weltreich, das praktisch vom Euphrat bis südlich des 4. Katarakts in Nubien reichte. Die Nordausdehnung mit den politischen Wechselspielen der syrischen Stadtstaaten unter dem Einfluss des Mitannireiches erforderte ein ständiges Engagement, und auch der nubische Raum war nicht frei von Widerstand. Um der Bedeutung des Nordens Rechnung zu tragen, wurde Memphis zur zweiten Landeshauptstadt erhoben. Hier wurde ein militärisches Hauptlager eingerichtet, und hier befand sich auch der Hauptsitz der Kronprinzen, die eine militärische Ausbildung erhielten und sich als Heerführer aktiv bewähren mussten.
 
Die Verwaltung des Imperiums und das Staatsdogma »Eroberung«
 
Neben der militärischen Besetzung unterstanden die nubischen und asiatischen Gebiete einer ägyptischen Verwaltung. An der Spitze Nubiens stand der »Königssohn von Kusch«, der als enger Vertrauter vom König direkt eingesetzt wurde und diesem auch allein verantwortlich war. Sein Amtssitz lag in Aniba in Unternubien. Ihm zur Seite standen zwei Stellvertreter, einer von Wawat (Unternubien) und einer von Kusch (Obernubien). Dazu kamen ein Truppenoberst sowie ägyptische Verwaltungsbeamte, Priester und Tempelpersonal. Daneben gab es eine Amtsebene, die von Häuptlingen der örtlichen Clans oder Stammesgemeinschaften gebildet wurde.
 
Schon aufgrund seiner geographischen und politischen Gliederung konnte Vorderasien nicht einem einzelnen Beamten an der Spitze unterstellt werden. Verschiedene ägyptische Gouverneure, die meist dem Militär entstammten, waren für die Abgaben der einzelnen Stadtstaaten verantwortlich, die ihrerseits weiterhin ihren einheimischen Fürsten und dem traditionellen, hoch entwickelten Verwaltungssystem unterstanden.
 
Thutmosis III. hatte seiner von der ägyptischen Königsideologie vorgeschriebenen Rolle entsprochen und mit dem Triumph über die »Feinde« Ägyptens eine Verpflichtung gegenüber der Weltordnung Maat erfüllt. Seine Eroberungspolitik erhielt damit legitimatorisch das Wesen eines Ritualvollzugs für Gott. Während aber das religiöse Dogma und die politischen und wirtschaftlichen Interessen bei der Besetzung Nubiens zu einer Einheit verschmelzen konnten, gestalteten sich die Dinge in Asien weitaus schwieriger. Denn Ägypten kollidierte hier mit den Interessen ebenbürtiger Gegner.
 
Die Beziehungen zu den Großmächten Mitanni und Hethiterreich
 
Als Amenophis II. (um 1424—1398) nach der 54-jährigen Regierung Thutmosis' III. den Thron bestieg, hatte er eine strenge militärische Ausbildung hinter sich. Seinen sportlichen Leistungen, seiner Geschicklichkeit, Kraft und Waffenkenntnis widmete er lange Passagen in seinen Inschriften. Danach bekundete er schon als Kind großes Interesse für Pferde, das Symbol für Königtum und Sieg; sie galten als aristokratische »Kriegswaffen« schlechthin. Nach Syrien unternahm er zwei Feldzüge, denn der Herrscher des hurritischen Mitannireiches hatte seinen Einfluss wieder ausgedehnt. Beim Zug nach Samaria konnte der König, dem Amun zuvor im Traum Kraft verheißen hatte, seine großen Fähigkeiten unter Beweis stellen: Die Gefangenen und die Kriegsbeute bewachte er nachts allein, und in der Region von Tachsi am oberen Orontes erschlug er eigenhändig sieben Fürsten, die umgekehrt aufgehängt am Bug seines Schiffes nach Ägypten transportiert wurden. Sechs stellte er an der Mauer von Theben zur Schau und einen zur Abschreckung an der von Napata am Djebel Barkal tief in Nubien. Jedoch scheint es, dass der König trotz seiner Aktionen kein wesentliches Territorium zurückerobern konnte. Aber die Massendeportationen, die er veranlasste, vermittelten seinen Gegnern vielleicht einen Eindruck von seiner Entschlossenheit, denn Mitanni, das Hethiterreich und Sangar übersandten Geschenke. In der Hauptsache aber war es wohl der Aufstieg des Hethiterreiches, der den Herrschern von Mitanni Sorgen bereitete und sie Ägypten gegenüber einlenken ließ. In Nubien hingegen waren die Strukturen wohl gefestigt, auch wenn sich der König genötigt sah, seinem alten Waffenbruder und jetzigen Königssohn von Kusch, Usersatet, einen Brief zu schreiben, in dem er ihn vor den Machenschaften der Nubier warnte.
 
In den letzten Jahren Amenophis' II. und während der Regierung seiner Nachfolger Thutmosis IV. und Amenophis III. herrschte relativer Friede. Ägypten hatte seine imperialen Ziele erreicht, und das Erreichte blieb unangefochten, während die Gewinne aus den Besitzungen einen ungeheuren wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung in Ägypten auslösten.
 
Thutmosis IV. (um 1397—1387) war vielleicht nicht der ursprünglich vorgesehene Thronfolger Amenophis' II. Wie uns seine »Sphinxstele« vor der Großen Sphinx von Giseh berichtet, versprach ihm der Gott (»der« Sphinx von Giseh galt als Bild des »Horus im Horizont«), als der Prinz eines Mittags in seinem Schatten einschlief, im Traum das Königtum und bat ihn, sein Bild vor der drohenden Versandung zu bewahren. Dem ist Thutmosis IV., archäologisch nachweisbar, auch nachgekommen. Der eine Feldzug, den er nach Asien unternahm, blieb für die kommenden Jahre der letzte. Mit Mitanni wurde wohl ein Friedensvertrag abgeschlossen, der die wechselseitigen Einflusszonen absteckte.
 
Nach einer Bemerkung in den Amarnabriefen, der in Amarna gefundenen diplomatischen Korrespondenz des königlichen Hofes, heiratete Thutmosis IV. eine Tochter des Mitannikönigs Artatama. Solche politischen Heiraten dienten auch in der Folgezeit dazu, Gegner zu binden und Allianzen zu festigen. Auf diese Weise gelangte in Zeiten großer Machtfülle, zum Teil erst nach zähen Verhandlungen, eine Reihe asiatischer Frauen in den königlichen Harem. Bitten der anderen Seite um ägyptische Frauen wurden hingegen abschlägig beschieden. Allein in Zeiten politischer Schwäche wurden Frauen aus der ägyptischen Königsfamilie ins Ausland verheiratet. In der Regel wissen wir von solchen Ehen nur durch Keilschriftquellen; ägyptische Texte erwähnen diese Heiraten selten, und so finden wir derartige Heiraten für die nubische Kolonie nicht belegt.
 
War Amenophis II. bei seinem Tod etwa Mitte vierzig, so erreichte Thutmosis IV. ein noch kürzeres Lebensalter, sodass sein Erbe Amenophis III. (um 1387—1348) noch als Kind den Thron bestieg. Unter ihm erklomm Ägypten einen kulturellen und politischen Gipfel. Der König setzte ein ungeheures Bauprogramm in Gang, das bis nach Nubien reichte, wo er für sich in Soleb und für seine Hauptgemahlin Teje in Sedeinga (beide nördlich des 3. Katarakts) einen Tempel erbauen ließ. Sein Bauleiter war Amenophis, Sohn des Hapu, der vom König so geschätzt wurde, dass er ihm das eigentlich königliche Privileg eines eigenen Totentempels gewährte. Wie Imhotep genoss er als Weiser noch in ptolemäischer Zeit Verehrung. Teje, die Tochter eines einflussreichen Beamten aus der Provinzstadt Achmim, besaß den Amarnabriefen zufolge erheblichen Einfluss auf die Staatsgeschäfte. Sie war die Mutter des Thronerben Amenophis IV./Echnaton und einiger Töchter, die in den letzten Jahren der Regierung Amenophis' III. den Titel von königlichen Gemahlinnen trugen; Sitamun wurde sogar »Große königliche Gemahlin« genannt. Ob es sich dabei lediglich um Ehrentitel der Prinzessinnen handelte oder ob sie wirklich mit ihrem Vater verheiratet waren, ist unsicher. Daneben heiratete der König mehrere asiatische Prinzessinnen, darunter die Mitanniprinzessinnen Giluchepa und später Taduchepa, Töchter von Schuttarna II. und dessen Sohn Tuschratta. Für die Herrscher des Mitannireiches bestand besonderer Anlass, sich mit dieser Heiratspolitik der ägyptischen Freundschaft zu versichern, denn die Hethiter in Anatolien waren erstarkt und versuchten, ihren Einfluss auf die Vasallen Mitannis in Syrien auszudehnen. Mitanni kam schließlich unter die Oberhoheit der Hethiter, ebenso die Mitannivasallen in Syrien. Auch das ägyptische Kadesch fiel den Hethitern in die Hände. Für Ägypten war damit im Norden ein neuer, starker Feind entstanden, der sich in der Folge als unbesiegbar erwies.
 
Auszug aus Theben, der Stadt des Amun: Das Amarnazwischenspiel
 
Ob Amenophis III. seinen Nachfolger Amenophis IV., der vielleicht an die Stelle eines früh verstorbenen Kronprinzen Thutmosis rückte, in den letzten zwölf Jahren seiner Regierung zum Mitregenten erhob, ist stark umstritten. Amenophis' IV.. höchstes zeitgenössisch überliefertes Regierungsdatum ist das Jahr 17. Bereits zu Beginn seiner Herrschaft bevorzugte er den Sonnengott, der sich in der Sonnenscheibe Aton manifestierte. Mit großer Konsequenz entwickelte er die Vorstellung einer alleinigen Gottheit Aton, die als Schöpfergott vorgestellt und als Sonnenscheibe mit in Händen auslaufenden Strahlen abgebildet wurde. Der Amunkult wurde verboten, und auch die übrigen Kulte wurden unterdrückt. Im Wunsch, seinen Gott gegen den Staatsgott Amun und dessen große Anhängerschaft kompromisslos durchzusetzen, ließ er die Tempel Amuns schließen und den Namen des Gottes überall von den Denkmälern entfernen. Beamtentum und Priesterschaft wurden gesäubert; nur wer sich dem neuen Kult anschloss, behielt seine Stellung. Aber nicht nur im religiösen Bereich erwies sich der König als Revolutionär, auch in der Kunst warf er alle Konventionen über Bord. Die Darstellung der menschlichen Figur wurde von der starren Form befreit und erhielt Bewegung und einen fast karikaturhaften Zug. An die Stelle der erstarrten künstlichen Schriftsprache trat die Umgangssprache.
 
In seinem fünften Jahr gründete der König beim heutigen Amarna (Tell el-Amarna) seinem Gott zu Ehren die neue Hauptstadt Achetaton, das heißt »Horizont des Aton«. Mit 14 Stelen legte er ihre Grenzen fest, und in seinem sechsten Jahr zog er in sie ein und versprach, sie nie mehr zu verlassen. Gleichzeitig änderte er seinen Namen von Amenophis (»Amun ist gnädig«) in Echnaton, das heißt »dem Aton wohlgefällig«. Mit seiner Hauptgemahlin Nofretete hatte er sechs Töchter, von denen drei starben. Ein männlicher Nachkomme ist unbekannt. Aus dem Harem seines Vaters übernahm er die bereits oben erwähnte Mitanniprinzessin Taduchepa, die womöglich mit seiner Gemahlin Kija identisch war, mit der er eine Tochter hatte.
 
Gegen Ende der Regierungszeit musste der König, dessen radikale Umgestaltung der traditionellen Werte große interne Schwierigkeiten hervorrief, seine extreme Position mäßigen. Etwa gleichzeitig erschien die Königin Nofretete aus uns unbekannten Gründen nicht mehr auf den Denkmälern und die älteste Tochter des Paares, Meritaton, erlangte große Bedeutung, indem sie die Königin in den Zeremonien ersetzte. Die Königin mag damals auch gestorben sein. Ob in dieser turbulenten Zeit Echnaton in seinen letzten drei Lebensjahren Semenchkare zu seinem Mitregenten gemacht hat, wie man einer Darstellung in einem Privatgrab entnehmen möchte, ist unklar. Auf jeden Fall aber schob sich die sehr kurze Regierung des Semenchkare von höchstens drei Jahren zwischen das Ende Echnatons und die Thronbesteigung Tutanchamuns. Mit Echnaton erloschen auch seine revolutionären Ideen. Die späteren Quellen übergehen ihn wie auch die folgenden »Amarnakönige«. Nur einmal wird, allerdings ohne ihn beim Namen zu nennen, im Rahmen einer Datumsangabe auf ihn als »Feind von Achetaton« Bezug genommen.
 
Das Ende der Epoche und der Brief der Königin
 
Als Tutanchamun (Tutenchamun) zunächst als Tutenchaton den Thron bestieg, war er ein neunjähriges Kind, für das Eje (Aja), vielleicht ein Bruder der Königin Teje, die Regierungsgeschäfte führte. Er wurde mit Echnatons Tochter Anchesenpaaton verheiratet. Um die problematische innere Lage zu beruhigen, leitete man nun eine vollständige Abwendung von der Politik Echnatons ein. Die Restaurationsstele Tutanchamuns gibt davon Zeugnis. Das Königspaar verließ Amarna und ersetzte den Gottesnamen des Aton in seinen Namen durch den des Amun, der damit vollständig rehabilitiert wurde. Aber Tutanchamun starb schon nach neun Jahren, ohne einen Erben hinterlassen zu haben, und der alte Eje bestieg selbst den Thron. Dieser übernahm das für Tutanchamun vorgesehene Königsgrab für sich selbst und ließ die Mumie seines Vorgängers in einem kleineren Grab bestatten. Dieses Grab, das eine Überfülle kostbarer Beigaben enthielt, wurde 1922 in fast unversehrtem Zustand im Tal der Könige entdeckt und erregte das Staunen der Nachwelt. Wohl deshalb ist Tutanchamun, der nur so kurz regierte, heute der vielleicht bekannteste Pharao des Alten Ägypten.
 
Die Schwierigkeiten dieser Zeit wurden von einem Vorkommnis begleitet, das sich unmittelbar nach dem Tod Tutanchamuns oder auch schon während der unstabilen Lage nach dem Tod Echnatons ereignete. Von ihm wissen wir allerdings nur aus hethitischen Quellen. Die Königswitwe, in den hethitischen Quellen Dahamunzu genannt, was auf die ägyptische Form Ta-hemet-nesut, »die Frau des Königs«, zurückgeht, richtete ein Schreiben an den Hethiterkönig Suppiluliuma, in dem sie eine Eheschließung zwischen sich und einem seiner Söhne vorschlug. Der König sei tot, sie habe keinen Sohn und würde niemals einen ihrer »Diener« heiraten. Der hethitische Prinz würde durch diese Heirat König von Ägypten werden. Suppiluliuma reagierte mit Ungläubigkeit und fürchtete eine Falle, denn nach ägyptischer Anschauung stellte dieses Angebot eine Ungeheuerlichkeit dar. Ein Gesandter überprüfte vor Ort die Sachlage und reiste mit einem ägyptischen Beamten an den hethitischen Hof, bevor schließlich ein Sohn geschickt wurde. Dieser kam allerdings unterwegs zu Tode — von den Ägyptern ermordet, wie die Hethiter unterstellten, was die Ägypter jedoch bestritten.
 
Auch wir fragen uns natürlich nach den Gründen für dieses ungewöhnliche Vorgehen. Als sicher kann wohl gelten, dass es sich bei der Offerte nicht um einen »Alleingang« der ägyptischen Königin gehandelt hat, sondern dass es sowohl einflussreiche Befürworter als auch Gegner dieses Schrittes gab. Dass der Grund in der militärischen Bedrängnis zu suchen ist, in die die Hethiter Ägypten in Syrien brachten und aus der sie sich durch das Heiratsangebot zu befreien suchten, können wir nur vermuten.
 
Das Restaurationswerk wird vollendet
 
Der neue König Eje setzte in seiner vierjährigen Regierung die Reform fort. Da er ohne Erben war, bestimmte er den Generalissimus Haremhab zu seinem Nachfolger, der vielleicht auch über seine Frau Mutnedjmet, womöglich eine Schwester der Nofretete, legitimiert wurde. Auch er bemühte sich in seiner langen Regierung zunächst, die Missverhältnisse der Amarnazeit weiter zu beseitigen und die innere Ordnung wiederherzustellen. Die stark beschädigte Stele mit seinem Dekret in Karnak schildert die Maßnahmen, die er zur Durchsetzung des Rechts traf. Die Inschrift gibt eine gute Vorstellung von der Rechtsunsicherheit, der sich die Bürger des Landes ausgesetzt sahen: Die willkürliche Eintreibung von Forderungen beispielsweise konnte so weit gehen, dass man ganze Schiffe unrechtmäßig beschlagnahmte. Die Strafen, die jetzt für derartige Übergriffe verhängt wurden, waren für unsere Begriffe drakonisch. In schwersten Fällen wurden den Übeltätern die Nasen abgeschnitten. Hundert Stockhiebe oder fünf offene Wunden waren Strafen für minder schwere Vergehen. Außenpolitisch musste Haremhab, wohl noch zu Zeiten Ejes, einen Zug nach Syrien gegen die Hethiter unternehmen, die den Tod ihres Prinzen rächen wollten. Durch eine Seuche im hethitischen Heer, der auch Suppiluliuma selbst zum Opfer fiel, kam es jedoch zu keinen weiter gehenden Konfrontationen.
 
Für die Ägypter ist Haremhab der erste legitime König seit Amenophis III. Haremhab selbst rechnete sich, nach seiner Königstitulatur zu urteilen, noch zur 18. Dynastie.
 
 Die Ramessiden
 
Nach der Wiederherstellung des alten Glaubens finden wir das Ägypten der Ramessidenzeit — die Bezeichnung ist von dem Königsnamen Ramses, ägyptisch Ramesse (»Re ist es, der ihn geboren hat«), abgeleitet — in vielen Einzelheiten gegenüber der 18. Dynastie verändert. Dies betrifft zum einen den großen Bereich der Darstellungen, bei denen sich der Inhalt und vor allem auch der Stil wandelt. Große Schlachtenreliefs erscheinen jetzt auf den Tempelwänden. In den Gräbern konzentrieren sich die Abbildungen mehr auf das Jenseits und thematisieren nicht mehr das heitere Leben im Diesseits. Überhaupt macht sich eine größere Frömmigkeit breiterer Schichten bemerkbar. In die Schriftsprache findet, von Echnaton ehedem eingeleitet, das Neuägyptische immer mehr Eingang, und neue Wörter, vor allem Fremdwörter aus dem asiatischen Bereich, kommen auf. Sie sind ein Zeichen für das kosmopolitische Lebensgefühl dieser Zeit. Die Ramessiden betonen ihre Familienverbindungen. Das Bewusstsein, zu einer langen Linie vorangegangener Herrscher zu gehören, lässt sie Denkmäler früherer Epochen restaurieren. In keiner anderen Epoche Ägyptens ist eine solche Hinwendung zum Ahnenkult zu beobachten, bei dem als Teil des Opferrituals im Tempel die Vorfahren angerufen werden. Offenbar geschah dies in einer chronologischen Anordnung, wie uns die schon des Öfteren erwähnten Königslisten zeigen, die sich in solchen Zusammenhängen in den Tempeln erhalten haben. Die Ramessiden sahen sich in dieser Reihe und legitimierten sich von daher. Allerdings entsprang diese Auflistung der früheren Könige keinem historischen Interesse, sondern war kultisch begründet. Aber wir finden auch ein echtes Interesse an der Geschichte. Ramses II. etwa informierte sich in der Bibliothek über den Ursprung und die Bedeutung von Theben, Merenptah konsultierte die Annalen wegen des sich verschärfenden Libyerproblems, und Ramses IV. las archaische Texte zur »Urzeit«.
 
Die außenpolitische Lage zu Beginn der Ramessidenzeit
 
Durch den Ausbruch der Pest in ihrem Heer hatten sich die Hethiter nach der Affäre um den Brief der ägyptischen Königswitwe und den Tod des hethitischen Prinzen von größeren Kampfhandlungen zurückhalten müssen. Nachfolgende Unruhen im Hethiterreich selbst verhinderten dann neuerliche, entscheidende Angriffe in der Zeit von Haremhab, sodass Ägypten sich unbehelligt von den Hethitern in Palästina und Südsyrien hatte halten können. Aber auf diese Art war der Machtkampf um die Vorherrschaft in Syrien/Palästina unentschieden geblieben, und Ramses I. übernahm hier einen ungeklärten Machtbereich.
 
In Nubien war es zwar ebenso zu Auseinandersetzungen gekommen, aber der Kernbereich der nubischen Provinz, das Gebiet im Niltal, war zu Beginn der Ramessidenzeit noch fest in ägyptischer Hand.
 
Die neue Dynastie
 
Da Haremhab keinen Sohn hatte, der seine Nachfolge hätte antreten können, designierte er seinen General und Wesir Paramesse als Nachfolger, der zwar offenbar schon fortgeschrittenen Alters war, aber bereits einen erwachsenen Sohn und Enkel besaß, sodass bei ihm auch die weitere Nachfolge gesichert war. Dieser Paramesse, der dann unter dem Namen Ramses I. (um 1292—1291) den Thron bestieg und erster König der nun folgenden 19. Dynastie war, stammte nicht aus dem königlichen Haus, sondern aus einer Familie im östlichen Delta, die wohl zu den einflussreichsten der Nachamarnazeit gehörte. Sein Vater Seti war Truppenkommandant gewesen, ein Amt, das auch Paramesse in seiner Karriere durchlaufen hatte. Aus seiner kurzen, höchstens zweijährigen Regierung ist kaum etwas bekannt. Aber dass der König sich womöglich selbst als Begründer einer neuen Dynastie gesehen hat, zeigt vielleicht sein Thronname, der dem des Ahmose, des ersten Königs der 18. Dynastie, nachempfunden sein könnte.
 
Als sein Sohn Sethos I. um 1290 v. Chr. König wurde, hatte er bereits für Ramses I. militärische Aufgaben erfüllt. Sein Alter bei der Thronbesteigung lässt sich aber ebenso wenig bestimmen wie seine Regierungsdauer, die zwischen elf und höchstens 15 Jahren gelegen hat. Sethos I. fügte seinen Datierungen in den ersten Regierungsjahren gern den Ausdruck »Erneuerung der Schöpfung« (ägyptisch Wehem- mesut) hinzu und gab dadurch vielleicht zu erkennen, dass er sich als Begründer einer neuen Epoche sah. Möglicherweise sollte der Ausdruck aber auch auf den Beginn einer neuen Sothisperiode anspielen, die vielleicht in die Zeit Ramses' I. oder Sethos' I. fiel. In seiner Titulatur, insbesondere im Herrinnen- und Goldnamen, propagierte der König eine aktive Außenpolitik. Entsprechend unternahm er noch in seinem ersten Jahr einen Feldzug nach Asien. Dieser verfolgte das Ziel, in einer ersten Stufe die ägyptischen Vasallen wieder fest in den ägyptischen Herrschaftsbereich einzubinden. Gleichzeitig dienten diese Konsolidierungsmaßnahmen der Vorbereitung einer zweiten Phase mit dem Ziel, die alten Besitzungen Kadesch und Amurru zurückzugewinnen, und am Ende sollte die Konfrontation mit den Hethitern selbst stehen, die durch den ägyptischen Sieg über Kadesch herausgefordert wurde. Quellen für die militärischen Vorgänge sind dabei die Reliefs, die Sethos I. auf den Außenwänden der Großen Säulenhalle im Tempel von Karnak hat anbringen lassen. Der Inschrift zufolge haben die Ägypter über Hatti, das Reich der Hethiter, gesiegt, doch ist ihre Sprache letztlich so konventionell, dass wir ihr nicht mehr entnehmen können, als dass Sethos I. irgendwelche Feldzüge auf hethitisches Gebiet unternahm. Spätestens in den ersten Jahren Ramses' II. wechselte Kadesch, das sich schon in der Vergangenheit wiederholt als unzuverlässig erwiesen und die Seiten gewechselt hatte, aber aufs Neue ins hethitische Lager, und der Fürst von Kadesch spielte eine herausragende Rolle bei den hethitischen Vorbereitungen für die berühmte Schlacht von Kadesch unter Ramses II.
 
Libyen kommt erstmals ins Spiel
 
Die Aufzeichnungen über den libyschen Krieg, die Sethos I. ebenfalls in Karnak hinterlassen hat, erlauben kaum Schlüsse über das Unternehmen; möglicherweise handelte es sich nur um eine Razzia. Unter Amenophis III. waren neue libysche Stämme, unter anderem die Meschwesch, aufgetreten, die später zusammen mit anderen libyschen Stämmen in den großen Libyerkriegen eine Rolle spielen sollten. Ihr Auftauchen mag auf Klimaveränderungen in der Sahara zurückzuführen sein, die durch eine Verarmung von Flora und Fauna die Lebensmöglichkeiten der Menschen dort reduzierten und das fruchtbare Niltal zum Anziehungspunkt machten.
 
In Nubien richtete sich ein Zug Sethos' I. gegen Irem, ein Gebiet, das in der Ostwüste in der Region der Goldminen des Wadi Allaki und Wadi Gabgaba anzunehmen ist. Offenbar behinderten die Bewohner von Irem hier den Goldabbau, und Sethos I. zerstörte verschiedene Wasserstationen dieser Bevölkerungsgruppe und deportierte eine Anzahl von Männern, Frauen und Kindern.
 
Sethos I. wurde im Tal der Könige bestattet. Sein Grab und sein Totentempel in Kurna auf dem Westufer von Theben wie auch sein Tempel in Abydos, hinter dem sich sein als Osirisgrab gestaltetes Kenotaph (Scheingrab) befindet, bestechen durch die Schönheit ihrer Reliefs. Durch das Nauridekret in Nubien wissen wir, dass sein Tempel in Abydos über große Ländereien und Einkünfte in Nubien verfügte. Dieses Dekret gibt uns auch einen Einblick nicht nur in die Strafpraxis im Neuen Reich, sondern auch in die Zahl der möglichen Übergriffe und Zuwiderhandlungen von Staatsbeamten und sonstigen Machthabern, die mit der Bekanntgabe der Strafen davon abgehalten werden sollten, die nubischen Einkünfte des Tempels von Abydos einzubehalten oder gar in die eigene Tasche zu stecken.
 
Der große Ramses
 
Als Ramses II. um 1279 v. Chr. seinem Vater folgte, dürfte er Anfang 20 gewesen sein und hatte bereits zwei Frauen zu Großen königlichen Gemahlinnen ernannt, Nofretiri (Nefertari), der der kleine Tempel von Abu Simbel geweiht ist, und Isisnofret, die für uns mehr im Hintergrund bleibt, aber deren Söhne Chaemwese und Merenptah (vierter und dreizehnter Sohn Ramses' II.) historisch eine Rolle spielen. Chaemwese war Priester des Ptah und restaurierte alte Denkmäler, während Merenptah der nächste Pharao wurde. Über 66 Jahre, bis 1212 v. Chr., blieb Ramses II. an der Regierung. Er ist der König, der wohl am meisten gebaut hat. Sowohl Ägypten als auch Nubien überzog er förmlich mit Bauprogrammen. Im Hinblick auf das politische Gewicht der damaligen Weltmächte am Mittelmeer verlegte er seine Residenz ins Ostdelta und baute die Ramsesstadt mit dem Kern des alten Auaris als Hauptstadt aus.
 
Um die Goldproduktion im Wadi Allaki in Nubien zu intensivieren, verbesserte Ramses die Wasserversorgung auf dem Weg zu den Goldminen. Der Brunnen, den er graben ließ, konnte wieder entdeckt werden. Schon zuvor hatte Sethos I. hier erfolglos einen Versuch unternommen, nachdem er auch im Wadi Mija in der Ostwüste Ägyptens bei den Goldminen einen Brunnen und einen Tempel hatte anlegen lassen. Darüber hinaus wurde nochmals ein Feldzug gegen Irem nötig, das offenbar den Goldabbau weiterhin störte. Dabei wurden 7000 Gefangene nach Ägypten gebracht.
 
Eine misslungene Schlacht und ein Staatsvertrag unter Ramses II.
 
Schon im vierten Jahr seiner Regierung unternahm Ramses II. einen Zug nach Asien. Dabei kam das mittelsyrische Amurru, das Vasall der Hethiter gewesen war, wieder unter ägyptische Herrschaft. Der Gegenschlag der konkurrierenden Großmacht war damit vorprogrammiert. Die entscheidende Schlacht von Kadesch ein Jahr später hat Ramses vielfach beschrieben und auf den Tempelwänden dargestellt, sodass sich zusammen mit dem Kadeschgedicht die Vorgänge sehr gut zu einem Bild vervollständigen lassen. In seinem fünften Regierungsjahr (um 1275 v. Chr.) überschritt Ramses II. die ägyptische Grenze und erreichte einen Monat später Schabtuna südlich von Kadesch. Muwatalli, der Hethiterkönig, hatte ein sehr großes Aufgebot von hethitischen und alliierten Truppen unmittelbar bei Kadesch aufmarschieren lassen, darunter 2500 Streitwagen und 37000 Soldaten. Die Ägypter griffen in Schabtuna zwei Beduinen auf, die sich als Überläufer ausgaben, in Wirklichkeit aber Spione der Hethiter waren und den Ägyptern falsche Angaben über den Aufenthalt der hethitischen Streitmacht machten. Im Glauben, der Feind sei noch weit entfernt, warteten die Ägypter daher nicht, bis sich ihre vier Divisionen des Amun, Re, Seth und Ptah gesammelt hatten, sondern Ramses rückte allein mit einer kleinen Vorhut bis in den Nordwesten von Kadesch vor, wo dann die Division des Amun zu ihm stieß und das Lager aufschlug. Währenddessen wurden hethitische Kundschafter, die die Lage ausspionierten, festgenommen und gaben unter einer Bastonade den wahren Sachverhalt preis. Inzwischen trat die Division des Re in Erscheinung und wurde durch den nun einsetzenden, überfallartigen Angriff eines Teils der Hethiter versprengt. Ramses selbst preschte in die Schlacht, und Boten eilten, die nachrückenden Divisionen zu benachrichtigen. Nur der Ankunft einer Truppe von Spezialeinheiten, die den König von Amurru her entsetzten, war es zu verdanken, dass die Schlacht von Kadesch nicht in einem Desaster für die ägyptische Armee, sondern mit einem Waffenstillstand endete. In seinem achten und zehnten Jahr folgten weitere Züge Ramses' II. nach Asien. Daran schloss sich eine Friedensperiode von etwa 60 Jahren an, die im 21. Regierungsjahr Ramses' II. durch den Staatsvertrag mit dem Hethiterreich abgesichert wurde. Durch die Heirat des ägyptischen Königs — in seinem 34. Jahr — mit einer hethitischen Prinzessin, die als Große königliche Gemahlin nach Ägypten kam, und eine spätere zweite Heirat wurde die Allianz zwischen den beiden ehedem verfeindeten Mächten weiter gefestigt. Wie war es dazu gekommen? Muwatalli, Ramses' Kontrahent auf der hethitischen Seite, war etwa drei Jahre nach der Schlacht von Kadesch gestorben und hatte nur den von einer Nebenfrau stammenden minderjährigen Sohn Urchi-Teschup hinterlassen. Diesen entthronte sein Onkel Hattusili (III.) und schickte ihn ins Exil, wo er mit dem König von Babylon konspirierte; später, im 18. Jahr Ramses' II., floh er nach Ägypten. Hattusili verlangte die Auslieferung des Neffen und schloss, als sie ihm verweigert wurde, einen Beistandspakt mit dem König von Babylon. Doch der starb, bevor es zu Kampfhandlungen kam, und sein Nachfolger betrieb eine neutrale Politik. Inzwischen bereitete aber das Assyrerreich dem Hethiterkönig Hattusili Schwierigkeiten, sodass er nach Friedensmöglichkeiten mit Ägypten suchte. Die Verhandlungen mündeten schließlich um 1259 v. Chr. in einen regelrechten Staatsvertrag. Ursprünglich auf Silbertafeln ausgefertigt, ist er uns in babylonischer und ägyptischer Abschrift erhalten. Er beendete auf Dauer die Auseinandersetzungen zwischen beiden Staaten, verpflichtete zu gegenseitiger Waffenhilfe bei Angriffen und Aufständen und regelte die Auslieferung politischer Flüchtlinge. Nach Abschluss des Vertragswerkes tauschten die Partner mit ihren Familien und hohen Beamten gegenseitig Briefe und Geschenke aus, die minutiös gegeneinander aufgerechnet wurden. Die Hethiter wünschten insbesondere immer wieder ägyptische Ärzte. Im Verhältnis zu der bombastischen Phraseologie ihrer Texte im Heimatland wirkt das ägyptische Gebaren, das in den hethitischen Dokumenten zum Vorschein kommt, bisweilen recht kümmerlich. Zu einem späteren Zeitpunkt besuchte der hethitische Kronprinz Ägypten. Hattusili wurde auch eingeladen, kam aber nicht, weil er offenbar an einer Fußkrankheit litt.
 
Als Ramses fast neunzigjährig im 67. Jahr seiner Regierung starb, wurde sein Sohn Merenptah neuer König. Den Titel eines Kronprinzen hatte er erst zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach dem 55. Regierungsjahr Ramses' II. erhalten, als seine älteren Brüder und designierten Kronprinzen gestorben waren. Bei seiner Thronbesteigung um 1212 v. Chr. dürfte er schon ein älterer Mann gewesen sein, der nur sein zehntes Regierungsjahr erreichte. Bereits in seinem ersten Jahr traf er Vorbereitungen zum Bau seines Grabes und Totentempels. In den Beziehungen nach außen setzte er die Bündnispolitik im Norden fort und lieferte in seinem fünften Jahr sogar Getreide an das Hethiterreich, das unter einer Hungersnot litt. Im vierten Jahr Merenptahs fand, auf der Amadastele überliefert, eine Rebellion in Nubien statt, die blutig unterdrückt wurde. Die Widerständler wurden nach Ägypten geschleppt. Eine Anzahl von ihnen verbrannte man vor den Augen ihrer Genossen, eine Strafe für politische Widersacher, die deren Weiterexistenz nach dem Tod ausschloss. Anderen schnitt man bei lebendigem Leib die Hände ab, und wieder anderen wurden Ohren und Augen ausgerissen. Danach brachte man sie nach Kusch, wo sie in ihren Heimatorten »aufgehäuft«, also noch öffentlich zur Schau gestellt wurden. Da Verstümmelungen auch sonst bei Verbrechen gegen den Staat bezeugt sind, wird man diese brutalen Vollstreckungen als eher üblich ansehen müssen. Nur das Ausreißen der Augen stellte sicher eine außergewöhnliche Grausamkeit gegen die gefangenen Widerständler dar.
 
Bedrohung durch die Libyer und Ende der Dynastie
 
Etwa gleichzeitig mit diesem Aufstand — und womöglich in Verbindung mit ihm — griffen von Westen kommende Libyer mit ihren Alliierten, den Seevölkern, Ägypten an. Sie waren mit Sack und Pack, Frauen, Kindern und Viehherden gekommen um sich in Ägypten niederzulassen. Sie sollten noch lange eine Bedrohung bleiben, wenngleich die Truppen des Pharaos sie vorerst in einer sechsstündigen Schlacht zurückdrängen konnten. Es war dies das erste Mal seit der Hyksoszeit, dass Ägypten sich einem Angriff auf eigenem Territorium ausgesetzt sah. Die Besorgnis des Königs um den Ausgang des Kampfes, an dem er selbst nicht teilnahm, zeigt uns die existenzielle Bedrohung, die von diesem Invasionsversuch ausging. 8000 gefallene Feinde waren die Bilanz — und viele Gefangene, von denen manche gepfählt wurden. Seinen Triumph feierte Merenptah auch auf der poetischen »Israelstele«, in der, zum einzigen Mal in ägyptischen Texten, der Name des Volkes Israel genannt wird. Aber dass Merenptah der Pharao des biblischen Exodus, des Auszugs der Israeliten aus Ägypten, gewesen war, wie man früher aufgrund dieser Stele glaubte, ist widerlegt.
 
Der designierte Thronfolger Merenptahs war Seti-Merenptah (Sethos II.), der zu Lebzeiten seines Vaters die Funktion eines Generalissimus und darüber hinaus eine Art Stellvertreterfunktion für den alten König ausfüllte. Trotzdem verlief die Thronfolge nicht reibungslos, sondern Sethos II. (um 1200—1194) wurde entweder vor seiner Thronbesteigung oder wenig nach seinem Regierungsbeginn von Amenmesse, einem anderen Thronprätendenten, vorübergehend verdrängt. Dies erstaunt vielleicht weniger, wenn man sich klarmacht, dass durch überlange Regierungszeiten wie bei Ramses II. nicht nur ältere Thronfolger mit bereits erwachsenen Nachfolgern zur Regierung kamen, die dann alle relativ kurze Regierungszeiten hatten, sondern dass auch durch das zwischenzeitliche Ableben designierter Thronfolger mehrere Thronprätendenten auftreten konnten und dadurch Legitimationsschwierigkeiten entstanden. Auch bei der Nachfolge Merenptahs war dies offenbar der Fall, und das umschreibt die Probleme bis zum Ende der Dynastie, einem Zeitraum von etwa 20 Jahren. Amenmesse, ganz gleich auf welche Legitimation er sich berufen konnte, wurde von den Ägyptern selbst nicht als legitim anerkannt. Nicht nur verfolgte Sethos II. sein Andenken, sondern auch Ramses III. überging ihn in seiner Königsliste in Medinet Habu. Der Papyrus Salt 124 schreibt seinen Namen sogar mit dem Zeichen des gefallenen Feindes. Die verwandtschaftlichen Verhältnisse von Amenmesse zum Königshaus werfen Fragen auf, wie auch das Verhältnis von Siptah, dem letzten König der Dynastie, zu Sethos II. und Tauseret, seiner Großen königlichen Gemahlin, die als Regentin für Siptah fungierte und schließlich nach dessen Tod selbst als Pharao den Thron bestieg. Siptah starb als junger Mann von höchstens 20 Jahren. Sein linker Fuß war deformiert, vermutlich durch Kinderlähmung, wie seine Mumie verrät. Er wurde offenbar gestützt von dem aus Asien stammenden Bai, der die führende politische Kraft des Landes war und sich sogar ein Grab im Tal der Könige anlegte. Während dieser Zeit der Thronwirren und höchst instabilen Lage im Inneren Ägyptens überrannten die Seevölker das Hethiterreich, das zugrunde ging, ebenso wie Amurru und Zypern.
 
Kriminelle Elemente
 
In diesen schwierigen Zeiten trieb in der Siedlung Deir el-Medina hinter dem Tal der Könige, in der die in den Begräbnisstätten (Nekropolen) von Theben West am Bau der Königsgräber beschäftigten Arbeiter und Künstler wohnten, ein Mann sein kriminelles Unwesen; von ihm berichtet uns der schon genannte Papyrus Salt 124, der die Untaten dieses Verbrechers in einer Art Anklageschrift zusammenfasst. Vorgeworfen wurden dem Paneb, der durch Bestechung des Wesirs zum Vorarbeiter der Nekropolenarbeiter befördert wurde, zahlreiche kriminelle Vergehen, von denen Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Grabraub, Bestechung und Majestätsbeleidigung nur einige sind. Geboren zur Zeit Ramses' II., wurde er schließlich im Alter von 50 bis 60 Jahren während der Regierungszeit von Siptah und Tauseret hingerichtet, sofern sich ein Ostrakon (eine Scherbe) mit der Aufschrift »Jahr6, Hinrichten des Vorarbeiters« auf ihn bezieht. Außer aus dem Papyrus Salt ist Paneb auch aus einer Reihe von anderen Papyri und Ostraka bekannt, ohne dass hier allerdings seine verbrecherischen Umtriebe zur Sprache kämen. Schon als Jugendlicher scheint er ein richtiges »Früchtchen« gewesen zu sein, das sich darin gefiel, die von einer Nachtschicht kommenden Leute des Arbeitstrupps immer wieder von einer Mauer aus mit Ziegelsteinen zu bewerfen und dadurch zu verletzen. In diesem Alter betätigte er sich bereits, wenn auch in noch bescheidenem Umfang, als Grabräuber — er stahl vom Begräbnis einer Tochter Ramses' II. eine Gans — und wurde in diesem Zusammenhang auch meineidig. Später wurde er noch gewalttätiger und unverfrorener. Nicht nur beraubte er das Grab Sethos' II. sozusagen vor aller Augen für seine eigene Grabausstattung, sondern begoss seinen Erfolg auch noch mit dem Wein aus dessen Grabbeigaben!
 
Die 20. Dynastie kündigt sich an
 
Nach Siptahs Tod nahm Tauseret die Königstitulatur an und zählte die Regierungsjahre Siptahs als eigene. Noch etwa zwei Jahre hat sie selbstständig regiert und ist auch in Asien belegt. Ob sie durch den schon genannten Bai, den großen Kanzler des ganzen Landes, gestützt wurde oder sich ihre Herrschaft gegen ihn richtete, lässt sich nicht sagen. Nach dem Tod der Tauseret machte sich Bai möglicherweise selbst zum Herrscher. Denn im Großen Papyrus Harris, einer Staatsurkunde von 40,5 m Länge aus der Zeit Ramses' IV., steht in dem Abschnitt über die Vergangenheit, dass ein Syrer Irsu, das heißt »der sich selbst machte«, das ganze Land unter seiner Herrschaft tributpflichtig gemacht habe. Bei dieser verächtlichen Bezeichnung könnte es sich wohl um Bai gehandelt haben, gegen dessen Person wie den zunehmenden Einfluss der Asiaten im Land sich Sethnacht (um 1186—1184), der erste König der folgenden 20. Dynastie, als nationaler Retter profilierte. Nach seiner Stele in Elephan- tine konspirierten diese Feinde Ägyptens sogar mit den Asiaten im Ausland und gedachten, mit Gold ihre Unterstützung zu gewinnen. Dieses hätten sie aber unterwegs ablegen müssen. Vielleicht steht mit dieser Aussage eine Entdeckung in Bubastis in Verbindung. Hier wurden zwei nur wenige Meter voneinander entfernte und gleichzeitig angelegte Hortverstecke gefunden, die vorwiegend Gold und Silber enthielten. Als einzig gesicherter Name fand sich bei ihnen der der Tauseret, die sowohl als königliche Gemahlin wie als Pharao genannt wird, sodass der Schatz nicht vor der Zeit ihres sechsten bis achten Regierungsjahres dort abgelegt worden sein kann.
 
Über die Herkunft des Sethnacht wissen wir nichts; er hat höchstens zwei Jahre regiert und ist im Grab der Tauseret bestattet worden. Nachfolger war sein Sohn Ramses III., der letzte bedeutende Herrscher des Neuen Reiches. Er orientierte sich sehr stark an Ramses II., dessen Thronnamen und Totentempel er kopierte und von dem er auch Darstellungen und Inschriften übernahm.
 
Der Einbruch der Libyer und Seevölker
 
In den archäologischen Hinterlassenschaften des 12. Jahrhunderts v. Chr. zeigen sich im gesamten Gebiet des Vorderen Orients weiträumige Zerstörungen. Für sie und die mit ihnen zusammenhängende Vernichtung ganzer Staatengebilde werden die »Seevölker« verantwortlich gemacht, die zusammen mit den Libyern unter Sethnachts Nachfolger Ramses III. (um 1184—1152) auch Ägypten existenziell bedrohten und möglicherweise der auslösende Faktor für den Niedergang in der 20. Dynastie waren.
 
Diese Seevölker setzten sich aus verschiedenen Völkerschaften zusammen, die zu unterschiedlichen Zeiten, zum Teil bereits in der 18. Dynastie, in den schriftlichen Quellen genannt werden. Während die Frage ihrer Herkunft seit neuestem geklärt ist, können wir über die Gründe ihres Ausbruchs aus ihren angestammten Räumen nur spekulieren. Die in den Dokumenten genannten Stämme können über ihre Namen alle mit Landes- oder Landschaftsbezeichnungen der griechischen Welt verbunden werden. Auch die Philister sind aufgrund archäologischer Dokumentation als Angehörige der minoisch-mykenischen Welt auszumachen. Erstaunlich ist, dass sich diese Stämme schon unter Merenptah mit den Libyern verbanden; sie müssen demnach schon vorher über das Meer gekommen sein und sich an der nordafrikanischen Küste festgesetzt haben. Vermutlich sollte der Festungskordon, den Ramses II. entlang der Mittelmeerküste errichtete — er endete 314 km westlich von Alexandria —, ihrer Abwehr dienen. Merenptah beschreibt die Seevölker als »Flüchtlinge, die alle Länder durchwandern«. Auch die Hethiter und ihre Vasallen hatten gegen Invasoren von See her eine Verteidigungsfront aufgebaut, die wohl zunächst noch hielt. Denn während Merenptah in seinem fünften Regierungsjahr noch Getreide an die Hethiter lieferte, besagen die Nachrichten aus dem achten Jahr Ramses' III. gute 30 Jahre später, dass Hatti unterdessen zusammen mit anderen Mittelmeeranrainerstaaten vernichtet wurde.
 
Während unter den von Ramses III. genannten Völkern einige aus früheren Quellen bekannte nicht mehr auftauchen, kommen andere, z. B. die Philister und die Zakkara, neu hinzu. Wir haben also seit dem 14. Jahrhundert v. Chr. eine zunehmende Bedrohung des Mittelmeerraums durch unstabile Völkerschaften zu verzeichnen, denen es schließlich um 1190/1180 gelang, die Staaten des östlichen Mittelmeeres zu zerschlagen. Allein Ägypten konnte sich mit großer Kraftanstrengung halten, musste aber dulden, dass sich ein Teil der Stämme wie die Philister, die dem Land den heutigen Namen Palästina gaben, und die Zakkara unter eigenen Fürsten auf ägyptischem Territorium in Palästina ansiedelten. Ein Teil setzte sich wohl auch in Ägypten selbst fest.
 
Gegen diese Seevölker hat Ramses III. in seinem achten Jahr einen Kampf geführt. Sie drangen sowohl auf dem Landweg von Osten her als auch auf dem Seeweg gegen Ägypten vor. Noch auf syrischem Gebiet gelang Ramses aber der Sieg über das feindliche Landheer und den Treck. Mit großen Anstrengungen wurde auch ihre Flotte, die in die Nilmündungen einzudringen versuchte, abgewehrt. Die Kriegsgefangenen aus diesen Kämpfen wurden zum großen Teil für die ägyptische Armee rekrutiert und in Ägypten angesiedelt. Im fünften und achten Jahr Ramses' III. griffen dann im Westen die Libyer erneut an. Zwar konnten auch sie zurückgeworfen werden, aber sie waren nicht besiegt. Zum Teil zogen sie offenbar in die Oasengebiete und nach Süden, versuchten aber auch weiterhin, über die Wüstenstraßen nach Oberägypten zu gelangen, und beunruhigten dort das Niltal.
 
Innere Schwierigkeiten
 
Zusätzlich zu den Kraftanstrengungen nach außen hatte die Regierung Ramses' III. im Inneren große Probleme zu bewältigen. Die Quellen berichten von Preissteigerungen, Korruption, ausbleibender Entlohnung für die Arbeiter in Deir el-Medina und schließlich von Streiks und Unruhen. Doch trotz allem wurde die Bautätigkeit fortgesetzt. Mit seinen Ausmaßen erreichte das Königsgrab Ramses' III. einen Höhepunkt.
 
31 Jahre hat Ramses III. regiert. Im 29. Jahr kam es zu größeren Schwierigkeiten. Die Arbeiter, die mit Naturalien wie Getreide, aber auch Öl, Kleidung, Kupfer und Silber entlohnt wurden, bekamen die ihnen zustehenden Rationen häufig erst mit Verspätung, und oft genug blieb es bei Abschlagszahlungen. Offenbar versagte die Verwaltung, und Unterschlagungen und Betrügereien machten sich breit. Noch eine mildere Form des Betrugs war es, wenn die Arbeiter durch falsche Kornmaße um einen Teil ihres Lohns gebracht wurden. Schwerer wog, dass ihnen zum Teil die Lieferungen auch völlig vorenthalten wurden, sodass sie hungerten. Sie wandten sich über den Nekropolenschreiber an den Wesir, aber die Missstände wurden nicht beseitigt. Schließlich verließen sie ihren Sperrbezirk und streikten, als der Lohn ganz ausblieb. Derartige Arbeiterunruhen wiederholten sich, denn selbst wenn die Verwaltung gezahlt hatte, unterschlug bisweilen auch der Bürgermeister von Theben noch Rationen, sodass keine generelle Besserung in Sicht war und sich die Missstände bis zum Ende der Ramessidenzeit fortsetzten.
 
Von der Opposition: Zum Beispiel eine Haremsverschwörung
 
Trotz seiner langen Regierung sind wir über die Familie Ramses' III. nicht gut informiert. Nur einmal wird als Große königliche Gemahlin Isis genannt, die die Mutter von Ramses IV. und Ramses VI. war. Die Papyri der Haremsverschwörung nennen noch eine Teje, deren Sohn offensichtlich Ramses III. ersetzen sollte. Zu dem Komplott, durch das der König aus dem Weg geräumt werden sollte, kam es in seinem 31. Regierungsjahr. Ein wahrscheinlich in den Tempelarchiven aufbewahrter Bericht, in dem die Aburteilung der Beteiligten festgehalten wurde, gibt uns davon Kenntnis. Über das Verhältnis der beiden Hauptfiguren, Teje und ihren Sohn Pentaweret, zu Ramses III. oder überhaupt über ihre Stellung am Hof erfahren wir nichts. Auch andere in den Unterlagen genannte Personen können wir nicht identifizieren, denn sie erhielten während des Prozesses neue, sie abwertende Namen wie etwa Mesedu-Re, »den Re hasst«, oder Bin-em-Waset, »der Schlechte in Theben«. Dadurch sollte ihre Persönlichkeit gebrochen werden. Da die an der Verschwörung Beteiligten aber ausnahmsweise mit ihren Funktionen genannt sind, können wir sehen, dass sie auch außerhalb des Harems, von dem das Komplott ausging, in einem weiten und hochrangigen Personenkreis Unterstützer hatten. Beamte des Schatzhauses, Hofmeister, Archivbeamte, Priester, Polizisten sowie Militärs in Nubien waren beteiligt. Wie die Verschwörung aufgedeckt wurde, erfahren wir nicht. Gegen die meisten der Beschuldigten wurde die Todesstrafe verhängt, auch gegen einfache Mitwisser, die durch irgendwelche Umstände Kenntnis davon erhalten hatten. Die hoch gestellten Persönlichkeiten durften sich selbst das Leben nehmen; nur eine Person wurde offenbar freigesprochen.
 
Wie schon dargelegt, war die Königsherrschaft in Ägypten ein göttliches Prinzip, das sich von der angeblichen Herrschaft der Götter auf Erden in grauer Vorzeit herleitete. Durch Erbe und Gottessohnschaft wie auch durch seine Herrschereigenschaften, die ihm die Götter zur Ausübung des Königsamtes eigens verliehen hatten, legitimierte sich der König. Damit lässt die pharaonische Staatsauffassung von der Konzeption her keinerlei Opposition zu. Da Opposition in der Realität aber immer ein Begleitumstand der Macht ist, erstaunt es nicht, Gegnerschaft und Widerstand gegen die Herrschenden und ihre Politik auch im pharaonischen Ägypten anzutreffen, wenn auch die offiziellen Quellen dies in der Regel unterdrücken. Im Gegensatz zur Neuzeit finden wir in Ägypten freilich keine »institutionalisierte« Opposition vor. Opposition konnte hier nur als Widerstand und Umsturz fundamental gegen die Herrschenden gerichtet sein. Dabei war eine bewusste Umgestaltung des Herrschaftssystems oder eine qualitätsändernde Reform der gesellschaftlichen Verhältnisse für die Ägypter im wahrsten Sinne des Wortes nicht »denkbar«. Denn ihre nicht bewusst von Menschen geschaffene Staatsform konnten die Ägypter nicht hinterfragen; ihnen galten ihre Gesellschaftsform und die strenge hierarchische Gliederung des Pharaonenstaates als gottgegeben. So konnte im Rahmen oppositionellen Verhaltens allenfalls der Amtsinhaber ausgetauscht, die Verwaltung verändert oder der aktuellen Politik eine andere Richtung gegeben, nicht jedoch das System abgeändert werden.
 
Ramses III. scheint an den Folgen des von den Verschwörern verübten Attentats gestorben zu sein. Ein Resümee seiner ereignisreichen Regierung, während der auch eine Fahrt nach Punt stattfand, sowie seiner zahlreichen Opferstiftungen an die Tempel Ägyptens zieht der Große Papyrus Harris, der wohl unter Ramses IV. verfasst wurde, denn er schließt mit der Aufforderung an die Beamten und Offiziere, dem neuen König zu dienen.
 
Wirtschaftliche Schwierigkeiten, Korruption, kriminelle Elemente und Bürgerkrieg
 
Die nun folgenden 27 Jahre bis zu Ramses VIII. teilen sich unter fünf Königen auf, von denen drei Söhne Ramses' III. sind. Ramses IV. (um 1153—1147) hat trotz seines Wunsches nach einer langen Lebenszeit nur sieben Jahre regiert. Die Nachwirkungen der Haremsverschwörung mit einem anderen Thronprätendenten als Konkurrenten veranlassten ihn vielleicht besonders, in seinen Inschriften seine Legitimität zu betonen und sich dem Gott Osiris verbunden zu fühlen, dessen Sohn Horus als mythisches Vorbild ja ebenfalls in der Nachfolge seines Vaters Osiris bedroht worden war. Sein Herrinnenname enthält das außenpolitische Programm »Der Ägypten schützt und die Neunbogen (das heißt die Fremdländer) niederbeugt«. Aber von außenpolitischen Aktivitäten hören wir nichts. Dagegen hat er viele Bauprogramme aufgelegt und scheint große religiöse und geistige Interessen gehabt zu haben. Denn mehrfach unterstreicht er, er habe sich in Schriften des »Lebenshauses«, der Tempelschule, kundig gemacht, und betont seine enge Verbundenheit mit Thot, dem Gott der Weisheit und Schriftgelehrtheit.
 
Die folgende Zeit zeigte weitere Tendenzen zur Instabilität. Andererseits war sie jedoch auch ungeheuer schöpferisch. Unter Ramses VI. finden wir neue Texte und Darstellungen im Königsgrab und unter Ramses VII. neue Bildkompositionen über das Jenseits. Die älteste erhaltene Landkarte, die der Goldminen in der Wüste östlich von Koptos, gehört ebenso in diese Zeit wie ein Plan des Grabes von Ramses IV. oder die Liebeslieder des Papyrus Turin 1966.
 
Ramses V. (um 1147—1143), ein Sohn Ramses' IV., scheint jung an einer Pockenepidemie gestorben zu sein. Aus seiner Regierungszeit stammen Papyri, die die inneren Verhältnisse beleuchten. Der Große Papyrus Wilbour, das Original einer amtlichen Urkunde zur Vermessung von Feldern und zur Steuerschätzung, zeigt, dass die Verwaltung einerseits intakt war, aber aus anderer Quelle erfahren wir, dass gleichzeitig Korruption und Unregelmäßigkeiten blühten bis hin zu Rechtsbruch und lästerlichem Umgang mit dem Religiösen. Im »Elephantineskandal« wurden schwere Beschuldigungen gegen mehrere Personen, darunter einen Vorlesepriester des Chnumtempels in Elephantine, erhoben. Ihm wurden verschiedene Diebstähle, Bestechlichkeit und sogar Tempelentweihung vorgeworfen. Er unterhielt ehebrecherische Beziehungen zu verheirateten Frauen, und ein für damaliges Empfinden besonders schandbares Verbrechen waren seine widerrechtlichen Verkäufe heiliger Mneviskälber (Kälber des heiligen Stieres Mnevis, der zum Kult des Sonnengottes in Heliopolis gehörte). Eine Untersuchung der Kleiderdiebstähle aus dem Schatzhaus des Tempels musste der König selbst anordnen, damit etwas geschah. Von den Lieferungen der zum Tempel gehörenden Ländereien hatte der mit dem Transport betraute Kapitän neun Jahre lang erhebliche Mengen veruntreuen können, wobei die Belegschaft des Chnumtempels natürlich behilflich gewesen war.
 
Unter Ramses VI. (um 1143—1136) beunruhigten wieder die Libyer Oberägypten. Aus diesem Grund mussten die Arbeiten im Königsgräbertal für mehrere Tage unterbrochen werden. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass dieser König als seinen Herrinnennamen »Mit kraftvollem Schwert, der Hunderttausende angreift« gewählt hat. Er hinterließ als letzter König der Dynastie ein großes Siegesrelief; eine Statue zeigt ihn mit einem libyschen Gefangenen. Auch Ramses VII., ein Sohn Ramses' VI., hat, nach seinem Herrinnennamen zu urteilen, Ägypten vor einem weiteren Invasionsversuch schützen müssen.
 
Das Herrschaftsgebiet des Imperiums war jetzt zusammengeschrumpft. Die asiatischen Besitzungen wurden um die Mitte des 12. Jahrhunderts, spätestens unter Ramses VI. aufgegeben. Die nubische Kolonie verblieb zwar noch bei Ägypten, aber auch hier wurde im Zusammenhang mit den Kämpfen in den Goldminengebieten die Grenze bis zum 2. Katarakt zurückgezogen. Das südlich davon gelegene Amara blieb allerdings unter ägyptischer Herrschaft — aus strategischen Gründen und um die dortigen Goldvorkommen ausbeuten zu können.
 
Die letzten Ramessiden
 
Die Bautätigkeit der Könige, Indiz für den Wohlstand des Landes, nahm nun immer mehr ab. In den letzten rund 56 Jahren bis zum Ende des Neuen Reiches regierten drei Könige, Ramses IX., Ramses X. und Ramses XI. Ihre Beziehung zum Herrscherhaus der 20. Dynastie ist strittig. Ramses IX. ist vermutlich ein Enkel Ramses' III., während Ramses X. und Ramses XI. jeweils thronberechtigte Söhne sind.
 
Aus der Zeit Ramses' IX. (um 1122—1108) haben sich verschiedene Akten erhalten, die einen Einblick in die sich weiter verschlechternden Verhältnisse erlauben. So ist dem Nekropolentagebuch, Aufzeichnungen über die täglichen Arbeiten im Königsgräbertal, zu entnehmen, dass die Libyer immer wieder die Grenze beunruhigten. Die Nekropolenarbeiter sahen sich darüber hinaus auch wieder zu Arbeitsniederlegungen gezwungen, weil ihre Rationen mehr als zwei Monate überfällig waren. Ein Aufstand der in Festungsgarnisonen untergebrachten fremden Truppen scheint auf das ganze Land ausgegriffen zu haben und ermöglichte, dass sich in seinem Gefolge weitere libysche Verbände in Oberägypten festsetzen konnten. In Mittel- und Unterägypten entstanden mittlerweile große libysche Kolonien bei Herakleopolis, in Bubastis und natürlich im Westdelta.
 
In den letzten Jahren dieses Königs fanden dann die ersten Grabräuberprozesse statt, die sich bis in die Zeit Ramses' XI. hinzogen. In die Grabräubereien scheinen auch hohe Persönlichkeiten verwickelt gewesen zu sein; jedenfalls trugen sie vor diesem Hintergrund auch ihre persönlichen Rivalitäten aus. Insbesondere die Beamten der Ost- und der Westseite Thebens traten mit gegenseitigen Schuldzuweisungen an. Aufgrund einer Denunziation wurde eine Kommission eingesetzt, die die Gräber inspizierte. Das Resultat sah nicht gut aus, aber in der Nekropole der Privatleute und im Königinnengräbertal waren die Probleme noch größer. Es kam zu Durchsuchungen, und an einem einzigen Tag konnte die Untersuchungskommission etwa 5 kg Gold, 18 kg Silber, fast 5 kg Kupfer und Berge von Kleidungsstücken, Stoffen, Schmuck und Mobiliar sicherstellen.
 
An die vielleicht vierjährige Regierungszeit Ramses' X. mit weiterer Beunruhigung durch die Libyer schloss sich die 29 Jahre dauernde Herrschaft Ramses' XI. an, des letzten Ramessiden vor dem Beginn der Dritten Zwischenzeit. Die schwierigen Zeiten setzten sich auch unter seiner Regierung fort, ja, es scheint teilweise zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen gekommen zu sein. Möglicherweise gegen die ständige Bedrohung durch die Libyer hatte man den Königssohn von Kusch, Panehesi, mit seinen Truppen in die Thebais gerufen. Hier, im Umkreis von Theben, scheinen sich dann Beamte aus dem Tätigkeitsbereich des Panehesi an den Grabräubereien beteiligt zu haben. Die Verstrickung seiner Leute und vermutlich auch seine eigene brachte Panehesi womöglich in Schwierigkeiten mit dem Hohepriester des Amun, Amenhotep, und der Verwaltung von Theben West. Der Hohepriester wurde eine Zeit lang aus dem Amt vertrieben, und es kam zu Verwüstungen und Übergriffen auf die Tempel. Das Heer des Panehesi rückte bis nach Mittelägypten vor. Eine Hungersnot im »Jahr der Hyänen« tat ein Übriges. Königliche Truppen unter dem vielleicht libyschen General Pianch, die wohl dem Hohepriester zu Hilfe kamen, drängten Panehesi nach Nubien ab, wo Pianch aber noch Jahre später mit ihm militärisch zu tun hatte.
 
Ramses XI. versuchte noch einmal, Stabilität zu schaffen. Äußerlich ist dies daran sichtbar, dass er eine neue Ära, die Wehem-mesut, eine Renaissance mit neuer Jahreszählung, einführte. Aber der Versuch scheiterte, und sogar sein General Pianch äußerte sich in einem Brief abfällig über die verbliebene Befehlsgewalt des Königs. Nach Pianch wurde Herihor, ebenfalls ein Mann aus dem Militär und wohl libyscher Herkunft, der starke Mann in Theben. Er vereinigte in seiner Person die Ämter eines Hohepriesters des Amun, eines Generalissimus und eines Vizekönigs von Kusch. So wurde Ägypten unter der Herrschaft Ramses' XI. praktisch zweigeteilt: Im Süden herrschte Herihor und im Norden Smendes, der vielleicht mit einer Tochter Ramses' XI. verheiratet war und nachfolgend zum ersten Herrscher der 21. Dynastie wurde. Nach dem Tod Ramses' XI. legte Herihor sich im Chonstempel in Karnak den Königstitel zu.
 
Für die nächsten 300 Jahre blieb die Teilung des Landes in verschiedene Machtbereiche, zwischen denen durchaus freundschaftliche Beziehungen bestanden, das maßgebende politische Muster der die Dritte Zwischenzeit erfüllenden Herrschaft der Libyer. Erst die aus Nubien stammenden Herrscher der 25. Dynastie werden das Land, wenn auch nur äußerlich, wieder unter eine einzige Herrschaft stellen und eine Renaissance einleiten.
 
Die Dritte Zwischenzeit und die Spätzeit
 
Am Ende des Neuen Reiches war das ägyptische Imperium mit Ausnahme eines Teils von Nubien in die ursprünglichen Grenzen des Landes zurückgefallen, in einen nördlichen und einen südlichen Bereich aufgeteilt und verarmt. Diese Entwicklung ist sicher nicht mit den kurzen Regierungszeiten einzelner Herrscher, deren Unvermögen oder gar mit zunehmender Altersschwäche des nunmehr zweitausend Jahre alten ägyptischen Staatswesens zu erklären. Insbesondere das letzte Erklärungsmuster, das besonders gern im Hinblick auf Großreiche und deren Zerfall in kleinere Einheiten gebraucht wird, ist in Verbindung mit einem Staatswesen völlig verfehlt, weil es sich von biologischen Organismen herleitet und die Anwendung nur in Bezug auf diese einen Sinn macht.
 
Dagegen trifft eher der folgende Erklärungsansatz zu: Die territoriale Expansion hatte Ägypten von einem Wachstum abhängig gemacht, das sich über Kriegszüge und die Abgaben der besiegten Völker finanzierte. Als die Expansion dann sowohl in Nubien als auch in Asien eine Grenze erreichte, über die hinaus keine weiteren Territorialgewinne mehr möglich waren, und die Kriegszüge in Asien mit dem hethitischen Frieden zu einem Ende kamen, sah sich das Land auf die eigenen, inneren Ressourcen zurückgeworfen, und der Wohlstand ging zurück. Auch die destabilisierenden Kämpfe mit den Libyern und den Seevölkern, der Krieg unter Panehesi und vielleicht der Bevölkerungsrückgang durch die mutmaßliche Pockenepidemie unter Ramses V. zogen jeweils eine weitere Verarmung nach sich.
 
Neue Herrschaftsstrukturen
 
Neben diesen materiellen Veränderungen am Ende des Neuen Reiches fand auch ein Wandel im geistigen Bereich statt, der sich im Rahmen der nun folgenden Machtübernahme durch die Libyer vollzog. Diese Entwicklung spiegelt sich in der stark abgeschwächten ideologischen Rolle des Königtums wider, der auf der anderen Seite eine verstärkte persönliche Frömmigkeit der Menschen entsprach. Dazu kamen die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die auf die fremden Einflüsse durch die vermehrt in Ägypten ansässigen Ausländer zurückgingen, vor allem auf die sich etablierenden Fremdherrschaften, von denen die libysche die erste war. Insgesamt kann man die nun folgende, etwa 750 Jahre währende letzte Epoche eigenständiger pharaonischer Geschichte folgendermaßen beschreiben: Im 11. Jahrhundert, als die Libyer mit der 21. Dynastie die Herrschaft im Lande antraten, veränderte sich die bislang tragende Rolle des ägyptischen Königtums. Mehrere Herrscher konnten jetzt gleichzeitig nebeneinander in verschiedenen Landesteilen auftreten, ohne dass dies zu Machtkämpfen führte. Dies wurde um 1080 v. Chr. eingeleitet, als sich die neuen Herrscher in ihrer neu erbauten Hauptstadt Tanis im östlichen Nildelta mit den Militärmachthabern und Hohen Priestern des Amun in Theben die Macht teilten. Die Übernahme der Regierung in Theben durch den Gottkönig Amun selbst und die Ausübung der Regentschaft durch seine Hohen Priester, die teilweise ebenfalls den Königstitel annahmen, ist eine für diese Zeit charakteristische Erscheinung. In diesem Thebanischen Gottesstaat, der im eigentlichen Sinn eher einer Militärherrschaft gleichkam, finden wir eine Art Theokratie verwirklicht. Nachdem im Alten Reich der König Ägyptens das Amt eines Gottes ausgefüllt hatte und im Neuen Reich der Pharao als Sohn des Gottes Amun diesem verantwortlich geherrscht hatte, übernahm nun im Theben der 21. Dynastie, da ein Pharao nicht mehr vorhanden war, der das Amt entsprechend der ursprünglichen Königskonzeption hätte ausfüllen können, der Gott Amun selbst vorübergehend das Königsamt auf Erden, wobei er über Orakel seine Weisungen erteilte. Diese Art der Herrschaftsausübung wurde später durch die der Gottesgemahlin abgelöst. Denn in Theben trat neben dem Amt des Ersten Amunpriesters zunehmend das der Gottesgemahlin des Amun in den Vordergrund. Diese übernahm schließlich die Machtposition des Hohen Priesters und erfüllte sie mit einem neuen politischen Charakter. Die Gottesgemahlinnen, Prinzessinnen aus dem Königshaus, die als irdische Gemahlinnen des Gottkönigs Amun auftraten, nahmen eine Königstitulatur an und waren Repräsentantinnen des sich im Norden des Landes aufhaltenden Königs in Theben. Sie blieben unverheiratet und regelten ihre Erbfolge über Adoption.
 
Später kamen im Nildelta und in Mittelägypten noch verschiedene Fürstentümer sowie mehrere den Königstitel tragende Herrscher hinzu. Die Zeiten der Lokalpotentaten und Deltakönige wurden aber immer wieder von gesamtägyptischen Dynastien abgelöst. Die Tendenz zur Zweiteilung des Landes in das Deltagebiet und Oberägypten mit der Thebais als Kernbereich blieb jedoch ein durchgehendes Charakteristikum dieser späten Zeit. Memphis, die alte Hauptstadt an der Grenze zwischen den beiden Regionen, gewann den Status eines Symbols für die Herrschaft über beide Landesteile.
 
Abgesehen von diesen grundsätzlichen Neuerungen in der Herrschaftsstruktur des Landes überlagerte die Libyerherrschaft, seit den Hyksos die erste in der Reihe der sich jetzt anschließenden Fremdherrschaften in Ägypten, die ägyptische Kultur mit weiteren Charakteristika. Wie aus den ägyptischen Quellen ersichtlich, formierten sich die Libyer aus Stammesgesellschaften. In ihren Heimatgebieten sind sie archäologisch kaum fassbar. In Ägypten selbst assimilierten sie sich im Gegensatz zu den auch in früheren Zeiten in Ägypten ansässigen Fremden keineswegs vollständig. So behielten sie zum Teil ihre fremden Namen bei. Sie siedelten insbesondere in Unterägypten, im Delta, das nachgerade als Heimat der libyschen Fürstentümer angesprochen werden kann. Aber auch in Herakleopolis, der Hauptstadt des 20. oberägyptischen Gaues, lebten sie seit Generationen, und das ebenfalls oberägyptische Hermopolis hatte um 730 v. Chr. mit Nimlot einen libyschen König. Dass sich die Libyer eine gewisse kulturelle Eigenständigkeit bewahrten (wie in hellenistischer Zeit die Ptolemäer), hat sicherlich auch damit zu tun, dass sie seit ihrem Auftauchen in Ägypten durch ihre militärische Stärke politischen Einfluss erringen konnten und so nicht gezwungen waren, sich zu ägyptisieren, um in der Hierarchie des Landes aufzusteigen. Andererseits unterschieden sie sich in ihrer materiellen Kultur nicht von den ägyptischen Einwohnern und wurden beispielsweise von Manetho auch nicht als Fremde angesehen wie vorher die Hyksos oder später die Perser. Im Vergleich zu der kuschitischen 25. Dynastie ist auch die bildliche Darstellung der libyschen Könige, etwa in den Tempeln, vollständig ägyptisch. Dies mag eine Konzession der Herrscherfamilien an Ägypten gewesen sein. Denn bis zum Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. behielten die Libyerfürsten trotz allem ihre einheimischen libyschen Titel und als Charakteristikum ihre Feder im Haar.
 
Weitere Merkmale der libyschen Zeit
 
Grundsätzlich unterscheidet sich die libysche Zeit in vier Merkmalen von der vorhergehenden pharaonischen Epoche. Sie betreffen die schon angesprochene politische Struktur des Landes, das Königskonzept, die Sprache und Schrift sowie die Begräbnissitten. Die Fragmentierung des Landes in selbstständige Bereiche unter Königen und Fürsten unterschied sich von der in den anderen Zwischenzeiten dadurch, dass jetzt offenbar kein Bedürfnis nach einer Machtkonzentration in einer Hand vorhanden war. Die verschiedenen Herrscherhäuser existierten friedlich nebeneinander, obgleich viele der libyschen Führer Militärtitel hatten. Das kann nur bedeuten, dass wir die Dezentralisation als eine gewollte Herrschaftsform vor uns haben. Die Libyer stellten sich offenbar bewusst gegen das konventionelle, streng zentralisierte ägyptische Königtum und setzten ihre eigene traditionelle politische Struktur von konföderierten Familienclans durch, auch wenn sie im Groben das äußere Bild des ägyptischen Königtums beibehielten. Insbesondere bei den Begräbnissitten machte sich in der Libyerzeit ein radikaler Wechsel bemerkbar. Denn die königlichen Bestattungen, die nicht mehr in Nekropolen, sondern vornehmlich im Tempelareal vorgenommen wurden, zeigen eine Hinwendung zu Familienbegräbnissen. Anders als in den früheren Zeiten ägyptischer Kultur wurde kein aufwendiges Grab mehr zu Lebzeiten eines Individuums angelegt. In diesen Gebräuchen zeigen sich vermutlich Relikte eines ehemaligen Nomadentums der Libyer.
 
Die Quellen, die uns für diese Epoche zur Verfügung stehen, unterscheiden sich stark von denen des Neuen Reiches. Große Baudenkmäler gibt es nur noch ausnahmsweise. Beamtenbiographien von den zahlreichen Statuen sowie die vielen erhaltenen Särge erteilen weniger über historische Vorgänge Auskunft als über Titel und Genealogien. Daneben existieren hieratische und demotische Texte aus Archiven. Sie bilden zusammen mit wenigen Stelen von historischem Interesse die Grundlage für die folgenden Aussagen. Dazu kommen einige außerägyptologische Texte, etwa die Bibel, assyrische Texte, aramäische Dokumente sowie später die Werke der griechischen Schriftsteller.
 
Die Tempel, die sich im Neuen Reich zu riesigen Wirtschaftseinheiten mit Felderbesitz sogar im Ausland und eigenen Schürfrechten beispielsweise für Gold entwickelt hatten und daneben auch »Handelsagenten« (Schutiu) beschäftigten, verstärkten in der Spätzeit ihre politische Funktion. Dies ist zu Beginn der 21. Dynastie vor allem daran ablesbar, dass der Erste Amunpriester ein Militärmachthaber war. Eigentlich bahnte sich diese besondere Position der Tempel aber bereits in Neuen Reich an, als die Pharaonen zur Machtsicherung ihre Söhne mit hohen Funktionen in den Tempeln des Landes betrauten. In der Spätzeit setzte sich diese Politik fort, zumal auf diese Weise beachtliche Pfründen in den Familien konzentriert und über eine kluge Heiratspolitik noch vergrößert werden konnten. Daneben bildeten die Tempel aber auch die letzten Bastionen der pharaonischen Kultur. In den »Lebenshäusern« der Tempel spielten sich die wesentlichen intellektuellen Aktivitäten ab. Hier befanden sich die Bibliotheken und Archive, und hier wurde der Nachwuchs der geistigen Elite ausgebildet, sodass die Tempel als Stätten der Wissenschaft und der kulturellen Bildung den Fortbestand der kulturellen Identität Ägyptens im Wesentlichen mittrugen.
 
Das Gegenteil trifft für das Militärwesen in der Spätzeit zu. In der Dritten Zwischenzeit bekleideten oft Männer libyscher Herkunft die Posten der »Militärkommandanten«, die Truppenkontingente gleicher Herkunft oder andere Fremde wie etwa Nachkommen der ehemaligen Seevölker unter ihrem Kommando hatten. Dazu kamen ab Psammetich I. (664—610) zunehmend griechische Söldner ins Land, unter Apries (589—570) auch jüdische und phönikische. Diese Leute hatten oftmals auch Familie und erhielten Ackerland zum Unterhalt wie zuvor schon die Kontingente der Libyer und Seevölker in der 20. Dynastie.
 
Ägypten ist zweigeteilt — Der Gottesstaat des Amun und die 21. Dynastie (um 1075—945 v. Chr.)
 
Nach dem Tod Ramses'XI. legte sich in Theben der Erste Amunpriester Herihor den Königstitel zu. Dabei nahm er auch die üblichen fünf Namen an; sein Thronname allerdings war einfach sein Titel »Erster Amunpriester«. Er schickte den »Ältesten der Halle« des Amuntempels, Wenamun, zum Libanon, um Bauholz für die große Amunbarke zu holen. Smendes, der schon genannte spätere Herrscher der 21. Dynastie, und seine einflussreiche Partnerin Tentamun in Tanis — die Ramsesstadt war am Ende der 20. Dynastie zugunsten von Tanis im Delta als Hauptstadt aufgegeben worden — unterstützten diese Mission, auch materiell. Ob es sich bei diesem Papyrus mit der Geschichte des Wenamun nun um ein literarisches Werk oder den aktuellen Bericht des Reisenden handelt, sei dahingestellt. Jedenfalls zeigt die Geschichte dieser abenteuerlichen Reise in einer lebendigen Schilderung sehr deutlich die veränderten Machtstrukturen im Vorderen Orient und die hier inzwischen vollkommen fehlende Autorität des ägyptischen Staates. Die in Rede stehende Barke, für die Wenamun nach endlosen Schwierigkeiten schließlich das Holz bekam, findet sich übrigens im Chonstempel in Karnak abgebildet.
 
Zusammen mit dem Bericht des Wenamun wurde in El-Hibe, dem Sitz der Hohen Priester des Amun, ein weiterer Papyrus mit einem literarisch abgefassten Brief gefunden. Dieser »Moskauer Literarische Brief«, der Erste seiner Art in der Weltgeschichte, könnte eine literarische Bearbeitung der Amenhotepaffäre am Ende des Neuen Reiches darstellen und zeigt, ebenfalls mit viel Lokalkolorit, die unruhige, unter Korruption und Amtsmissbrauch leidende Zeit. Aus dem »Wenamun« und von einer Stele des Smendes in Gebelen wissen wir, dass zwischen beiden Landesteilen freundschaftliche Beziehungen bestanden. Aber weder über Herihors Herkunft noch über die des Smendes ist Genaueres bekannt. Allerdings sprechen verschiedene Gründe für die Annahme, dass mit den neuen Machthabern der 21. Dynastie schon jetzt die Herrschaft der Libyer in Ägypten begann, die sich in den nachfolgenden Dynastien voll entfalten sollte. Smendes hat etwa 26 Jahre regiert und scheint in ganz Ägypten als König anerkannt worden zu sein, auch wenn der Nachfolger des Herihor im Amt des Hohen Priesters, Pinodjem I., ebenfalls den Königstitel annahm.
 
Der Hohe Priester Pinodjem I. war besonders aktiv bei der Umbettung der königlichen Mumien aus ihren Gräbern im Tal der Könige in die »Cachette« bei Deir el-Bahari und ins Grab Amenophis' II. Die Sicherung der Mumien vor dem Zugriff der Grabräuber spielte bei dieser Verlagerung allenfalls eine untergeordnete Rolle. Es waren sicherlich eher wirtschaftliche Erwägungen dieser armen Zeit, die die Staatsorgane veranlassten, die in den Gräbern der Könige des Neuen Reiches aufgehäuften Wertgegenstände systematisch auszuforschen und zu konfiszieren. Schon der General Pianch am Ende des Neuen Reiches erteilte den Nekropolenbeamten den Auftrag, ein altes Grab zu öffnen, aber das Siegel zu bewahren, bis er nach Theben zurückgekehrt sei. Möglicherweise wollte er mit den aus dem Grab sichergestellten Wertgegenständen den Kampf gegen Panehesi in Nubien finanzieren.
 
Aber es wurden nicht nur die Edelmetallauflagen sowie die Gegenstände und Schmuckstücke aus der Grabausrüstung und von den Särgen des Neuen Reiches entfernt, sondern diese wurden auch vielfach umgearbeitet und wieder verwendet. So hat beispielsweise Pinodjem I. den Sarg Thutmosis' I. für sich aufarbeiten lassen, und ein Uschebti Ramses' II. wurde in eine Osirisstatue umgestaltet. Solche Figuren enthielten oft Totenpapyri. Vielleicht versprach man sich eine besondere Wirkung von den alten Stücken aus der Grabausstattung früherer Könige. Denn zwei Totentexte enthalten in ihren Titeln die Angabe, dass sie am Hals der Mumie Ramses' II. gefunden worden seien.
 
Streitigkeiten ums Priesteramt
 
Gegen die libysche(?) Familie Pinodjems I. scheint es Widerstände bei den Alteingesessenen in Theben gegeben zu haben. Seine königlichen Darstellungen im Chonstempel wurden umgearbeitet. Darüber hinaus hatte sein Sohn und dritter Nachfolger Mencheperre Schwierigkeiten, das Amt des Hohen Priesters anzutreten. Eine Reihe von Gegnern war in diesem Zusammenhang in die Oase Charga verbannt worden. Die Opposition war aber offenbar so stark, dass Mencheperre, der von der Festung El-Hibe aus anreiste, die Verbannungen rückgängig machen musste. Jedenfalls bestätigte der Gottkönig Amun diese Maßnahme in einem Orakel, und ebenso wurden zukünftige Verbannungen untersagt.
 
In Tanis war Smendes bereits gestorben, ebenso sein Nachfolger Amenemnisu, der bei Regierungsantritt bereits bejahrt war, sodass zu Beginn der Amtszeit Mencheperres als Hoher Priester in Theben schon Psusennes I. (um 1039—993) in Tanis herrschte. Sein Name »Der Stern, der in Theben erschienen ist« zeigt deutlich die Verbindungen zwischen den beiden Landeshälften, ohne dass wir diese aber genauer fassen könnten. Das überaus reiche Begräbnis Psusennes' I. in Tanis mit einem massiven silbernen Sarkophag und der massiven Goldmaske des Königs enthielt auch Beigaben aus Theben. Psusennes nahm auch den Titel eines Hohen Priesters des Amun, allerdings von Tanis, an. Vereinzelt nannte er sich auch Ramses-Psusennes, wodurch er vermutlich auf familiäre Beziehungen zu den Ramessiden anspielen wollte. Von seinen Nachfolgern Amenemope, der neun Jahre regierte, und Osochor, Sohn eines Libyerfürsten namens Scheschonk, mit einer sechsjährigen Regierungszeit wissen wir kaum etwas. Ob König Siamun (um 978—959), Nachfolger des Letzteren, auch dessen Sohn war, ist unbekannt. Aus seiner über zwanzigjährigen Regierungszeit ist kaum etwas zu berichten. Sein Nachfolger war Psusennes II., der letzte König der 21. Dynastie (um 959—945). Dessen Tochter Maatkare heiratete Osorkon, den Sohn eines anderen Scheschonk, der ebenfalls Libyer und der starke Mann des Reiches war. Später sollte er der erste König der 22. Dynastie werden.
 
Über die außenpolitischen Aktivitäten in den 124 Jahren der 21. Dynastie erfahren wir in den Quellen praktisch überhaupt nichts. Unternubien verblieb im Macht- und Einflussbereich Thebens. In Asien verfolgte Psusennes I., nach seinem Goldnamen zu urteilen, möglicherweise eigene Ziele. Ob er aber einen Kriegszug nach Asien unternahm, muss dahingestellt bleiben. Während der 21. Dynastie war König David (um 1000—965) in Israel Herrscher aller hebräischen Stämme geworden und hatte Jerusalem zu seiner Hauptstadt gemacht. Während der ersten Hälfte seiner Regierungszeit hatte er Edom unterworfen, dessen Kronprinz Hadad nach der Erzählung der Bibel von Vertrauten nach Ägypten gebracht worden war, wo er aufwuchs und eine Schwester der ägyptischen Königin heiratete. Die Flucht Hadads nach Ägypten könnte unter Amenemope stattgefunden haben, seine Heirat mit der ägyptischen Prinzessin während der Regierung Siamuns. Siamun selbst hat vermutlich Krieg gegen die Philister von Geser geführt. Jedenfalls hat nach dem Bericht der Bibel ein ägyptischer König Geser verwüstet und dann seiner Tochter als Mitgift gegeben, als sie König Salomo (um 965—926) heiratete. Ein überliefertes Relief in Tanis zeigt Siamun, wie er Feinde erschlägt. Da die Axt, die der Feind hält, von den üblichen abweicht, könnte mit dem Relief ein Feldzug gegen die Philister und Seevölker in Südwestkanaan angedeutet sein.
 
Frauen in Ämtern
 
Ein besonderes Kennzeichen dieser von den Libyern geprägten Zeit ist die betonte Stellung der Frauen in den großen Familien. Sie erscheinen nicht nur häufiger neben ihren bedeutenden Männern auf den Denkmälern, sondern bekleiden auch selbst oft verschiedene, wenn auch in der Regel religiöse Ämter, die auf ihren Denkmälern neben ihren Rangtiteln aufgelistet werden und ihnen entsprechende Einkünfte sicherten. Das augenscheinlichste Beispiel ist natürlich das Amt der Gottesgemahlin mit ihrer dem König vergleichbaren Stellung. Aber auch die Frau des Psusennes, Mutnodjmet, die in seinem Grab mit bestattet wurde, verfügte durch verschiedene Priesterämter über ein beträchtliches Einkommen, während Neschons, die Frau des Hohen Priesters Pinodjem II. in Theben, neben ihren Priestertiteln sogar den eines Königssohnes von Kusch trug, der ihr zumindest Einnahmen aus diesem Amt erbrachte, falls sie es nicht tatsächlich ausfüllte. Ebenso wie ihre Männer hinterließen die Frauen der Hohen Priester des Amun mit ihren Namen gestempelte Lehmziegel in der Festung von El-Hibe, wo sie an der Mauer gebaut hatten.
 
Die 22. Dynastie
 
Durch die geschickte Heiratspolitik der Libyer war der Übergang von der 21. zur 22. Dynastie äußerlich legitimiert worden: Wie oben berichtet, hatte Osorkon, der Sohn des späteren ersten Königs der 22. Dynastie, Scheschonk I., eine Tochter Psusennes' II. geheiratet. Aber auch sonst war die Familie Scheschonks I. über ihre Verbindungen mit den Hohen Priestern des Ptah in Memphis mit dem Königshaus in Tanis verbunden gewesen. Nicht zuletzt zeigt die Statue, die Scheschonk mit dem Einverständnis Psusennes' II. für seinen Vater Nemrut ins heilige Abydos stiften durfte, dass er eine geachtete Persönlichkeit war. Mit seiner Thronbesteigung inaugurierte er nach der Periode der Konsolidierung die Libyerherrschaft im engeren Sinne, die mit ihren etwa 234 Jahren länger dauerte als die gesamte Ramessidenzeit.
 
Die chronologische Abfolge der Könige sowie deren Identität war lange Zeit unsicher und bleibt in einigen Punkten auch heute noch strittig oder gar offen. Scheschonk I. nahm als Thronnamen den von Smendes an, dem Begründer der 21. Dynastie. Damit mochte er den Beginn einer neuen Dynastie andeuten wollen. Vielleicht wollte er mit diesem Namen aber auch auf die durch die Heirat geschaffene Verbindung zur vorhergehenden 21. Dynastie hinweisen. Smendes war über seine Frauen möglicherweise mit dem Haus der Ramessiden verbunden gewesen. Auch die anderen Namen der Titulatur Scheschonks I. lassen die Beziehung zu Smendes anklingen. Im Gegensatz zu diesem bemühte sich der neue König allerdings verstärkt um die innere Einheit des Landes, indem er die Thebais, das Gebiet bis südlich nach Assuan, fester unter die königliche Autorität stellte. Dazu besetzte er die Ämter in der Amunhierarchie in Theben mit eigenen Familienmitgliedern. Sein zweiter Sohn Iuput erhielt so die Posten eines Ersten Amunpriesters, Generalissimus und Armeeführers. Heiraten von Frauen des Königshauses mit thebanischen Würdenträgern und Angehörigen der alten thebanischen Familien halfen der Familie Scheschonks I. weiter, sich zu behaupten. Einen Sohn Nemrut, der hauptsächlich militärische Titel trug, versetzte Scheschonk I. nach Herakleopolis, einem in dieser Zeit sehr wichtigen Ort von militärischer Bedeutung am Zugang nach Mittelägypten, der überdies eine längere libysche Tradition aufwies.
 
Erneute Eroberungsversuche
 
Ägypten war unter der Herrschaft Scheschonks I. so weit gefestigt, dass der König sich aktiv nach außen wenden konnte. Er stiftete eine Statue nach Byblos, die der dortige Herrscher Abibaal noch mit einer Inschrift versah. Auf dem Boden Palästinas, wo um 1000 v. Chr. die Eisen-I-Zeit endete, hatten sich inzwischen auch im Inland Städte entwickelt und Territorialstaaten gebildet. Im Kerngebiet Palästinas war das Reich Davids und Salomos erstarkt, und östlich des Jordans entstanden die Königreiche Aram, Ammon, Moab und Edom. Die archäologischen Schichten zeigen, dass viele dieser Städte nach nur kurzer Zeit zerstört wurden. Vermutlich standen diese Verwüstungen in Zusammenhang mit einem Feldzug nach Palästina, den Scheschonk I. in der Bubastidenhalle in Karnak aufzeichnen ließ. Sein genaues Datum ist zwar unbekannt, mag aber um 930 v. Chr. gelegen haben. Die Bibel datiert ihn ins 5. Jahr Rehabeams, des Nachfolgers Salomos, und spricht davon, dass der königliche Schatz mit goldenen Schilden in Jerusalem dem Feind ausgehändigt werden musste. Die Liste mit über 150 unterworfenen Orten, die Scheschonk I. in Karnak niederschreiben ließ, nennt jedoch weder Jerusalem noch Juda. Allerdings sind die Gebiete, die in solchen in pharaonischer Zeit vielfach überlieferten Listen genannt werden, nicht unbedingt tatsächlich erobert worden. Ein Stelenfragment in Karnak nimmt die aus dem Neuen Reich gebräuchliche »Königsnovelle« auf und konstruiert einen militärischen Zwischenfall bei den Bitterseen, der den Anlass zu diesem Feldzug gegeben haben könnte. Jedenfalls handelte es sich bei diesem Unternehmen Scheschonks I. nicht nur um eine begrenzte Militäraktion, sondern vermutlich um einen groß angelegten Versuch, Ägyptens Vorherrschaft in Palästina erneut zu begründen. Dass Scheschonk I. wirklich bis weit in den Norden Palästinas vorgestoßen ist, belegt ein in Megiddo gefundenes Stelenfragment mit dem Namen des Königs. In Palästina selbst markiert der Feldzug des Königs einen Einschnitt; man lässt mit ihm hier die Eisen-II-A-Zeit enden.
 
Der Nachfolger Scheschonks I., sein Sohn Osorkon I. (um 924—889), setzte die Politik seines Vaters fort. Die durch den Feldzug des Vaters erzielten Tribute erlaubten ihm offenbar, den Tempeln, vor allem in Heliopolis, größere Geschenke zu machen. Das Hohepriesteramt in Theben besetzte Osorkon I. mit seinem Kronprinzen Scheschonk, wodurch er die Thebais noch enger an den Norden band. Auch Osorkon I. ist in Byblos mit einer Statue vertreten. Nach der Bibel rückte in seinem 28. Regierungsjahr seine Armee unter einem kuschitischen Befehlshaber gegen Juda vor, wurde aber geschlagen. Naturgemäß finden wir in den ägyptischen Quellen keinerlei Hinweise auf dieses erfolglose Unternehmen. Der Kronprinz Scheschonk II. wurde etwa 890 v. Chr. von seinem Vater zum Mitregenten ernannt, starb jedoch noch vor Osorkon I. Über den sich anschließenden König Takeloth I. (um 889—874) ist fast nichts bekannt; er war im Grab seines Sohnes Osorkon II. (um 874—835) bestattet. Dieser knüpfte durch seine Titulatur an die imperiale Vergangenheit der Ramessiden an, doch scheint es Unternehmungen in Richtung Asien nur im Handel und möglicherweise in Form von diplomatischen Aktivitäten gegen das aufstrebende Assyrerreich gegeben zu haben. In Theben besetzte der König die Position des Hohen Priesters mit einem Sohn Scheschonks II. namens Harsiese und führte damit praktisch wieder die Erblichkeit des Amtes ein, die Scheschonk I. aus gutem Grund unterbunden hatte. Harsiese nahm denn auch den Königstitel an (um 870—860), wobei er die Titulatur Pinodjems I. nachahmte. Über die Thebais hinaus hat er aber keine Anerkennung besessen. In seinem 23. Jahr feierte Osorkon II. ein Sedfest, das er auf einem Tor in Bubastis aufzeichnen ließ. Nach einer auf Elephantine gefundenen Stele fand auch eine Inspektionsreise dorthin statt. Denn es waren Unregelmäßigkeiten beim Tempelbesitz vorgekommen, und Maßnahmen waren notwendig, ihn vor den Übergriffen anderer Verwaltungsbereiche zu schützen.
 
Schwäche und Auflösung
 
Für die Zeit bis Osorkon II. herrscht in der Wissenschaft generelle Übereinkunft über die Königsabfolge der 22. Dynastie. Im Anschluss an seine Regierung kam es aber wieder zur Teilung des Landes. Für die Teilungsperiode sind die Fragen der zeitlichen Abfolge, der dynastischen Linien im Einzelnen und der verschiedenen gleichzeitigen Herrscherhäuser, ja sogar die Existenz einzelner Herrscher teilweise umstritten und für die Schilderung der eigentlichen historischen Vorgänge unergiebig, sodass wir hier nur andeutungsweise auf sie eingehen.
 
Während der späten 22. und der 23. Dynastie etablierte sich in Theben ein lokales Königtum, dem in der Regierungszeit Scheschonks III. (um 835—783) unter dem thebanischen Lokalkönig Takeloth II. offenbar ein gewisser Pedubast Schwierigkeiten dadurch machte, dass er sich zum König (Pedubast I.) erklärte. Jedenfalls wurde der Hohe Priester des Amun, Prinz Osorkon, Sohn Takeloths II., in dessen 11. Regierungsjahr von einer thebanischen Fraktion nicht mehr anerkannt. Von El-Hibe, dem Sitz der Hohen Priester, begab er sich, wie wir aus seiner langen Inschrift im Amuntempel von Karnak erfahren, nach Theben. Auf dem Weg schon konnte er seine Gegner besiegen und auch in Theben selbst die Ordnung wiederherstellen. Allerdings kam es nach wenigen Jahren wieder zu Erschütterungen, und Osorkon und Takeloth II. zogen sich vielleicht nach Herakleopolis zurück, wo Osorkons Bruder Bakenptah General war. Die Kämpfe gingen hin und her, und Osorkon verschwindet nun für etwa zehn Jahre aus dem Blickfeld des Historikers, taucht dann aber im 39. Regierungsjahr Scheschonks III. zusammen mit seinem Bruder Bakenptah als Sieger über die Opposition in Theben auf. Danach nahm er vermutlich als Osorkon III. den Königstitel an. Ihm folgten in der Thebais noch weitere Lokalkönige. Daneben existierten die Deltakönige mit Sitz in Tanis sowie die verschiedenen eigenständigen, wenn auch oft untereinander verwandten und verschwägerten Fürsten in Mittelägypten. Was zu dieser erneuten Aufsplitterung Ägyptens geführt hat, die etwa 80 Jahre andauerte, bevor das Land unter den kuschitischen Eroberern wieder geeint wurde, ist mit Ausnahme der Affäre um den Prinzen Osorkon unbekannt. Auf jeden Fall setzte sie unter Scheschonk III. ein, der mehr als 50 Jahre regiert hat. Bereits während der letzten Jahre Scheschonks III. begann außerdem der Aufstieg des Westdeltareiches mit der Hauptstadt Sais, der Heimat der späteren 26. Dynastie. Im letzten Jahr Scheschonks V. (um 777—740) herrschte dann Tefnachte aus der 24. Dynastie über das Westreich. Auf Scheschonk V. folgte in Tanis Osorkon IV. In diese Zeit fiel die Expansion der Kuschiten vom mittleren Nil nach Ägypten.
 
Obernubien, Heimat der 25. Dynastie
 
Im Neuen Reich hatte die Südgrenze des ägyptischen Imperiums bei Kurgus nahe dem 5. Katarakt in Nubien gelegen. In Napata am Djebel Barkal existierte bereits unter Thutmosis III., im 15. Jahrhundert v. Chr., eine Festung. Der Ort, an dem sich in einer weiten Ebene das eindrucksvolle Felsmassiv des Djebel Barkal erhebt, des »Reinen (das heißt: heiligen) Berges« der Ägypter, wurde als Kultort des Amun ein wichtiges Zentrum und erhielt mehrere Tempel. Aber wegen der Belastungen, die die großen Entfernungen und die Unwegsamkeit des Gebiets mit sich brachten, unterstand das obernubische Niltal vermutlich nie einer so umfassenden Kontrolle wie Unternubien, das Gebiet zwischen erstem und zweitem Katarakt, das noch heute zu Ägypten gehört. Die Ägypter beherrschten hier das Land wohl nur von einigen strategischen Punkten aus. Dies wird sehr einsichtig, wenn man bedenkt, dass ein zu Lande operierendes antikes Heer, sofern seine Versorgung mit Wasser und Nahrung nicht lokal sichergestellt war, sich nur maximal drei Tage aus eigenen Kräften am Leben erhalten konnte und einen Aktionsradius von höchstens 90 km hatte.
 
Mit dem Rückzug der Ägypter aus dem obernubischen Gebiet in der Zeit zwischen Ramses III. und Ramses VI. wurden die ägyptischen Verwaltungsstrukturen, die sich in Nubien wie auch in Ägypten selbst auf die Tempelstädte stützten, durch die traditionellen einheimischen ersetzt, die während der Kolonialphase erhalten geblieben waren und auf Häuptlingstümern basierten. Der ursprüngliche, ländlich-dörfliche Charakter wurde wieder bestimmend. Weder Bautätigkeit noch ein Fortbestehen der Tempel lassen sich in den ehemaligen ägyptischen Ortschaften Obernubiens archäologisch nachweisen. Aber da die Namen der einzelnen Orte aus dem Neuen Reich später unter den aus Obernubien stammenden Kuschitenkönigen der 25. Dynastie noch erhalten waren, kann man annehmen, dass diese Gemeinschaften, auch wenn sie in der Zwischenzeit verarmten, nicht vollständig untergegangen sind. Doch in dieser Zeit wird Nubien kaum mehr in ägyptischen Texten erwähnt und entgleitet damit dem Blick des Historikers.
 
Das kuschitische Reich entsteht
 
Um 850 v. Chr. entstand jedoch bei El-Kurru etwa 15 km stromab vom Djebel Barkal ein einheimisches Machtzentrum. Der Name Kurru leitet sich vermutlich von dem meroitischen Wort kur »König« ab, und nubische Herrscher ließen sich hier ab 850 v. Chr. (die Chronologie ist umstritten) für Generationen in einem dynastischen Friedhof bestatten. Die frühesten Gräber zeigen noch rein einheimische Begräbnisformen mit Bettbestattung und Tumulusgrab. Nach und nach macht sich jedoch ägyptischer Einfluss bemerkbar, der auf entsprechende kulturelle Kontakte weist. Die Gräber nehmen schließlich Pyramidenform an, die bis zum Ende der meroitischen Geschichte die bestimmende Form für die Herrschergräber bleibt. Die Beleglage macht deutlich, dass sich das kuschitische Reich in Kenntnis der ägyptischen Kultur und in Auseinandersetzung mit ihr entwickelte. Trotz des Ägyptisierungsprozesses, der sich in der Zeit der kuschitischen Herrschaft über Ägypten noch verstärkte, und trotz der Vorbildfunktion des ägyptischen Königtums richtete sich die Auswahl der Aspekte der ägyptischen Kultur, die die Kuschiten übernahmen, an ihren eigenen Gebräuchen und Glaubensinhalten aus oder wurde von ihnen entsprechend umgeformt. Dies betrifft insbesondere die Eigentümlichkeiten der kuschitischen Erbfolge. Diese ist zwar bislang noch nicht völlig geklärt, schloss aber unter anderem ein kollaterales Prinzip ein, das heißt die Erbfolge der Brüder vor der der Söhne, sowie die besondere Art der Legitimation des Königs, bei der auch eine Wahl durch Mitglieder des Hofes eine Rolle spielte, und die hervorgehobene Stellung der Königsmutter. Bei dem Begräbnisplatz von El-Kurru befand sich auch eine befestigte Siedlung, deren Existenz erst kürzlich durch Grabungsnotizen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt wurde und die wegen ihrer Lage am Knotenpunkt von Karawanenstraßen wohl als Fernhandelszentrum anzusehen ist. Ob sich die 25. Dynastie hier am Ort selbst herausgebildet hat oder sich ihre Mitglieder hier, von Meroe (zwischen dem 5. und 6. Katarakt) herkommend, niedergelassen haben, können wir nicht entscheiden. Aber die Tatsache, dass in Meroe bereits im 9. Jahrhundert v. Chr. eine Siedlung entstand und Mitglieder des kuschitischen Königshauses seit Pije (Pianchi) dort bestattet wurden, könnte darauf hinweisen.
 
Hatte vermutlich das unter der 22. Dynastie erstarkte Ägypten solche Machtakkumulation in Obernubien immer wieder militärisch behindert, so erlaubte die Fraktionierung Ägyptens mit der einhergehenden außenpolitischen Passivität in den letzten 80 Jahren am Ende der Libyerzeit dem kuschitischen Zentrum in El-Kurru eine relativ ungestörte Entwicklung. Dabei förderte die zeitweilige Bedrohung durch Ägypten sowie auch durch Nomaden aus den angrenzenden Savannengebieten wohl auch den Aufbau einer schlagkräftigen Armee.
 
Warum Kusch expandiert
 
Schon kurz nach seiner Konsolidierung wird das Zentrum in El-Kurru expandiert haben. Sowohl der archaische Staat als auch das Häuptlingstum waren zur Expansion gezwungen. Denn die Ausweitung des Austausches, die sich verstärkende Arbeitsteilung und die damit in Verbindung stehende Überschussproduktion führten auf der sozialen Ebene zu einem Bevölkerungszuwachs in der Nachbarschaft des Zentrums. Dieser machte eine weitere Steigerung der Produktion notwendig, die aber nur über begrenzt mögliche Intensivierungsmaßnahmen und territoriale Expansion zu erzielen war. Aber auch die politische Ebene machte eine Ausdehnung notwendig. Würdenträger mussten, da Geldwirtschaft nicht bekannt war, mit Ländereien entlohnt, die Angehörigen des sich ebenfalls ausdehnenden königlichen Haushaltes angemessen versorgt werden. Alles dies begünstigte die Expansion mit der Bildung neuer Zentren, die ihrerseits wieder zu Ausgangspunkten neuer Ausdehnung wurden. Um an der Spitze der Hierarchie unter den sich bildenden Subzentren zu bleiben, musste das Zentrum zu seiner Legitimation eine Herrschaftsideologie und im religiösen Bereich eine Monopolstellung entwickeln. Die Begründung eines Friedhofs für die Herrscherfamilie lässt auf ein originales dynastisches Konzept schließen, das über die Totenopfer Kontinuität zwischen Vergangenheit und Zukunft schaffen wollte und gleichzeitig Machtbewusstsein demonstrierte. Wann darüber hinaus im Einzelnen die Expansion der Herrscher von Kurru nach Norden eingesetzt hat und wie sie verlaufen ist, können wir angesichts der schlechten Beleglage mit nur wenigen Ausgrabungen in Obernubien nicht sagen. Auch außenpolitische Macht, die damit stets in Zusammenhang stehende ökonomische Nutznießung und weiteres inneres Wachstum konnten im Entwicklungsstadium der damaligen Welt ebenfalls nur über die Territorialexpansion verwirklicht werden. Das kuschitische Zentrum, das sich fernab von den Zentren der Welt entwickelt hatte, verfügte über wertvolle Rohstoffe und Waren, hatte jedoch keinerlei Zugang zu den Handelszentren der Welt um das Mittelmeer, es sei denn via Ägypten oder sehr viel umständlicher und kaum realisierbar durch die Nubische Wüste oder über das Rote Meer. Durch seine bevorzugte Lage hatte Ägypten den Kuschiten stets den Zugang zur Welt versperrt. Als Kolonialmacht hatte es sich die nubischen Güter einfach angeeignet und als Zwischenhändler stets über Gebühr und auf Kosten der Nubier profitiert. Dass Kusch sich daher in einem bestimmten Stadium seiner Entwicklung Einfluss in Theben zu verschaffen begann, was durch die politische Lage in Ägypten begünstigt wurde, ist so vermutlich zunächst vor allem mit dem Wunsch nach Teilhabe am Gewinn bringenden Mittelmeerhandel in Zusammenhang zu bringen. Dass die Kuschiten gleichzeitig eine erneute Machtkonsolidierung Ägyptens im Vorgriff zu verhindern trachteten, um die eigene Souveränität dauerhaft zu schützen, versteht sich vor dem Hintergrund der ägyptisch-nubischen Beziehungen von selbst.
 
Die Eroberung Ägyptens durch die Kuschiten
 
Als um 760 v. Chr. Kaschta in Nubien König wurde, füllte er einen Machtbereich bis Elephantine aus und hatte vielleicht schon die Thebais besetzt. Ob sein Vorgänger Alara bereits bis nach Elephantine vorgestoßen war und den letzten »Königssohn von Kusch«, Pamiu, aus Unternubien vertrieben hatte, wissen wir nicht. Wir können auch nicht sagen, wie der innenpolitische Rahmen in Theben aussah und unter welchem Widerstand der Thebaner — wenn überhaupt — sich hier die kuschitische Besetzung vollzog. Von Alara kennen wir nur den einheimischen Namen, aber Kaschta trug bereits eine der ägyptischen nachgebildete königliche Titulatur. Lange dürfte er die Besetzung Ägyptens allerdings nicht überlebt haben, denn erst sein Nachfolger Pije ging dazu über, Tempel und einen Palast in ägyptischem Stil in Napata am Djebel Barkal zu errichten. Die große Siegesstele des Pije aus seinem 21. Regierungsjahr berichtet dann über die Kämpfe, die seine Herrschaft auch über die Thebais hinaus in Unterägypten begründeten. Zunächst ging er daran, Oberägypten als Militärbasis weiter auszubauen. Entweder er oder vermutlich bereits Kaschta setzte vor 736 v. Chr. Amenirdais I., Tochter Kaschtas und Schwester Pijes, als Gottesgemahlin ein, um die Herrschaft der Kuschiten — der »Äthiopen«, wie die nubischen Könige von den antiken Schriftstellern genannt wurden — auch politisch in Theben abzusichern.
 
In der Zwischenzeit hatte sich Tefnachte, der Fürst von Sais im Nildelta, zum mächtigsten Herrscher im Norden entwickelt und drang nach Mittelägypten vor, wo er den Herrscher von Hermopolis veranlasste, von Pije abzufallen und der Allianz des Nordens gegen die Kuschiten beizutreten. Die Etappen der erfolgreichen Reaktion Pijes sind auf der genannten Siegesstele ausführlich geschildert. Nach dem Fall von Memphis unterwarfen sich ihm die maßgeblichen politischen Kräfte des Deltas sowie 15 Lokalherrscher mit Ausnahme von Tefnachte. Dieser unternahm noch einen Versuch, Gegenkräfte zu mobilisieren, scheiterte aber letztlich und leistete danach ebenfalls den Treueid.
 
Die assyrischen Feinde
 
Während der Entstehung des nubischen bzw. kuschitischen Reiches und seines Vorstoßes nach Ägypten hatten sich die Assyrer seit dem 9. Jahrhundert in mehreren Etappen in Syrien und Palästina festgesetzt. Ihre Herrschaft belastete die Unterworfenen und Vasallen, denen sie Tribute, obligatorische Geschenke und Zölle auf Handelsgüter abforderten. Immer wieder formierte sich deshalb in Syrien und Palästina Widerstand, in den sich letztlich auch die Kuschiten einschalteten, da ihre Interessen durch das assyrische Vorgehen verletzt wurden.
 
So hatte der Assyrer Tiglatpileser III. vor 732 Ägypten und die Philister ausdrücklich vom Handel mit dem Holz des Libanon ausgeschlossen. Ägypten, das seit 2000 Jahren Holz vom Libanon für seine Götterbarken, Tempelausrüstung, Statuen und Särge bezog, konnte dies nur als feindlichen Affront auffassen. Die Häfen an der vorderasiatischen Küste wurden zunehmend assyrischer Aufsicht unterstellt und mussten Warenzölle entrichten, und alle so aus den Unterworfenen herausgepressten Güter flossen nach Assyrien. Ägypten mit seinen bei den Assyrern begehrten Waren, vor allem Papyrus, Byssus (Gewebe aus feinem Leinen), Gold, kostbaren Steinen und anderen wertvollen Gütern, war wegen seiner abgelegenen Lage nicht leicht dazu zu zwingen, seine Waren sozusagen kostenlos nach Assyrien zu liefern. Um sich aber dennoch einen profitablen Anteil daran ohne Gegenleistung zu sichern, bemühten sich die Assyrer, den Landhandel Ägyptens mit Vorderasien unter ihre Kontrolle zu bringen, wie dies mit dem Seehandel durch die Kontrolle der Häfen bereits geschehen war. Nach der Ausdehnung ihres Machtbereiches bis an die ägyptische Grenze gingen sie deshalb seit Sargon II. daran, den Landhandel abzuschöpfen, indem sie an den Handelsstraßen von Ägypten nach Vorderasien Handels- und Zollstationen einrichteten. Als um 716 v. Chr. die Assyrer nur noch etwa 140 km von der ägyptischen Grenzfestung Sile entfernt standen, sah sich Osorkon IV., einer der letzten Libyersprosse, in Tanis gezwungen, Sargon II. zwölf Pferde, wohl ein symbolisches Geschenk an den »Sieger«, zu senden.
 
Der zweite kuschitische Sieg über Ägypten
 
Im selben Jahr starb Pije. Sein Nachfolger Schabako musste im zweiten Jahr nach seiner Thronbesteigung einen erneuten Vorstoß nach Unterägypten unternehmen. Er marschierte in Memphis ein, und mindestens in seinem vierten Jahr wurde er auch in Sais anerkannt. Anders als Pije unterdrückte Schabako die Ansprüche der Regionalfürsten und wurde spätestens um das Jahr 712 v. Chr. alleiniger Pharao von ganz Ägypten und Kusch. Bokchoris, der Nachfolger des Tefnachte von Sais, wurde nach der Überlieferung Manethos lebendig verbrannt. Mit diesem Sieg begann gleichzeitig auch das unmittelbare außenpolitische Engagement der Kuschiten in der Levante, das sie in kurzer Zeit wieder vom Zentrum an die Peripherie zurückwerfen und endgültig ihren traditionellen politischen Status besiegeln sollte, den sie mit der Annexion Ägyptens zu einem historisch günstigen Zeitpunkt einmal in ihrer Geschichte hatten ins Positive wenden können. Schabako, möglicherweise aber auch Pije — die Chronologie ist strittig —, vermied noch jede Konfrontation mit den Assyrern. Im Inneren verfolgte er in stärkerem Maße als Pije die Politik, Familienmitglieder und eigene Leute in Schlüsselpositionen in Ägypten zu setzen. Nach außen herrschte in den 15 Jahren seiner Regierung Frieden.
 
Als um 702 v. Chr. Schebitku den Thron bestieg, zeigte er bereits durch die Wahl seiner Titulatur seine Absicht, eine offensivere Außenpolitik zu betreiben. Die Gelegenheit bot sich schnell. Hiskia von Juda hatte den Herrscherwechsel in Assyrien, wo nach dem Tod Sargons II. im Jahr 705 v. Chr. Sanherib König wurde, dazu benutzt, den Tribut zu verweigern. Verschiedene andere syrisch-palästinensische Städte unterstützten ihn, und auch Schebitku schickte militärischen Beistand. Die alliierten Streitkräfte wurden jedoch geschlagen. Im assyrischen Heer brach nach der Erzählung der Bibel aber offenbar eine Epidemie aus, sodass sich die Assyrer nach Ninive zurückzogen und die letzten zehn Jahre der Regierung Schebitkus friedlich und mit entsprechendem Einfluss in Vorderasien verliefen. Um 690 wurde dann Taharka König.
 
Die Vertreibung der Kuschiten
 
Da die Assyrer in den letzten Jahren Sanheribs massive Grenzschwierigkeiten hatten und darüber hinaus mit anderen Problemen und hartnäckigen Kleinkriegen zu kämpfen hatten, konnten die Kuschiten ihren Einfluss in Syrien und Palästina behaupten. Dann verschlechterte sich jedoch die Lage. Der Assyrerkönig Asarhaddon hatte zwei Vergeltungsaktionen nach Syrien unternommen, und Taharka hatte die Aufstände zuvor unterstützt. Assyrien ging nun daran, den kuschitischen Einfluss definitiv auszuschalten und gegen Ägypten direkt vorzugehen. Ein Versuch Asarhaddons, um 674/673 nach Ägypten einzumarschieren, blieb zwar zunächst erfolglos, aber 671 besiegte er Taharka, und es gelang ihm sogar, Mitglieder der kuschitischen Königsfamilie, darunter den Thronfolger und Taharkas Frau, in Memphis gefangen zu nehmen und nach Assyrien zu deportieren. Memphis wurde geplündert, die kuschitischen Beamten wurden aus ihren Ämtern entfernt und diese mit anderen Personen, darunter auch Assyrern, besetzt. 669 v. Chr. setzte sich Taharka aber wahrscheinlich wieder im Delta fest. Bei einem neuerlichen Feldzug gegen ihn starb Asarhaddon, sodass erst Assurbanipal 667/666 die Entscheidung herbeiführen konnte. Er besiegte erneut Taharka, der sich vermutlich nach Napata zurückzog. Die ägyptischen Fürsten und Lokalpotentaten unterwarfen sich den Assyrern, konspirierten dann aber mit Taharka. Das Komplott wurde aufgedeckt und die Schuldigen grausam bestraft. Auch der libysche Fürst Necho von Sais wurde deportiert, erlangte aber bald darauf die Begnadigung und durfte nach Sais zurückkehren. Sein Sohn, der spätere König Psammetich I., erhielt von den Assyrern die Stadt Athribis im Delta. Als Taharka starb, unternahm sein Nachfolger Tanwetamani nach dem Bericht der »Traumstele« einen erneuten Versuch, Ägypten zurückzuerobern. Er tötete Necho, während Psammetich zu den Assyrern floh. Doch die Deltafürsten unterwarfen sich Tanwetamani. Als aber die assyrische Armee nach Ägypten vorrückte, fiel Memphis noch 664/663. Theben wurde schwer verwüstet und geplündert, aber es erkannte Tanwetamani noch weitere zehn Jahre an.
 
Nach dem kurzen Intermezzo der kuschitischen Herrschaft war Ägypten nun wieder geteilt. Im Norden regierte Psammetich als Vasall der Assyrer, ebenso die anderen Deltafürsten. Die Thebais hingegen wurde unter dem sehr einflussreichen Vierten Amunpriester und Bürgermeister von Theben, Montemhet, und der Gottesgemahlin Schepenupet II., Tochter König Pijes, fast selbstständig.
 
Die 26. Dynastie (664—525 v. Chr.)
 
Vielleicht mithilfe der assyrischen Garnison in Memphis wendete Psammetich einen weiteren Vorstoß Tanwetamanis gegen Memphis ab, der nach griechischen Quellen als wahrscheinlich anzunehmen ist. In den ägyptischen hören wir davon nichts, auch nicht, wie es Psammetich praktisch unter den Augen der Assyrer schaffte, als ihr Vasall Ägypten unter seiner Herrschaft zu einigen und damit die 26. Dynastie zu begründen. Nach ihrer Herkunft aus Sais werden ihre Herrscher »Saiten« genannt. Der griechische Schriftsteller Herodot erzählt folgende Geschichte dazu: Zwölf gegeneinander Krieg führende Dynasten (Kleinfürsten) des Deltas verständigten sich auf einen Waffenstillstand, der jedes Jahr im Tempel des Hephaistos, das heißt im Tempel des Gottes Ptah in Memphis, durch ein Trankopfer erneuert werden musste. Ein Orakel hatte jedoch geweissagt, dass der zukünftige König Ägyptens die Darbringung des Trankopfers, die Libation, aus einem bronzenen Gefäß vornehmen würde, und deshalb hatten die Dynasten jegliche Bronzegefäße aus dem Tempel verbannt. Als aber eines Tages der Priester den Opfernden nur elf und nicht zwölf Gefäße reichte, nahm Psammetich, der am Ende der Reihe stand und kein Gefäß mehr bekam, seinen Helm (aus Bronze). Ein zweites Orakel weissagte, dass der König seinen endgültigen Sieg mit der Hilfe von »Bronzemännern« vom Meer erringen würde. Tatsächlich gelang es Psammetich I. in seinem 8. Jahr, mithilfe griechischer und karischer Söldner, die er aufgrund eines Freundschaftspaktes mit Gyges von Lydien in seine Dienste nehmen konnte, die Deltafürstentümer unter seine Herrschaft zu bringen. Die inzwischen durch die Kimmerier geschwächten und darüber hinaus anderweitig stark in Anspruch genommenen Assyrer intervenierten nicht. Herakleopolis mit der Schlüsselposition nach Mittelägypten, wo seit der späten 25. Dynastie Pediese herrschte, der vielleicht mit den Saiten verschwägert war, scheint die saitischen Einigungsbestrebungen von Anfang an unterstützt zu haben. Denn sein Sohn Sematauitefnachte, der in Sais aufgewachsen sein soll, begleitete Psammetichs Tochter Nitokris nach Theben, wo sie im 9. Jahr ihres Vaters als Gottesgemahlin eingesetzt wurde. Offenbar gab es keinen Widerstand vonseiten der Thebaner, als sie durch die kuschitischen Gottesgemahlinnen Schepenupet II. und Amenirdais II. adoptiert wurde. Die beiden Kuschitinnen beließ Psammetich I. im Amt, Amenirdais II. scheint jedoch später nach Nubien zurückgekehrt zu sein. Damit war Ägypten 656 v. Chr. wieder geeint.
 
Mehr Sicherheit für Ägypten
 
Um sich gegen erneute Vorstöße der Kuschiten zu schützen, befestigte Psammetich I. nicht nur Elephantine, sondern unternahm auch einen Feldzug nach Unternubien, vermutlich um die Kuschiten weiter nach Süden abzudrängen und eine Pufferzone zu schaffen. Wann in seiner langen, 54-jährigen Regierung (664—610 v. Chr.) dies gewesen sein könnte, ist fraglich. Eine Festung vom Beginn der Saitenzeit auf der Insel Dorginarti beim 2. Katarakt zeigt jedoch, wie weit die Grenze wieder vorgeschoben werden konnte. Im 10. Regierungsjahr wandte sich Psammetich I. gegen die Libyer. Dies geht aus dem Text einer Stele hervor, die an einer Wüstenpiste bei Sakkara Süd, an deren Ende sich ein befestigtes Militärlager befand, entdeckt wurde. Nach einer Notiz bei dem griechischen Schriftsteller Diodor hatten sich die Gegner, die Psammetich bei den Kämpfen um die Alleinherrschaft in Ägypten bei Kom el-Hisn am westlichen Deltarand schlagen konnte, zu den Libyern geflüchtet. Jedenfalls sicherte der König, nachdem er durch die Einsetzung seiner Tochter Nitokris als Gottesgemahlin die Oberhoheit über Oberägypten gewonnen hatte, den Westteil des Landes gegen die Libyer. Parallel zu diesen außen- und innenpolitischen Aktivitäten zu Beginn seiner Regierung reorganisierte Psammetich I. das Innere des Landes. Die Hauptstadt befand sich jetzt in Sais mit dem Tempel der Göttin Neith. Aber das Verwaltungszentrum mag weiterhin Memphis gewesen sein. Die reichen, Land besitzenden Familien wurden politisch entmachtet, indem jetzt in jeder Stadt ein Gouverneur amtierte, der der Zentrale in Sais direkt verantwortlich war. Ein zweiter Beamter war für den landwirtschaftlichen Bereich zuständig, und eine Art Einkommensteuer wurde erhoben. Auch der Handel wurde wieder belebt.
 
In der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit engagierte sich Psammetich I. dann im asiatischen Bereich. Die Assyrer waren zu diesem Zeitpunkt durch aufreibende Kämpfe gegen die Skythen, die sie seit 670 bedrohten, innerlich geschwächt. Auch Psammetich I. musste 620 deren Angriff abwehren; sie waren bis an die ägyptische Grenze vorgedrungen. Nach seinem vielleicht eher diplomatischen Erfolg gegen die Skythen dehnte Psammetich I. seinen Einfluss in der Levante aus. Er nahm die Philisterstadt Aschdod ein und scheint gegen Ende seiner Regierung die gesamte Küste einschließlich Phönikiens kontrolliert zu haben.
 
Ägypten und Assyrien als Verbündete
 
Im Jahr 626 v. Chr. wurde Nabopolassar König von Babylon und befreite sich in den nächsten Jahren von der Herrschaft der Assyrer. Dadurch wurde die Machtbalance in Vorderasien gestört, und als um 616 Nabopolassar den mittleren Euphratbereich angriff, verbündete sich Ägypten mit den Assyrern. Es kam jedoch zu keiner entscheidenden Schlacht. Stattdessen nahmen 614 die Meder unter Kyaxares Assur ein, schlossen einen Pakt mit Nabopolassar und zerstörten gemeinsam mit diesem und den Skythen 612 Ninive. Ägypten griff diesmal nicht ein. Nach dem Tod Psammetichs I. versuchte sein Sohn und Nachfolger Necho II. (610—595 v. Chr.) jedoch 609 noch einmal, den Assyrern bei ihren Auseinandersetzungen mit den Babyloniern und Medern zu Hilfe zu kommen. Er belagerte Harran (Karrhai) und verpflichtete sich die Fürsten von Syrien und Palästina durch Treueide. Aber Harran konnte nicht eingenommen werden, und Necho II. wurde 605 bei Karkemisch von Babylon besiegt und verlor ganz Syrien und Palästina an die Babylonier. Ein weiterer, aber unentschiedener Kampf folgte 601.
 
Auch gegen Nubien wandte sich Necho II. Jedoch haben wir keine genaueren Nachrichten darüber. Im Inneren begann er den Bau eines Kanals — das Projekt ist als Nechokanal in die Geschichte eingegangen — durch das Wadi Tumilat zum Roten Meer und gründete dort die Stadt Pithom. Wie Herodot berichtet, wurde unter seiner Herrschaft offenbar auch Afrika umschifft.
 
Der entscheidende Kampf gegen die Kuschiten
 
Der Nachfolger Nechos II. war Psammetich II. (595—589 v. Chr.). Mit einem Heer aus griechischen, karischen und libyschen Söldnern unternahm er 593 einen größeren Feldzug gegen Nubien, auf dem wohl Napata erreicht und zerstört wurde. Neuere archäologische Untersuchungen am Ort zeigen weit reichende Zerstörungen durch Feuer, die in die Zeit des kuschitischen Königs Aspalta fallen. Sie illustrieren die Aussage einer Stele Psammetichs II. in Tanis, nach der sein Heer hier Feuer gelegt und Bäume gefällt habe — militärische Maßnahmen zur Zerstörung der Lebensgrundlagen des Gegners, die seit dem Alten Reich zur Praxis der ägyptischen Kriegführung gehörten. Sogar das Andenken der Kuschiten in Ägypten verfolgte Psammetich II., indem er die Namen der Könige der 25. Dynastie von den Denkmälern des Landes tilgen ließ. Vielleicht hatten Nachrichten von der ägyptischen Niederlage in der Levante die Kuschiten unter Aspalta und seinem Vorgänger Anlamani zu einem erneuten Versuch herausgefordert, gegen Ägypten vorzugehen, jedoch haben wir keine Quellen aus dem kuschitischen Bereich, die dies belegen könnten.
 
Nach der kurzen Regierung Psammetichs II., der sich in der Levante vor allem im Kampf gegen die Baylonier engagierte, ohne dass es zu wesentlichen Veränderungen der politischen Lage kam, unternahm auch sein Sohn Apries (589—570 v. Chr.) gleich zu Beginn seiner Regierung Anstrengungen, die babylonische Bedrohung zu mildern. Mit einer Flotte, die bereits seine Vorgänger ausgebaut hatten, erreichte er Palästina, Phönikien und Zypern. Als aber 587 Jerusalem durch die Babylonier eingenommen, der judäische König Zidkija gefangen und ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung ins Babylonische Exil verschleppt wurden, scheint er nicht eingegriffen zu haben. In Elephantine kam es während seiner Zeit zu einer Meuterei der Söldner, die sich nach Kusch absetzen wollten. Nes-Hor, der ehemalige Truppenchef Psammetichs II. von Mendes und jetzt »Vorsteher des Tores der Südländer« in Elephantine, konnte dies jedoch verhindern.
 
Auseinandersetzungen um die Griechenkolonie Kyrene kosteten Apries schließlich den Thron. Auf Bitten der Libyer kam er ihnen gegen die Griechen zu Hilfe, wurde aber vernichtend geschlagen. In seiner Truppe brach daraufhin eine Meuterei aus, und die Meuterer riefen Amasis zum Gegenkönig aus; Apries floh an den babylonischen Hof. Mit militärischen Mitteln versuchten die Babylonier, ihn 567 wieder einzusetzen. Dies misslang jedoch, und sie wurden von Amasis geschlagen. Apries fiel im Kampf und erhielt eine ehrenvolle Bestattung von Amasis, der sich dadurch als neuer Pharao legitimierte.
 
Amasis, der 570 v. Chr. zum König ausgerufen worden war und bis 526 regierte, war zweifellos der letzte große Pharao Ägyptens. Das Land blühte unter seiner Herrschaft im Wohlstand, fand sich außenpolitisch jedoch durch die babylonische Bedrohung und später durch die der Meder in einer ständigen Zwangslage. Von dieser Bedrängnis suchte sich Amasis durch Allianzen, unter anderem mit Krösus von Lydien und Polykrates von Samos, zu befreien und spendete auch den Tempeln der Griechen Opfer. Naukratis südwestlich von Sais wurde das bedeutendste Griechenzentrum im Delta.
 
Die Perser kommen — Ägypten wird Satrapie
 
Während der Regierung von Amasis hatten die Achämeniden unter Kyros II. (um 559—529 v. Chr.) das Königreich Medien unterworfen, und auch Lydien unter Krösus war 546 v. Chr. an die Perser gefallen, noch ehe Ägypten, Babylonien und Sparta Hilfe leisten konnten. 539 wurde Babylonien besetzt. Nach dem Tod des Kyros unterwarf sich Phönikien dessen Nachfolger Kambyses, und Zypern sagte sich von Amasis los. Zu einer militärischen Klärung der Lage kam es jedoch erst unter Amasis' Sohn Psammetich III. (526—525 v. Chr.). Ob die Eroberung Ägyptens einem Plan von Kambyses entsprach oder nur durch den Verräter Phanes ausgelöst wurde, der die Verteidigungsanlagen des Deltas an den Perserkönig verraten haben soll, ist schwierig zu entscheiden. Jedenfalls standen die Perser 525 vor Pelusium, das sich ergeben musste. Bei der Einnahme von Memphis geriet Psammetich III. in Gefangenschaft, wurde nach Susa gebracht und getötet. So war das einst mächtige Ägypten für die nächsten 120 Jahre zu einer Satrapie des Persischen Reiches geworden.
 
Bei Manetho bilden die Perser die 27. Dynastie. In den ägyptischen Quellen sind die persische Invasion und der Aufenthalt des Kambyses in Ägypten auf der Statuette des Udja-hor-resnet kurz beschrieben, der im Kampf gegen die Perser Flottenkommandant gewesen war. Nach dem Sieg der Perser gelangte er in die Umgebung des Perserkönigs, wurde dessen Leibarzt, erläuterte ihm die ägyptische Kultur und stellte sogar eine ägyptische Königstitulatur für ihn zusammen. Ein Zug des Kambyses nach Nubien und einer zur Oase Siwa endeten nach der stark propagandistisch eingefärbten Erzählung Herodots als Katastrophe. 522 kehrte Kambyses mit Udja-hor-resnet in seinem Gefolge in seine Heimat zurück, während Ägypten unter die Verwaltung des Satrapen Aryandes gestellt wurde. Nach fünf Jahren, 517 v. Chr., begab sich der Nachfolger des Kambyses, Dareios I. (522—486), nach Ägypten, wo der Satrap Aryandes wegen eigenmächtiger Handlungen hingerichtet wurde. Den am persischen Hof aufgestiegenen Udja-hor-resnet — sein Grab wurde kürzlich entdeckt — hatte Dareios I. schon 519 mit dem Auftrag nach Ägypten zurückgeschickt, das Lebenshaus, das oben beschriebene kulturelle Zentrum des Tempels, in Sais wieder einzurichten. Etwa gleichzeitig wies er den Satrapen an, die ägyptischen Gesetze zu kodifizieren. Dies ist durch aramäische Texte bestätigt. Auch das Geld soll er in Ägypten eingeführt haben. Dareios hat sogar in Ägypten gebaut. So stammt der Tempel von Hibis in der Oase Charga zum größten Teil von ihm. Die Stelen des Königs entlang dem Nechokanal bestätigen, dass er diesen ausbaggern ließ. Nach einer dieser Stelen fuhr eine Flotte von 24 Schiffen, beladen mit ägyptischen Tributleistungen, durch den Kanal nach Persien. Es scheint demnach, dass die Perser der ägyptischen Kultur relativ tolerant gegenüberstanden und der Satrapie eine gewisse kulturelle Eigenständigkeit in der nun ohnehin »multikulturellen« Gesellschaft beließen.
 
Nachdem die Griechen in der Schlacht von Marathon den Persern 490 v. Chr. eine empfindliche Niederlage beigebracht hatten, brach 486 in Ägypten ein Aufstand gegen die Perser aus. Dieser wurde aber von Xerxes, dem Nachfolger des Dareios, der 486 starb, in seinem zweiten Jahr niedergeschlagen. Als Satrap herrschte der Bruder des Xerxes, Achämenes, und das Aramäische wurde allmählich zur Verwaltungssprache. Auch das Demotische — die spätägyptische Sprache in der stark vereinfachten demotischen Schrift — setzte sich in Ägypten immer mehr durch. Als Xerxes dann 465 v. Chr. ermordet wurde, kam es in Zusammenhang mit den darauf folgenden Wirren und der Thronbesteigung von Artaxerxes I. (464—424 v. Chr.) auch im Nordwestdelta zu Unruhen, in deren Verlauf ein gewisser Inaros die persischen Truppen unter Achämenes besiegen konnte. Der persische Satrap kam ums Leben, und Inaros besetzte das gesamte Delta. Aber Memphis und Oberägypten blieben in persischer Hand. Erst 454, nachdem die Athener die Ägypter noch bei der Teileroberung von Memphis unterstützt hatten, gewannen die Perser die Macht vollständig zurück. Inaros fiel in persische Hände, wurde nach Persien gebracht und dort gekreuzigt. Danach kam es zu keinen weiteren Befreiungsversuchen, zumal die Athener mit den Persern einen Frieden schlossen. Nur unter Dareios II. (424—404 v. Chr.) gab es einen Aufstand in Elephantine, der sich aber mehr gegen die dortigen Juden richtete, die als Kollaborateure der Perser galten. Ihr Jahwetempel wurde zerstört. Als aber die Thronbesteigung von Dareios' II. Nachfolger Artaxerxes II. (404—359 v. Chr.) wiederum von Wirren im Perserreich begleitet war, gelang es Amyrtaios, einem Libyer aus Sais, mit Hilfe der Spartaner 404/402 v. Chr. die Perser aus Ägypten zu vertreiben. Manetho lässt mit Artaxerxes II. die 27. Dynastie enden. Mit ihm endete auch die erste persische Herrschaft in Ägypten. Dieses hatte als 6. Satrapie zum Persischen Reich gehört, und auch Nubien war von den späteren Jahren Dareios' I. an als Satrapie oder tributpflichtiges Land in den persischen Listen verzeichnet. Da die Befestigung von Dorginarti am 2. Katarakt auch perserzeitliche Nachweise enthält, scheint die Einbeziehung von Kusch in das persische Weltreich zumindest bis zum 2. Katarakt gerechtfertigt.
 
Von der 28. bis zur 30. Dynastie
 
Die 28. Dynastie bestand nur aus dem schon erwähnten König Amyrtaios, der nach Manetho sechs Jahre regiert haben soll. Unter den aramäischen Papyri in Elephantine ist ein Zahlungsversprechen erhalten, das in sein 5. Jahr datiert ist. Ein weiterer Brief aus diesem Komplex nennt den Namen des Amyrtaios zusammen mit dem des Nepherites, des ersten Königs der 29. Dynastie, sodass die sechsjährige Regierungszeit zutreffen könnte. Bauten oder auch nur seinen Namen in hieroglyphischer Form hat Amyrtaios nicht hinterlassen. Die »Demotische Chronik« aus frühptolemäischer Zeit mit »Weissagungen« über die vergangenen Regierungen kennt ihn als ersten König in der Reihe der Könige bis zur 30. Dynastie.
 
Als im Jahr 399 v. Chr. Fürsten von Mendes als 29. Dynastie die Macht in Ägypten ergriffen, markierte dies das erfolgreiche Ende langer Befreiungsversuche von der persischen Herrschaft und leitete nochmals eine fast 70-jährige politische und kulturelle Unabhängigkeit des Landes ein — die letzte seiner Geschichte bis zum 20. Jahrhundert n. Chr. Diese Zeit kannte einen erneuten Wohlstand mit reger Bautätigkeit. Im Streben nach einer Renaissance wurden sogar alte Kulte wieder belebt. Über diese letzte Unabhängigkeitsphase informieren vor allem griechische Quellen sowie einige dunkle Andeutungen in der »Demotischen Chronik«.
 
Natürlich hatten die Perser gegen ihre abtrünnige Satrapie Ägypten vorgehen wollen. Aber um 401 ließen dies innere Schwierigkeiten nicht zu, sodass ab 399 Nepherites I. (»Seine Großen gedeihen«) als erster König der 29. Dynastie sechs Jahre regieren konnte. Mit ihm erschien Ägypten wieder als selbstständig handelnde Macht auf internationaler Ebene. Um die nationale Eigenständigkeit weiter behaupten zu können, verfolgte auch er eine Politik gegen Persien gerichteter Allianzen. So schlug sich Nepherites I. auf die Seite Spartas, das sich zum Krieg gegen die Perser entschloss, um den kleinasiatischen Griechen beizustehen. Als Nepherites aber 393 v. Chr. starb, brachen in Ägypten Thronstreitigkeiten aus. Die folgenden Könige hatten alle nur kurze Regierungszeiten, die die »Demotische Chronik« mit unrechten Handlungen der Könige erklärt. Fünf Herrscher der 29. Dynastie sind insgesamt bekannt. Der wichtigste nach Nepherites I. ist Hakoris, der 392 auf den Thron kam. Trotz seines fremden Namens war er wohl Ägypter und stammte aus Mendes. Er hat 13 Jahre regiert und zahlreiche Denkmäler, darunter eine Kapelle in Karnak, hinterlassen. Auch er verfolgte die Politik der Allianzen gegen die Perser und schloss 389 ein Bündnis mit Euagoras von Zypern und mit Athen. Dieser Politik lag eine einleuchtende Überlegung zugrunde: Solange Persien sich anderswo militärisch engagierte, bestand nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass es gegen Ägypten vorgehen konnte. Hakoris dehnte seinen Machtbereich derweil auch nach Westen aus; der Herrscher von Siwa, Setechirdais, erkannte ihn als Oberherrn an. Als jedoch im Jahr 386 zwischen Griechen und Persern ein separater Frieden geschlossen wurde, waren Euagoras und Hakoris isoliert. Zwar konnte Hakoris mithilfe des athenischen Feldherrn Chabrias die in dieser Situation sofort militärisch reagierenden Perser 383 besiegen und möglicherweise sogar als Folge dieses Sieges wieder bis in die Levante vorstoßen, als aber die Perser gegen Euagoras vorgingen, erhielt dieser keine Hilfe von Hakoris, und 380 fiel Zypern. Kurz davor war Hakoris gestorben, sein Nachfolger Nepherites II. regierte nur vier Monate.
 
Im November 380 v. Chr. folgte ihm Nektanebos I. als erster König der 30. Dynastie. Er stammte aus Sebennytos im Delta, stand vielleicht in verwandtschaftlicher Beziehung zu Nepherites II. und war General gewesen. Nach dem Sieg über Euagoras von Zypern konnte sich Persien nun wieder auf Ägypten konzentrieren. Athen musste den Feldherrn Chabrias, der sich immer noch in ägyptischen Diensten befand, auf Verlangen der Perser abberufen. Diese nahmen sich lange Zeit für ihre Kriegsvorbereitungen; erst im Jahr 373 schickte Artaxerxes II., der immer noch regierte, ein persisches Heer sowie griechische Söldner unter Iphikrates. Als das Heer Pelusium erreichte und man sah, dass ein Angriff auf die starken Befestigungen hier sinnlos war, rückte man weiter nach Westen vor und griff bei Mendes an. Die Landung gelang, und Iphikrates wollte zum fast truppenfreien Memphis vordringen, konnte sich aber nicht mit dem persischen Heerführer einigen. So gelang es den Ägyptern, inzwischen wieder Kräfte zu sammeln. Die eintretende Nilflut, die das Delta unter Wasser setzte, kam ihnen zu Hilfe, und die Perser mussten sich zurückziehen. Da anderweitige Aufstände sie in den nächsten Jahren blockierten, blieb Ägypten unbehelligt.
 
Nektanebos I. zeigte eine rege Bautätigkeit und hinterließ viele Denkmäler, darunter die ältesten Bauteile des Tempels von Philae. Dies zeigt den Wohlstand des Landes unter der unabhängigen Herrschaft. Auch der Handel blühte. In der griechischen Handelsstadt Naukratis im Westdelta wurden die ein- und ausgeführten Waren mit einem zehnprozentigen Zoll belegt. Der Gewinn sollte nach der Naukratisstele an den Tempel der Neith von Sais fließen.
 
Als Nektanebos im Jahr 363 v. Chr. starb und ihm sein Sohn Teos folgte, der vielleicht schon zwei Jahre Mitregent seines Vaters gewesen war, gab es gerade überall im Perserreich Aufstände der Satrapen, die Ägypten im Rahmen seiner politischen Doktrin sämtlich unterstützte. Ab 361 rüsteten auch die Ägypter verstärkt auf. Teos scheint darüber hinaus schon ab 365 die Spartaner unter Agesilaos II., der 361 persönlich mit 1000 Hopliten in Ägypten eintraf, mit Geldmitteln unterstützt zu haben. Auch Chabrias trat wieder in ägyptische Dienste. 360 marschierte das Heer nach Palästina. Agesilaos hatte Teos geraten, in Ägypten zu bleiben, aber dieser bestand auf dem Oberbefehl seiner Truppen. Das Heer gelangte schnell nach Phönikien, und Nektanebos, ein Neffe Nektanebos' I. und Cousin von Teos, sollte weiter nach Syrien vorrücken. Da revoltierte der Vater des Nektanebos, der als Statthalter in Ägypten geblieben war. Nektanebos wurde zum Pharao ausgerufen, und Teos floh ins persische Exil, wo er starb. Damit brach das Unternehmen in sich zusammen, zumal Nektanebos II. sofort nach Ägypten heimkehren musste, weil dort ein Gegenkandidat auftrat. Dies zeigt, wie wenig gefestigt die innenpolitische Lage in Ägypten trotz des Wohlstandes doch gewesen sein muss. Nektanebos II. (360—342 v. Chr.) regierte 18 Jahre. Auch unter seiner Herrschaft erlebte Ägypten weiterhin eine Blüte, wie seine zahlreichen Baudenkmäler dokumentieren.
 
Die Perser kommen wieder — Die 31. Dynastie
 
Inzwischen gelang es Artaxerxes III. Ochos, das Perserreich wieder zu ordnen, und so unternahm er 350 v. Chr. einen Feldzug gegen Ägypten, das in den Augen der Perser weiterhin nur eine abtrünnige Satrapie war. Der Zug verlief jedoch ergebnislos, und in seiner Folge erhoben sich sowohl die Phöniker als auch Zypern gegen die Perser. Ägypten schickte allerdings nur geringfügigen Beistand. 343 zog der Perserkönig abermals gegen Ägypten, konnte diesmal ins Delta einbrechen und errang einen überwältigenden Sieg; Nektanebos II. floh nach Nubien. Damit wurde Ägypten erneut zur persischen Provinz.
 
Das Ende mit Alexander dem Großen
 
Nach dem Sieg Alexanders gegen die Perser bei Issos im Jahr 333 v. Chr. übergab der Satrap Mazaces Ägypten kampflos an den Makedonen, der nach seinem Einzug in Memphis und der Huldigung des Apisstieres am 14. November 332 als Pharao Ägyptens gekrönt worden sein soll. Bei dieser Krönung als Pharao scheint es sich jedoch um Fiktion zu handeln. Zwar hat Alexander eine ägyptische Titulatur erhalten. Sie kann aber wohl eher als Hinweis auf seine Akzeptanz durch die Priester denn als Zeichen für seine Krönung gelten, zumal in manchen Titeln sein Thronname identisch mit seinem Eigennamen ist.
 
Mit Alexanders Machtübernahme endet die pharaonische Geschichte Ägyptens. Das Land wird nun von den griechischen Ptolemäern beherrscht und tritt unter ihnen in eine neue Epoche der politischen Unabhängigkeit ein, die kulturell stark vom Griechentum geprägt ist. Sie bescherte dem Land noch einmal eine große Blütezeit, bevor es zur Provinz des Römischen Reiches wurde und mit der Einführung des Christentums und schließlich des Islams seine pharaonische Prägung aufgab.
 
Prof. Dr. Karola Zibelius-Chen
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Großreiche: Kolosse auf tönernen Füßen?
 
Kusch: Das Reich in Nubien
 
Hochkultur: Annäherung an einen umstrittenen Begriff
 
 
Ancient Egypt. A social history, bearbeitet von Bruce G. Trigger u. a. Cambridge u. a. 1983.
 
L'État et les institutions en Égypte des premiers pharaons aux empereurs romains. Mit Beiträgen von Geneviève Husson und Dominique Valbelle. Paris 1992.
 Gardiner, Alan: Geschichte des alten Ägypten. Eine Einführung. Augsburg 1994.
 Gestermann, Louise: Kontinuität und Wandel in Politik und Verwaltung des frühen Mittleren Reiches in Ägypten. Wiesbaden 1987.
 Gutgesell, Manfred: Arbeiter und Pharaonen. Wirtschafts- und Sozialgeschichte im alten Ägypten. Hildesheim 1989.
 Haider, Peter W.: Griechenland - Nordafrika. Ihre Beziehungen zwischen 1500 und 600 v. Chr. Darmstadt 1988.
 Helck, Wolfgang: Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. Wiesbaden 21971.
 Högemann, Peter: Das alte Vorderasien und die Achämeniden. Ein Beitrag zur Herodot-Analyse. Wiesbaden 1992.
 Hornung, Erik: Einführung in die Ägyptologie. Stand, Methoden, Aufgaben. Darmstadt 41993.
 Kienitz, Friedrich-Karl: Die politische Geschichte Ägyptens vom 7. bis zum 4. Jahrhundert vor der Zeitwende. Berlin-Ost 1953.
 Kitchen, Kenneth A.: The third intermediate period in Egypt. (1100-650 B. C. ). Warminster 21986.
 
Libya and Egypt. circa 1300-750 B. C., herausgegeben von Anthony Leahy. London 1990.
 Matzker, Ingo: Die letzten Könige der 12. Dynastie. (Ägyptologie ). Frankfurt am Main u. a. 1986.
 Midant-Reynes, Béatrix: Préhistoire de l'Égypte. Des premiers hommes aux premiers pharaons. Paris 1992.
 
Pharaonen und Fremde - Dynastien im Dunkel. Rathaus Wien, Volkshalle, 8. September-23. Oktober 1994, bearbeitet von Christophe Barbotin. Katalogredaktion Irmgard Hein. Wien 1994.
 Schlögl, Hermann Alexander: Echnaton - Tutanchamun. Daten, Fakten, Literatur. Wiesbaden 41993.
 Stadelmann, Rainer: Die ägyptischen Pyramiden. Vom Ziegelbau zum Weltwunder. Mainz 21991.
 Vercoutter, Jean und Vandersleyen, Claude: L'Égypte et la vallée du Nil, 2 Bände Paris 1992-95.
 Zibelius-Chen, Karola: Die ägyptische Expansion nach Nubien. Eine Darlegung der Grundfaktoren. Wiesbaden 1988.

Universal-Lexikon. 2012.

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